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Dann beobachtete Rhapsody staunend, wie der Körper des Schlafenden Kindes flüssig zu werden und sich auszudehnen schien. Brust und Kopf schimmerten und leuchteten in einem eigenen Licht. Das Fleisch des langen, steingrauen Körpers, der im flackernden Licht des Feuerbrunnens glänzte, reckte sich in einem absurden Tanz, drehte sich hypnotisch, grotesk in Erdfarben, wie sie Rhapsody noch nie so schön gesehen hatte feinste Schattierungen von Zinnoberrot und Grün, Braun und Purpur. Wie Brotteig, der geknetet wird, dachte sie, als der Bauch des Kindes länger wurde und sich dann nach oben dehnte. Ätherischer Brotteig. Doch dann holte sie ein beißender Gestank jäh aus ihrer Versunkenheit in die Gegenwart zurück. Blitzschnell wandte sie sich von der Verwandlung des Erdenkindes ab und sah, wie Achmed sein Schwert durch die schmalen Kanäle des Straßenlampensystems im Loritorium zog, als triebe er eine Herde winziger Tiere durch die engen Gänge. Der Geruch brachte ihre Augen zum Tränen, ihre Nase lief, und Panik durchfuhr sie, als erkannte, was da so durchdringend roch.

Er hatte den Steindamm des Lampenöls geöffnet! Sie sah, wie es aus dem Reservoir sprudelte und sich in einem breiten Fluss vom Zentrum des Platzes zum Tunnel wälzte, der zur Kolonie führte, wie es die Straßen erfüllte und sich gefährlich dem Feuerbrunnen näherte.

»Himmel, was machst du?«, rief sie. »Geh da weg! Das Zeug fängt doch ganz leicht an zu brennen!«

Doch Achmed machte weiter und leitete die dicke Flüssigkeit durch die Kanäle zu der dem Tunnel nach Ylorc am nächsten liegenden Halbmauer.

»Genau darum geht es mir ja.« Er wandte sich um und starrte sie an, während er das dickflüssige Zeug von seinem Schwert schüttelte und die Waffe wieder in die Scheide steckte.

»Wie sollen wir die Dämonenranke sonst töten? Du hast selbst gesagt, dass Feuer sie versengt. Das Gewächs zapft bereits die Kraft der Axis Mundi an, für den Fall, dass du das noch nicht bemerkt hast. Wenn wir sie nicht abschneiden, wenn wir sie hier nicht mit Stumpf und Stiel verbrennen, dann wird die Wurzel irgendwann bis hinunter zum anderen Schlafenden Kind reichen.« Er stopfte den Verschluss an seinen Platz zurück und sah Rhapsody wieder an. Seine nicht zusammenpassenden Augen funkelten gespenstisch im Feuerschein. »Zünd es an.«

»Das können wir noch nicht tun«, entgegnete Rhapsody, der auf einmal ganz kalt wurde.

»Grunthor und die Großmutter sind noch da drin.«

Achmed deutete mit einem Kopfnicken hinter sie, und Rhapsody wirbelte herum. Der Körper des Schlafenden Kindes war grotesk angeschwollen und hatte jede Proportion verloren. Ein Oval aus Erdfleisch wurde größer, streckte sich vertikal und dann horizontal. Mit einer rollenden Bewegung wölbte es sich nach oben, als teilte es sich, und ging mächtig in die Höhe. Dann vollführte es eine letzte Drehung und löste sich schließlich vom Körper des Kindes, das jetzt, deutlich kleiner und regungslos, auf der Platte aus Lebendigem Gestein lag. Das glühende Licht in dem nun abgetrennten Stück wurde schwächer und nahm die Farbe von Stein an, dann wurde es vor ihren Augen zu graugrüner Haut, ölig und ledern. Stück für Stück wurden seine Umrisse genauer und nahmen menschenähnliche Gestalt an, wo einen Augenblick zuvor nur formlose Masse gewesen war. Rhapsodys Augen weiteten sich vor Staunen.

»Grunthor!«

Der Riese atmete aus und stolperte nach vorn, fing sich aber, indem er sich am Altar aus Lebendigem Gestein festhielt. »Hrekin«, murmelte er schwach. Rhapsody wollte auf ihren Freund zustürzen, aber ein schraubstockartiger Griff hielt sie am Arm fest. Sie blickte hinauf in die Augen des Firbolg-König s, die mit einem Zorn brannten, der heißer war als die Flammen des Feuerbrunnens. Er deutete auf die Spur des Lampenöls, eine flüssige Zündschnur vom Feuerbrunnen in die dunkle Höhle der Kolonie.

»Es hätte keine Rolle gespielt, wenn er da drin gewesen wäre. Wir haben keine andere Wahl. Zünd es an.«

Rhapsody erschauderte angesichts der verzehrenden Wut in Achmeds Augen, dem Siegel des unauslöschlichen Hasses, den seine halb dhrakische Natur den F’dor und all ihren Dienern entgegenbrachte. Keine Liebe, keine Freundschaft, keine Vernunft konnten diesen Hass ins Wanken bringen oder gar auflösen. »Die Großmutter ist noch da drin«, wandte sie stockend ein. »Würdest du sie auch sterben lassen?«

Achmed starrte einen Moment auf sie herab, dann schloss er die Augen und ließ dem Pfadwissen, das er sich im Bauch der Erde angeeignet hatte, freien Lauf. Seine innere Sicht eilte durch die blassen Marmorstraßen, folgte der Flut des Lampenöls durch das Loch in dem Erddamm, unter dem sie durchgekrochen waren, über die zerbrochenen Mauern und zerschmetterten Steinplatten, die einst die letzte Kolonie seiner Rasse gebildet hatten. Seine Gedanken flogen über den eingestürzten Torbogen und seine zerborstene Inschrift, unter den sich mit neuer Kraft windenden Ranken und Wurzeln hindurch. Selbst hier, auf den Straßen des Loritoriums, spürte er, wie der Gestank des F’dor zunahm, sah den Lehm der Erde beben, als er sich bereit machte nachzugeben.

In den Ruinen der Kammer des Schlafenden Kindes hielt seine zweite Sicht inne. Dort sah er die Großmutter, umgeben von einem regelrechten Käfig aus zischenden, angriffsbereiten Fangarmen, ein Bein unter einem herabgestürzten Granitblock eingeklemmt. Ihre linke Hand war in die Höhe gereckt, zitternd vor Anstrengung, die rechte gegen den Stein gestemmt, der sie gefangen hielt. Bäche giftigen Lampenöls flössen über sie hinweg und füllten allmählich die Höhle.

Die Großmutter schien winzig klein inmitten der gigantischen Schlingpflanzen, die drohend über ihr schwebten, die stämmigen Seitenarme vor Wut angeschwollen, verirrt zwisehen den Resten des Höhlenbodens. Die Wurzeln, überzogen von glänzendem Öl, fauchten und schlugen nach der Dhrakierin, kamen näher und näher, während die Kräfte der alten Frau immer mehr nachließen.

Gerade als sein Verstand das Grauen dieses Anblicks registrierte, wandte sich die Großmutter ihm zu, und ihr Blick begegnete seinem. Ein winziges Lächeln, das erste, das er je bei ihr gesehen hatte, breitete sich auf ihrem uralten Gesicht aus, das nach so vielen Jahrhunderten ernster Wachsamkeit voller Falten und Runzeln war. Sie nickte ihm zu, und mit letzter Kraft bot sie der Ranke, die den Bann zu brechen drohte, erneut die Stirn. Achmed unterdrückte die urtümliche Wut, die in Gegenwart der ihm so tief verhassten Rasse der F’dor in seinem Blut brannte, und schluckte auch die Galle hinunter, die in seiner zugeschnürten Kehle aufgestiegen war, als die Vision langsam verschwand. Dann drückte er noch einmal Rhapsodys Arm.

»Zünd es an«, wiederholte er mit leiser, tödlicher Stimme.

Mit einem heftigen Ruck riss sich Rhapsody los. »Lass mich«, fauchte sie. Ärgerlich wollte Achmed nach der Tagessternfanfare greifen. »Verdammt ...« Erschrocken wich er zurück, als sie mit einer blitzartigen Bewegung das Schwert zückte, über seine Handfläche strich und seine Haut versengte.

»Versuch nie wieder, mir dieses Schwert aus der Hand zu reißen, es sei denn, du bist bereit, dein eigenes zu ziehen«, schrie Rhapsody.

»Himmelskind?«

Die drei Gefährten erstarrten und sahen sich suchend im Loritorium um, woher die Stimme der Großmutter gekommen sein mochte. Das Klicken, der sandige Klang, den Rhapsody nur in einer einzigen anderen Stimme gehört hatte, war unverkennbar. Doch das eine Wort klang angestrengt und sehr leise.

Grunthor erkannte zuerst, woher die Stimme kam.

»Da drüben, Schätzchen«, rief er und deutete auf das Schlafende Kind. Benommen trat Rhapsody an den Altar aus Lebendigem Gestein. Sie starrte auf die glatte graue Haut, das grobe braune Haar, das dem Hochgras in der Hitze des Sommers so ähnlich war. Zärtlich ließ sie die Hand über die Stirn des Kindes gleiten und wischte ihm die Schmutzreste vom Gesicht. Auf einmal spürte sie einen Kraftstrom, eine Schwingung, die vom Stein des Altars durch den Körper des Kindes drang, sich prickelnd auf ihrer Hand ausbreitete und direkt zu ihrem Herzen floss. Sie musste sich zwingen zu antworten.