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»Herrgott, Mortimer! Na, wenn das keine Überraschung ist!«, sagte sie, ohne Zeit an eine Begrüßung zu verschwenden. »Wo kommst du denn her?« Ihre Stimme klang barsch, aber ihr Gesicht konnte nicht ganz verbergen, dass sie sich über Mos Anblick freute.

»Hallo, Elinor«, sagte Mo und legte Meggie die Hand auf die Schulter. »Erinnerst du dich an Meggie? Sie ist ziemlich groß geworden, wie du siehst.«

Elinor warf Meggie einen kurzen irritierten Blick zu. »Ja, das sehe ich«, sagte sie. »Aber Kinder haben es schließlich an sich, zu wachsen, nicht wahr? Und soweit ich mich erinnere, habe ich weder dich noch deine Tochter in den letzten Jahren zu Gesicht bekommen. Was verschafft mir ausgerechnet heute die unerwartete Ehre deines Besuches? Willst du dich doch endlich meiner armen Bücher erbarmen?«

»Ganz genau.« Mo nickte. »Einer meiner Aufträge hat sich verschoben, ein Bibliotheksauftrag, du weißt ja, den Bibliotheken fehlt es immer an Geld.«

Meggie musterte ihn beunruhigt. Sie hatte nicht gewusst, dass er so überzeugend lügen konnte.

»Durch die Eile«, fuhr Mo fort, »konnte ich Meggie so schnell nirgendwo anders unterbringen, deshalb habe ich sie mitgebracht. Ich weiß, du magst keine Kinder, aber Meggie schmiert keine Marmelade in Bücher und sie reißt auch keine Seiten heraus, um tote Frösche damit einzuwickeln.«

Elinor ließ ein missbilligendes Brummen hören und musterte Meggie, als würde sie ihr jede Schandtat zutrauen, gleichgültig, was ihr Vater über sie sagte. »Als du sie das letzte Mal mitgebracht hast, konnten wir sie wenigstens in einen Laufstall sperren«, stellte sie mit kalter Stimme fest. »Das dürfte inzwischen wohl nicht mehr möglich sein.« Noch einmal betrachtete sie Meggie von Kopf bis Fuß - wie ein gefährliches Tier, das sie in ihr Haus lassen sollte.

Meggie spürte, wie ihr das Blut vor Ärger ins Gesicht schoss. Sie wollte nach Hause oder zurück in den Bus, irgendwohin, nur nicht im Haus dieser abscheulichen Frau bleiben, die ihr mit ihren kalten Kieselaugen Löcher ins Gesicht starrte.

Elinors Blick ließ von ihr ab und wanderte zu Staubfinger, der immer noch verlegen im Hintergrund stand. »Und das?« Fragend sah sie Mo an. »Kenne ich den auch schon?«

»Das ist Staubfinger, ein ... Freund von mir.« Vielleicht fiel nur Meggie Mos Zögern auf. »Er will weiter nach Süden, aber vielleicht könntest du ihn eine Nacht in einem deiner zahllosen Zimmer unterbringen?«

Elinor verschränkte die Arme. »Nur unter der Bedingung, dass sein Name keinerlei Bezug dazu hat, wie er mit Büchern umgeht«, sagte sie. »Allerdings wird er sich mit einer recht notdürftigen Unterkunft unter dem Dach zufrieden geben müssen, denn meine Bibliothek ist in den letzten Jahren sehr gewachsen und hat fast all meine Gästezimmer verschlungen.«

»Wie viele Bücher haben Sie denn?«, fragte Meggie. Sie war aufgewachsen zwischen Bücherstapeln, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich hinter all den Fenstern dieses großen, großen Hauses Bücher verbargen.

Elinor musterte sie noch einmal, diesmal mit unverhohlener Verachtung. »Wie viele?«, wiederholte sie. »Glaubst du etwa, ich zähle sie wie Knöpfe oder Erbsen? Es sind viele, sehr viele. Vermutlich stehen in jedem Zimmer dieses Hauses mehr Bücher, als du jemals lesen wirst - und einige sind so wertvoll, dass ich dich ohne zu zögern erschießen würde, solltest du es wagen, sie anzufassen. Aber da du ja, wie dein Vater versichert, ein kluges Mädchen bist, wirst du das natürlich ohnehin nicht tun, oder?«

Meggie antwortete nicht. Stattdessen malte sie sich aus, wie sie sich auf die Zehenspitzen stellte und der alten Hexe dreimal auf den Kopf spuckte.

Mo aber lachte. »Du hast dich nicht verändert, Elinor«, stellte er fest. »Eine Zunge so scharf wie ein Papiermesser. Doch ich warne dich: Wenn du Meggie erschießt, mache ich dasselbe mit deinen Lieblingsbüchern.«

Elinors Lippen kräuselten sich zu einem käferkleinen Lächeln. »Gute Antwort«, sagte sie und trat zur Seite. »Du hast dich offenbar auch nicht verändert. Kommt rein. Ich werde dir die Bücher zeigen, die deine Hilfe brauchen. Und noch ein paar andere.«

Meggie hatte immer geglaubt, dass Mo viele Bücher besaß. Nachdem sie Elinors Haus betreten hatte, glaubte sie das nie wieder.

Es gab keine herumliegenden Stapel wie bei Meggie zu Hause. Jedes Buch hatte offenbar seinen Platz. Doch wo andere Menschen Tapeten haben, Bilder oder einfach ein Stück leere Wand, hatte Elinor Bücherregale. In der Eingangshalle, durch die sie sie zuerst führte, waren es weiße Regale, die sich bis zur Decke streckten, in dem Zimmer, das sie danach durchquerten, waren sie schwarz wie die Fliesen auf dem Boden, ebenso wie in dem Flur, der darauf folgte.

»Diese da«, verkündete Elinor mit wegwerfender Geste, während sie an den dicht gedrängt stehenden Bücherrücken vorbeischritt, »haben sich im Laufe der Jahre angesammelt. Sie sind nicht weiter wertvoll, meist von minderer Qualität, nichts Außergewöhnliches. Sollten sich gewisse Finger nicht beherrschen können und irgendwann eins davon herausziehen«, sie warf Meggie einen kurzen Blick zu, »so wird das keine ernsthafteren Folgen haben. Solange diese Finger, nachdem ihre Neugier befriedigt ist, jedes Buch wieder an seinen Platz stellen und keine unappetitlichen Lesezeichen darin hinterlassen.« Bei diesen Worten drehte Elinor sich zu Mo um. »Glaub es oder glaub es nicht!«, sagte sie. »In einem der letzten Bücher, die ich gekauft habe, einer wunderschönen Erstausgabe aus dem neunzehnten Jahrhundert, habe ich doch tatsächlich eine eingetrocknete Salamischeibe als Lesezeichen gefunden.«

Meggie musste kichern, was ihr natürlich auf der Stelle einen weiteren wenig freundlichen Blick eintrug. »Das ist nicht zum Lachen, junge Dame«, sagte Elinor. »Einige der wunderbarsten Bücher, die je gedruckt wurden, gingen verloren, weil irgendein Hohlkopf von Fischhändler sie zerpflückt hat, um in die Seiten seine stinkenden Fische zu wickeln. Im Mittelalter wurden Tausende von Büchern vernichtet, weil man aus ihren Einbänden Schuhsohlen schnitt oder Dampfbäder mit ihrem Papier beheizte.« Die Erinnerung an so unglaubliche, wenn auch schon viele Jahrhunderte zurückliegende Schandtaten ließ Elinor nach Luft schnappen. »Gut, lassen wir das!«, stieß sie hervor. » Sonst rege ich mich zu sehr auf, mein Blutdruck ist eh viel zu hoch.«

Sie war vor einer Tür stehen geblieben. Auf das weiße Holz war ein Anker gemalt, um den sich ein Delphin wand. »Das ist das Zeichen eines berühmten Druckers«, erklärte Elinor und strich mit dem Finger über die spitze Delphinnase. »Genau das Richtige für den Eingang zu einer Bibliothek, oder?«

»Ich weiß«, sagte Meggie. »Aldus Manutius. Er lebte in Venedig. Er hat Bücher gedruckt, die gerade so groß waren, dass sie gut in die Satteltaschen seiner Auftraggeber passten.«

»Ach ja?« Elinor runzelte irritiert die Stirn. »Das wusste ich nicht. Auf jeden Fall bin ich die glückliche Besitzerin eines Buches, das er eigenhändig gedruckt hat. Und zwar im Jahre 1503.«

»Sie meinen, es stammt aus seiner Werkstatt«, korrigierte Meggie.

»Natürlich meine ich das.« Elinor räusperte sich und musterte Mo so vorwurfsvoll, als könnte nur er daran schuld sein, dass seine Tochter so extravagante Dinge wusste. Dann legte sie ihre Hand auf die Klinke. »Durch diese Tür«, sagte sie, während sie die Klinke mit fast weihevoller Andacht herunterdrückte, »ist noch nie ein Kind gegangen, aber da dein Vater dir vermutlich einen gewissen Respekt vor Büchern beigebracht hat, mache ich eine Ausnahme. Jedoch nur unter der Bedingung, dass du von den Regalen mindestens drei Schritte Abstand hältst. Akzeptierst du diese Bedingung?«

Einen Augenblick lang wollte Meggie ablehnen. Zu gern hätte sie Elinor dadurch verblüfft, dass sie ihre kostbaren Bücher mit Verachtung strafte. Aber sie konnte nicht. Ihre Neugier war einfach zu stark. Fast kam es ihr vor, als könnte sie die Bücher durch die halb offene Tür flüstern hören. Tausend unbekannte Geschichten versprachen sie ihr, tausend Türen zu tausend nie geschauten Welten. Die Versuchung war stärker als Meggies Stolz.