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»Ach ja?«

»Ja. In den meisten Gegenden, durch die wir gekommen sind, ist der Wald jungfräulich, ein Urwald, und die Bäume gehören nicht zu den Arten, die nach einer großen Feuersbrust wachsen würden.«

»Aha. Nun, ich möchte dein Wissen über Wälder und Bäume ja nicht anzweifeln, und auch nicht dein Wissen über Jungfrauen schließlich warst du schon zweimal eine ...«

»Halt den Mund«, erwiderte Rhapsody. Diesmal reagierte das Feuer; in die schwachen Flämmchen kam Leben, und sie brausten heftig auf. Rhapsody schob ihren Stuhl zurück, ging zum Mantelhaken neben der Tür und ergriff ihren Umhang. »Raus aus meinem Zimmer. Ich muss zu Jo.« Mit einer raschen Bewegung warf sie sich den Umhang über, wickelte dann die Schriftrolle wieder auf und drückte sie Achmed in die Hand.

»Danke für die Bettlektüre«, meinte sie sarkastisch, während sie die Tür aufhielt. »Ich nehme an, dass ich dir keine genauen anatomischen Anweisungen zu geben brauche, wohin du dir das Ding schieben sollst.« Achmed kicherte, und die Tür fiel hinter Rhapsody ins Schloss. Der Winter verlor seine Macht; zumindest hatte es den Anschein. Schon einige Zeit hatte er unentschlossen auf der Schwelle zum Abschied gestanden und sich gesträubt, seinen eisigen Griff zur Gänze zu lockern, aber dennoch widerwillig einem milderen Wind und freundlicherem Wetter nachgegeben. Die Vorfrühlingsluft war klar und kalt, doch sie trug bereits den Duft der Erde in sich, ein Versprechen, dass es bald warm werden würde. Vorsichtig erklomm Rhapsody die steilen Felsklippen, die zur Heide auf der Spitze der Welt führten, den weitläufigen Wiesen jenseits der Schlucht, die ein längst ausgetrockneter Fluss viele Jahrtausende zuvor in den Fels geschnitten hatte. Bis sie die Hochfläche erreicht hatte, war der Korb, den sie auf dem Kopf balancierte, schon zweimal fast umgekippt; Rhapsody war ein bisschen aus dem Gleichgewicht durch die zusätzliche Last der Ausrüstung für ihre bevorstehende Reise.

Jo, die oben auf der dunklen Heide wartete, beobachtete amüsiert, wie der Korb am Rand der Heide auftauchte, bedrohlich schwankte und wieder gerade ausgerichtet wurde. Scheinbar aus eigener Kraft bewegte er sich ein paar Schritte vorwärts, dann endlich tauchte ein goldener Haarschopf auf, gefolgt von leuchtenden grünen Augen. Gleich darauf wurde Rhapsodys Lächeln über der Kante sichtbar, eine kleinere Version des Sonnenaufgangs, der in ungefähr einer Stunde kommen würde.

»Guten Morgen«, rief sie. Immer noch war nur ihr Kopf zu sehen.

Jo stand auf und kam ihrer älteren, wenn auch kleineren Schwester lachend zu Hilfe. »Was brauchst du denn so lange? Für gewöhnlich schaffst du den Aufstieg doch im Handumdrehen. Anscheinend wirst du langsam alt.« Damit streckte sie Rhapsody die Hand entgegen und zog sie vollends zu sich hoch.

»Sei nett, sonst bekommst du kein Frühstück.« Lächelnd ließ Rhapsody ihre Last zu Boden gleiten. Jo hatte keine Ahnung, wie Recht sie mit ihrer Bemerkung über Rhapsodys angebliches Alter hatte. Nach ihren eigenen Berechnungen war Rhapsody in echter Zeit um die sechzehnhundertzwanzig Jahre alt, wobei abgesehen von zwei Jahrzehnten die gesamte Spanne verstrichen war, während sie mit den beiden Bolg in der Erde gewesen und an der Wurzel entlanggekrochen war.

Jo griff nach dem Korb und löste den Haken. Dann kippte sie den Inhalt ohne weitere Umstände auf das gefrorene Gras und übersah Rhapsodys entsetzte Miene geflissentlich.

»Hast du welche von den leckeren Honigbrötchen mitgebracht?«

»Ja.«

Schon hatte das Mädchen die Köstlichkeiten entdeckt und stopfte sich ein Brötchen in den Mund. Doch dann zog sie die klebrige Masse wieder heraus und betrachtete sie ärgerlich.

»Igitt! Ich hab dir doch gesagt, du sollst keine Rosinen reintun, die verderben den ganzen Geschmack.«

»Ich habe keine Rosinen reingetan. Das muss irgendwas vom Boden gewesen sein, vielleicht ein Käfer oder so.« Rhapsody lachte, während Jo ausspuckte und schließlich das halb gegessene Brötchen mit Schwung in die Schlucht beförderte.

»Und wo ist Ashe?«, erkundigte sich Jo. Jetzt saß sie mit übereinander geschlagenen Beinen auf dem Boden, nahm sich ein weiteres Brötchen und klopfte es sorgfältig ab, bevor sie es in den Mund steckte.

»Er müsste ungefähr in einer halben Stunde hier sein«, antwortete Rhapsody, die in ihrem Tornister wühlte. »Ich wollte noch ein Weilchen mit dir allein sein, ehe wir aufbrechen.«

Jo nickte mit vollem Mund. »Kommn Grmmthor unn Achmmd auch?«

»Ja, ich erwarte sie in Kürze. Obwohl ich mit Achmed heute früh eine kleine Auseinandersetzung hatte vielleicht macht er sich lieber nicht die Mühe, mir Lebewohl zu sagen.«

»Warum sollte ihn ein Streit daran hindern? Bei Achmed ist das doch der normale Umgangston. Was für ein Problem hatte er denn heute Morgen?«

»Oh, wir haben uns nur über ein cymrisches Schriftstück gestritten, das er mir letzte Nacht unter der Tür hindurchgeschoben hat.«

Jo schluckte und schenkte sich einen Becher Tee ein. »Kein Wunder, du weißt ja, wie sehr er die Dummrer hasst.«

Rhapsody verkniff sich ein Lächeln. Seit die Cymrer aus Serendair, ihrer Heimat, gekommen waren, galten sie, Grunthor und sogar Achmed theoretisch selbst als Cymrer, eine Tatsache, die sie aber Jo noch nicht hatte verraten dürfen. »Warum glaubst du das?«

»Ich hab ihn neulich nachts mit Grunthor reden hören.«

»Ach ja?«

Jo lehnte sich großspurig zurück. »Er hat gesagt, du steckst ganz schön in der Scheiße.«

Rhapsody grinste. »Wirklich?«

»Ja. Er meinte, die Drachin hat wahrscheinlich irgendwelche cymrischen Pläne, weil sie es nämlich war, die die Arschgeigen hierher geholt hat, um ihrem Geliebten zu gefallen so hat er sie genannt: Arschgeigen.«

»Ja, ich glaube, ich habe selbst gehört, wie er das Wort gebraucht hat.«

»Dann hat er noch gesagt, du wolltest mehr über die Cymrer herausfinden, um sie wieder an die Macht zu bringen, und dass das dumm ist. Er findet, die Bolg haben deine Zeit und deine Aufmerksamkeit viel mehr verdient, ganz zu schweigen von deiner Loyalität. Stimmt das denn?«

»Das mit den Bolg?«

»Nein, das mit dem Cymrern.«

Rhapsody ließ den Blick zum Horizont wandern. Direkt über dem Land färbte der Himmel sich kobaltblau, ansonsten war von der Morgendämmerung noch nichts zu erkennen. Als Rhapsody an Llauron denken musste, bekam sie rote Backen. Llauron war der Fürbitter der Filiden, des religiösen Ordens des westlichen Waldlands und einiger Provinzen von Roland, ein sanfter, schon etwas älterer Mann.

Nicht lange, nachdem Rhapsody mit ihren beiden Gefährten angekommen war, hatte Llauron sie zu sich genommen und sie in ihrer neuen Heimat willkommen geheißen. Er hatte sie die Geschichte des Landes gelehrt und dazu noch viele nützliche Dinge, die Achmed jetzt beim Aufbau seines Imperiums halfen, darunter Pflanzenkunde, Kräuterkunde und das Heilen von Menschen und Tieren. Noch immer bestand seine eindringliche Stimme in ihrem Kopf darauf, dass sie Erkenntnisse und Lösungen von Problemen lieferte, die sie nicht wirklich begriff.

Du kennst jetzt die Geschichte der Cymrer und weißt von den Gefahren, die uns alle wieder bedrohen. Hilf mir, indem du deine Augen und Ohren offen hältst und mir berichtest, wie es um die Dinge draußen in der Welt bestellt ist.

Dazu bin ich gern bereit, aber...

Schön. Und denk daran, Rhapsody, auch wenn du von niedrigem Stand bist, so kannst du einer fürstlichen Sache dennoch sehr wohl dienlich sein.

Ich verstehe nicht ganz.

Llaurons Augen hatten voller Ungeduld gebrannt, wenngleich seine Stimme nach wie vor beherrscht und ruhig geklungen hatte. Das Ziel ist die Wiedervereinigung der Cymrer. Ich dachte, das sei dir klar. Nach meiner Überzeugung kann uns nur eines vor der völligen Zerstörung durch all diese unerklärlichen Aufstände und Akte des Terrors bewahren, und das ist die Wiedervereinigung von Roland und Sorbold und nach Möglichkeit auch der Bolgländer unter einem neuen Königspaar. Die Zeit drängt. Du bist zwar nur ein Bauernmädchen nimm daran bitte keinen Anstoß, die meisten meiner Anhänger sind Bauern, hast aber ein wunderhübsches Gesicht und eine überzeugende Stimme. Du könntest mir in dieser Sache von großer Hilfe sein. Und jetzt, bitte, sag mir, dass du mir den Gefallen tun wirst. Du willst doch auch, dass in dieses Land endlich Frieden einzieht, oder? Und dass das Schänden und Morden so vieler unschuldiger Frauen und Kinder endlich ein Ende hat, das willst du doch auch, nicht wahr?