Выбрать главу

Dann explodierte die Welt.

Aus jeder von Erde bedeckten Stelle brachen riesenhafte Schlingpflanzen hervor, jede so dick wie eine alte Eiche, zerrissen die Luft und zerschmetterten die Felswände. Der Boden unter ihren Füßen buckelte und bäumte sich auf, zerschellte unter der Wand dorniger Leiber, während noch größere Wurzeln aus der Erde schössen, die Gefährten umringten und sie herumstießen wie Glasmurmeln.

Eine Wolke widerlichen Gestanks wallte auf, dass es ihnen den Atem verschlug. Der Geruch war unverkennbar.

F’dor.

Achmed schlug die Arme über den Kopf, als ihn ein großer herunterfallender Gesteinsbrocken traf, von ihm abprallte und Schockwellen durch seine Schultern und seinen ganzen Körper sandte. Er spürte den Herzschlag seiner Freunde in wildem Crescendo rasen, wie Hagel auf seiner Haut. Rhapsody war in dem Tumult der Erdaufwerfungen und peitschenden Ranken ganz aus seinem Gesichtskreis verschwunden. In der Hoffnung, dass sie ihn noch hören konnte, schrie er: »Raus hier!« und versuchte, seine Lungen vom Staub frei zu husten. Als Antwort tauchte mitten in dem herabstürzenden Schutt ein vibrierendes Licht auf, das durch die alles verhüllenden schwarzen Aschewolken schimmerte. Ein metallischer Klang wie von einer Fanfare begleitete dieses Licht, und Achmed spürte ein elektrisches Prickeln, das ihm durch Mark und Bein ging. Die züngelnden Flammen schwebten einen Augenblick regungslos in der Luft und begannen dann einen wilden, schwirrenden Tanz, während das Schwert auf die sich windenden Ranken einhieb und Lichtstrahlen in der Dunkelheit der zerberstenden Kammer verschickte. Die Iliachenva’ar hielt ihre Stellung und schlug zurück. Ein ohrenbetäubendes Brüllen brandete neben Achmed auf. Als er sich umwandte, sah er gerade noch, wie ein riesiger Fangarm Grunthors Fuß erwischte, ihn von dem Felsbrocken, auf den er gefallen war, wegzerrte und mit dem Kopf nach unten in die rauchige Luft riss. Blitzschnell schlangen sich Dutzende Peitschenranken um seinen Hals und seine Gliedmaßen und zogen sich dann gleichzeitig und mit entsetzlicher Kraft zusammen. Wieder brüllte Grunthor auf, mehr vor Wut denn vor Schmerz, aber schließlich erstickten die Schlingen seine Schreie.

Mit einer einzigen Bewegung beider Handgelenke zückte Achmed den Dolch, stürzte zu der Stelle, wo der Riese hing, und stach weit ausholend auf die sich windenden Tentakeln ein. Blitzschnell griff er nach einer von Grunthors Waffen, die umgekehrt in der Scheide baumelten, und machte sich beidhändig an der würgenden Ranke zu schaffen. Als Erstes nahm er sich die Schlingen vor, welche die Handgelenke des Riesen umschlossen, und hatte gerade eines befreit, als ein dicker, klauenartiger Seitentrieb vorschnellte, Achmed gegen einen Erdhaufen schleuderte und unter sich festnagelte.

Achmed atmete flach, um den Schmerz in den Rippen weniger zu spüren. In einiger Entfernung hörte er noch immer das Klirren der Tagessternfanfare, das Zischen und Kreischen der Ranken, wenn Rhapsody sie durchtrennte und ihre Enden versengte. Ihr Herzschlag war neben dem donnernden Pochen, das von Grunthor ausging, bemerkenswert langsam und konzentriert. Dem Klang nach hatte der Sergeant sich inzwischen befreit und hackte jetzt auf die Ranke ein, die Achmed gefangen hielt. Einen Augenblick später riss das riesenhafte Ding denn auch tatsächlich in zwei Teile, und der BolgRiese zerrte Achmed aus dem Morast anderer glitschiger Wurzeln, die sich unter ihm schlängelten, zischten und wie Schlangen nach seinen Fersen züngelten.

»Hrekin«, fluchte der Sergeant und rang heftig nach Atem. Es war das Letzte, was Achmed von ihm hörte, ehe der Boden unter seinen Füßen sich abermals aufbäumte und ihn dorthin zurückwarf, wo einst der Eingang der Kammer gewesen und jetzt nichts weiter als eine bröckelnde Ruine war.

Der Dolch wurde Achmed aus der Hand gerissen und fiel zu Boden; in dem Getöse um ihn herum konnte er nicht hören, wo er landete. Die kalte, brandige Hand der Angst packte seine Eingeweide, als ihm klar wurde, dass es unmöglich war, der monströsen Wurzel zu entfliehen, dieser Dämonenranke, welche die Kammer des Schlafenden Kindes zu verschlingen drohte. Der Katafalk des Erdenkinds war verschwunden, schon in den ersten Augenblicken des Angriffs in die Luft gesprengt. Es bestand kaum ein Zweifel, dass der Körper des Mädchens unter dem Schuttberg begraben lag, oder noch schlimmer von den Tentakeln der Schlangenranke gefesselt in die Fänge des F’dor gezerrt wurde, genau wie Jo. Achmed schmeckte den eigenen Tod auf der Zunge.

Eiskalte Wellen der Furcht schlugen über ihm zusammen. Nicht den Tod als solchen fürchtete er, sondern die Hände, die ihn bescherten. Er hatte sich an die Freiheit gewöhnt, die nun seit jenem schwülen Tag in den Gassen von Ostend sein Eigen gewesen war, damals in einem anderen Leben, als Rhapsody seinen Namen geändert und ihn von der unsichtbaren Fessel der Dämonensklaverei befreit hatte. Inzwischen hatte er fast wieder gelernt, unbeschwert zu atmen, daran zu glauben, dass sein Leben, seine Seele wieder ganz ihm allein gehörten. Doch nun nahte der Tod und würde ihn zurückholen in die Eisenklaue des Dämons. Und was noch schlimmer war: Seinen Freunden stand das gleiche Schicksal bevor. Plötzlich drang ein leises Pfeifen wie von Wind in seine Ohren und erweiterte sich einen Augenblick später in vier verschiedene Noten, die in einem einzigen Atemzug gehalten wurden. Der Ritualgesang hallte in seinem Kopf wider und vibrierte in seinem dhrakischen Blut. Durch den Tumult hindurch sah er die Großmutter nicht, aber er hörte sie klar und deutlich, die fünfte Note des Bannrituals, die wie ein Messer durch den Lärm schnitt. Als das rituelle Klicken sich zu der monotonen Melodie gesellte, pulsierte der brodelnde See von Wurzeln und Ranken im selben Rhythmus und erstarrte dann unvermittelt. Einen Augenblick lang nahm Achmed alle Geräusche um ihn herum sehr deutlich wahr das Pochen des Rankennetzes, das jetzt die gesamte Höhle füllte und Achmed mit seinen gigantischen Ausmaßen zu einem Zwerg reduzierte, das klingende Summen der Tagessternfanfare, die in der Finsternis außerhalb seiner Reichweite funkelte, das Zischen und Knurren der tausend schlangenartigen Fangarme ganz in seiner Nähe, die jederzeit zuzuschlagen drohten; dazu Rhapsodys flackernder Herzschlag und der rituelle Rhythmus, der Puls der Großmutter. Aber Grunthors Herz war nicht darunter. »Achmed!« Rhapsodys Stimme war kaum hörbar, Qualm stieg von der Stelle auf, woher sie kam. So schnell er konnte, drängte sich Achmed an einem Wirrwarr züngelnder Ranken vorbei, ohne auf ihre Angriffsversuche zu achten, und arbeitete sich immer weiter zu Rhapsody durch, dem Klang ihres Herzschlags folgend. Zwischen zwei große Erdplatten eingeklemmt, fand er sie, wie sie das Ende eines gigantischen Fangarms mit Hilfe der Tagessternfanfare versengte. Der Ausläufer der Dämonenranke ächzte und verglühte im ätherischen Feuer. Rhapsodys Blick begegnete dem seinen, und ihre Augen brannten mit der gleichen Heftigkeit wie ihr Schwert.

»Elementares Feuer tötet sie ab«, erklärte sie leise, als er nahe genug war, dass er sie verstehen konnte. »Höre ich da etwa das Bannritual?«

Achmed nickte und zuckte zusammen, weil ein stechender Schmerz seinen Kopf durchzuckte.

»Die Ranke ist ein Ausläufer des Dämons, ein Gebilde, wie es auch der Rakshas war«, antwortete er, während er dem sehnigen Fleisch der Ranke auswich. »Dein Schwert kann die dämonische Essenz vielleicht für den Augenblick stauen, aber es kann die Wurzel nicht töten; sie ist viel zu stark.«

»Vingka jai«, sagte Rhapsody zu der Flamme, die am Ende der Wurzel glomm. Brenne und breite dich aus. Das Feuer loderte auf in gerechtem Zorn, und die Ranke kreischte vor Wut und Schmerz.