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Sie drehte sich um und rannte los. Mit einem Knurren setzte er ihr nach und packte sie bei den kurzen Haaren. Sie schrie, doch er zerrte sie um die Ecke der Kapelle. Ihre Kopfhaut brannte, und vor sich sah sie nun einen runden Holzklotz auf der Erde stehen, der die Spuren vieler kräftiger Hiebe zeigte. Sie wußte, was es war: ein Richtblock. Sie hatte nicht die Kraft, sich zu wehren. Der Ritter stieß sie grob zu Boden und drückte ihren Hals auf den Klotz. Dann stellte er ihr einen Fuß auf den Rücken, um sie in Position zu halten. Hilflos ruderte sie mit den Armen.

Während er seine Axt hob, sah sie einen Schatten über das Gras huschen.

Das Telefon klingelte beharrlich und laut. David Stern gähnte, schaltete die Nachttischlampe ein und nahm den Hörer ab. »Hallo«, sagte er mit schlaftrunkener Stimme.

»David, John Gordon hier. Sie sollten besser in den Transitraum kommen.«

Stern suchte nach seiner Brille und sah auf die Uhr. Es war sechs Uhr zwanzig. Er hatte drei Stunden geschlafen.

»Wir müssen eine Entscheidung fällen«, sagte Gordon. »Ich hole Sie in fünf Minuten ab.«

»Okay«, sagte Stern und legte auf. Er stand auf und öffnete das Rollo vor dem Fenster. Die Sonne schien so grell herein, daß er die Augen schließen mußte. Er ging ins Bad, um sich zu duschen. Er befand sich in einem der Zimmer, die ITC in ihrem Laborgebäude für Forscher bereithielt, die über Nacht arbeiten mußten. Es war ausgestattet wie ein Hotelzimmer, bis hin zu den Fläschchen mit Shampoo und Feuchtigkeitscreme neben dem Waschbecken. Stern rasierte sich, zog sich an und trat dann in den Gang. Gordon sah er nirgends, aber vom anderen Ende des Korridors hörte er Stimmen. Während er darauf zuging, schaute er durch die Glastüren in die verschiedenen Labore. Sie waren um diese Zeit alle verlassen. Aber am Ende des Gangs fand er ein Labor, dessen Tür offenstand. Ein Arbeiter maß mit einem gelben Band Breite und Höhe der Tür ab. Drinnen standen vier Techniker um einen großen Tisch. Auf dem Tisch stand ein großes Modell aus hellem Holz, das die Festung von La Roque und die Umgebung darstellte. Die Männer unterhielten sich leise miteinander, und einer hob prüfend eine

Ecke des Tisches an. Sie schienen sich zu überlegen, wie sie das Modell aus dem Raum bekommen sollten.

»Doniger sagt, er braucht es unbedingt«, sagte der Techniker, »als Ausstellungsstück für seine Präsentation.«

»Ich weiß nicht, wie wir das hier rauskriegen sollen«, sagte ein anderer. »Wie haben sie es denn hereingebracht?« »Es wurde hier gebaut.«

»Es geht ganz knapp«, sagte der Mann an der Tür und ließ das Maßband in sein Gehäuse zurückschnellen.

Neugierig betrat Stern den Raum und sah sich das Modell genauer an. Es war eine sofort wiedererkennbare und präzise Darstellung der Burg in der Mitte eines viel größeren Komplexes. Die Burg war umgeben von einem Ring aus Bäumen und Sträuchern, und außerhalb dieses Rings waren ein Komplex niedriger Häuser und ein Netz von Straßen zu sehen. Doch nichts davon hatte je existiert. Im Mittelalter hatte die Burg allein auf einer Ebene gestanden. Stern fragte: »Was für ein Modell ist das?« »La Roque«, antwortete ein Techniker. »Aber dieses Modell ist nicht exakt.«

»O doch«, sagte der Techniker. »Es ist hundertprozentig exakt. Zumindest nach den letzten Bauzeichnungen, die wir bekommen haben.« »Was für Bauzeichnungen?« fragte Stern.

Auf diese Frage hin verstummten die Techniker und machten besorgte Gesichter. Jetzt sah Stern, daß es auch noch andere Modelle gab: von Castelgard und vom Kloster Sainte-Mere. An der Wand entdeckte er große Zeichnungen und Pläne. Wie in einem Architekturbüro, dachte er. In diesem Augenblick streckte Gordon den Kopf durch die Tür: »David? Gehen wir.«

Er ging mit Gordon den Korridor entlang. Als er sich umdrehte, sah er, daß die Techniker das Modell hochkant gedreht hatten und es so durch die Tür trugen.

»Worum geht's denn da?« fragte Stern.

»Erschließungsstudien«, sagte Gordon. »Wir machen die für jedes Projekt. Ziel ist es, die unmittelbare Umgebung jedes histori-sehen Bauwerks präzise zu definieren, damit die Stätte selbst für Touristen und Forscher erhalten bleibt. Es geht dabei um Sichtlinien und solche Sachen.«

»Aber was geht Sie das an?« fragte Stern.

»Das geht uns sogar sehr viel an«, erwiderte Gordon. »Wir geben Millionen aus, bis eine solche Stätte komplett restauriert ist. Und wir wollen nicht, daß sie uns mit einem Einkaufszentrum oder einem Haufen Hoteltürmen zugestellt wird. Wir versuchen deshalb, großräumiger zu planen und die Behörden vor Ort dazu zu bringen, daß sie Richtlinien erlassen.« Er sah Stern an. »Ehrlich gesagt, ich fand das nie besonders interessant.«

»Und was ist mit dem Transitraum? Was ist da los?« »Ich zeig's Ihnen.«

Im Transitraum war aller Schutt geräumt, der Gummiboden geputzt. Wo sich die Säure durch den Gummi gefressen hatte, wurde der Belag von Arbeitern auf Händen und Knien ausgebessert. Zwei der Glasschilde standen an ihrem Platz, und eins wurde eben von einem Mann mit einer starken Vergrößerungsbrille und einer merkwürdigen Lampe mit Aufsatz untersucht. Stern schaute nach oben, denn gerade wurden mit Laufkränen die nächsten großen Glasschilde vom zweiten, noch im Aufbau befindlichen Transitbereich herübertransportiert. »Wir haben Glück, daß wir gerade einen zweiten Transitbereich aufbauen«, sagte Gordon. »Denn sonst hätten wir eine Woche gebraucht, um neue Schilde hier runter zu schaffen. So haben wir die Schilde bereits im Transitraum. Wir müssen sie nur noch hier aufstellen. Das ist wirklich Glück.«

Stern blickte noch immer nach oben. Erst jetzt erkannte er, wie groß diese Schilde waren. Die gekrümmte Glaswand, die über ihm hing, war mindestens drei Meter hoch, fünf Meter breit und fast sechzig Zentimeter stark. Sie wurden in gepolsterten Schlaufen zu speziellen Befestigungsplatten im Boden transportiert. »Aber«, sagte Gordon, »wir haben keine Ersatzschilde. Wir haben nur einen vollständigen Satz.« »Und?«

Gordon ging zu einem der Schilde, die bereits an Ort und Stelle standen. »Im Grunde genommen kann man sich diese Dinger als große Flachmänner vorstellen«, sagte Gordon. »Es sind gebogene Behälter, die von oben befüllt werden. Und sind sie erst einmal mit Wasser gefüllt, sind sie sehr schwer. Ungefähr fünf Tonnen pro Stück. Die Krümmung der Schilde erhöht ihre Festigkeit sogar noch. Aber genau wegen dieser Festigkeit mache ich mir Sorgen.« »Warum?« fragte Stern.

»Kommen Sie mal näher.« Gordon fuhr mit dem Finger über die Glasoberfläche. »Sehen Sie diese winzigen Vertiefungen? Diese kleinen grauen Punkte? Die sind so klein, daß man sie nur bemerkt, wenn man ganz genau hinsieht. Aber das sind Fehler, die zuvor noch nicht da waren. Ich glaube, daß durch die Explosion winzige Tropfen Flußsäure in den zweiten Transitbereich gespritzt sind.« »Und das Glas angeätzt haben.«

»Ja. Leicht. Aber wenn diese Vertiefungen das Glas geschwächt haben, können die Schilde Risse bekommen, wenn sie mit Wasser gefüllt sind und das Glas unter Druck steht. Oder schlimmer noch, der ganze Schild kann bersten.« »Und wenn das passiert?«

»Dann haben wir keine komplette Abschirmung mehr«, sagte Gordon und sah Stern direkt in die Augen. »In diesem Fall können wir Ihre Freunde nicht sicher zurückbringen. Wir würden zu viele Transkriptionsfehler riskieren.«