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Doch was Achmed in den Vogelrufen bemerkte, war ein besonders musikalisches Zwischenspiel, ein hoher Triller, der alle acht Herzschläge wiederholt wurde und die Reizung seiner Haut durch all die anderen Vogellieder erträglich machte. Der Triller dämpfte die Nadelstiche zu einem besänftigenden Summen, das sich beinahe angenehm anfühlte. Er kannte dieses Gefühl.

Genauso empfand er Rhapsodys Nähe.

Achmed stieß langsam die Luft aus. Darin lag die Ironie: Obwohl ihn die Entscheidungen der cymrischen Herrscherin, die sie während der letzten anderthalb Jahrtausende getroffen hatte, immer wieder genauso verwirrt hatten wie ihr offenherziger und hohlköpfiger Idealismus, hatte sie eine angeborene musikalische Schwingung an sich, welche die unablässigen Qualen linderte, die ihm das Leben in jedem wachen und schlafenden Augenblick auferlegte.

Sobald ihm dieser Gedanke gekommen war, wurde die Tür geöffnet. Rhapsody betrat den Raum, was Achmed wusste, ohne in ihre Richtung zu schauen, denn plötzlich ließen die Schmerzen auf seiner Haut nach, wurden besänftigt durch die Schwingungen, die sie überallhin mitnahm.

Er drehte sich nicht einmal um, als sie zum Fenster kam. »Wo ist dieses kreischende Ding?«, fragte er, während er den Formationsflug der Schwalben über dem Balkongitter beobachtete und zusah, wie die Vögel dabei die warmen Aufwinde nutzten. »Ich dachte, es ist für immer und ewig an deiner Brust festgeklebt.«

Rhapsody kicherte. »Sein Vater hat ihn«, sagte sie, stellte sich neben ihren Gefährten und folgte seinem Blick, während die Vögel über den Turm der Festung und außer Sichtweite flogen. »Und für einen Neugeborenen ist er wirklich sehr ruhig. Aber vielleicht ist deine Rasse in ihrer ersten Zeit noch stiller, so wie sie es in allen Lebensaltern ist. Schreien dhrakische Kinder nie, wenn sie Hunger haben oder Kälte verspüren? Oder teilen sie ihre Bedürfnisse stumm mit, so wie es eure Erwachsenen tun?«

Achmed zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er nur. »Ich bin nicht von Dhrakiern, sondern von Bolg aufgezogen worden, wie du dich erinnern wirst. Ich weiß nicht mehr über dhrakische Kinder als du.«

Endlich drehte er sich um und sah sie an. Dabei zuckte er zusammen. Eines der schönsten Merkmale ihres Gesichts war immer die große Anzahl der Farben gewesen. Ihre rosige Haut hatte sich vom Smaragdgrün ihrer Augen abgehoben und war von blondem Haar eingerahmt gewesen, welches das Licht in jedem Raum eingefangen hatte. Achmed kannte sie aus einer Zeit, in der sie noch nicht die ernsthafte Herrin des Bündnisses, sondern eine lebhafte Straßenhure gewesen war. Zwar war für ihre sagenhafte Schönheit auch das elementare Feuer verantwortlich, das sie einst in sich aufgenommen hatte, doch sie war schon immer eine wunderbare Frau gewesen, auch in der schlechten alten Zeit auf der lange untergegangenen Insel Serendair, eine halbe Welt weit entfernt.

Als er sie nun betrachtete, sah er eine völlig andere Frau. Rhapsodys für gewöhnlich sonnengebräunte Haut war so blass wie Porzellan, ihre Augen hatten eine schwächere Grüntönung und waren wie Frühlingsgras statt wie ein Wald im Sommer. Ihr leuchtendes Haar hatte ein wenig von seinem Glanz verloren, und ihre Fingerspitzen sowie das Weiße in ihren Augen schienen blutleer zu sein. Sie wirkte müde und abgespannt, was nicht verwunderlich bei einer Frau war, die soeben eine schwierige Geburt überlebt und dabei dem Tod sehr nahe gewesen war.

»Ich dachte, dein Gemahl hätte uns alle gebeten zu schweigen«, sagte er und schaute wieder aus dem Fenster.

»Das hat er auch.« Rhapsody trat näher an ihn heran und legte ihre kleine Hand in seine. »Und ich werde mich an diese Bitte halten, sobald ich dir noch einmal dafür gedankt habe, dass du mein Leben und das meines Kindes gerettet hast. Wir können später weiterreden, aber es ist mir nicht möglich, noch einen einzigen Moment verstreichen zu lassen, ohne dir zu sagen, wie dankbar ich dafür bin, dass du mein Freund bist, was für schlimme Dinge ich auch immer in der Vergangenheit zu dir gesagt haben mag. Ich hoffe, du wirst mir dafür vergeben.«

Achmed sah sie nicht an, sondern nickte nur und starrte weiterhin aus dem Fenster. Rhapsody beobachtete ihn schweigend, aber er erwiderte ihren Blick nicht mehr, sondern folgte nur noch dem Flug der Schwalben im warmen Winterwind. Als die Stille schließlich beklemmend wurde, drückte sie seine Hand, verließ den Raum und nahm die besänftigende Musik der Schwingungen, die sie verbreitete, mit sich – und damit auch den Rest von Achmeds halbwegs guter Stimmung.

Als er den fernen Widerhall ihrer Schritte auf dem polierten Marmorboden der Halle hinter seiner Tür nicht mehr hören konnte, sprach er das aus, was er ihr in einem anderen Leben gesagt hätte. »Ich spüre, wie sich die ganze Welt enträtselt.«

In der Nähe der Grenze Zwischen den Provinzen Navarne und Bethania

Die Soldaten waren Veit, dem Obsthändler, lange auf der Straße gefolgt, bevor er sie bemerkte.

Für gewöhnlich hielt Veit sich für einen recht aufmerksamen Mann, doch der späte Winterwind hatte ihm fast den ganzen Tag über in die Augen gestochen, und die Straßen im östlichen Navarne waren hügelig und wanden sich um die frostigen Erhebungen und Heuschober herum, die den weiten, leeren Feldern dieses nur spärlich bewohnten Ackerlandes ihr unverwechselbares Aussehen verliehen. Er schaute erst hinter sich, als er sich auf der geraden, ebenen Straße hinter dem Dorf Byrony befand, und nun bestand für ihn keine Möglichkeit mehr, sich zu verstecken oder einen Grund für eine Rast auf seiner Reise zu finden.

Als er die dunkle Masse in der Ferne näher kommen sah, schnalzte er seinem Pferd zu und wurde langsamer. Er wollte ins Gras ausweichen, falls es nötig werden sollte.

Schweißperlen traten ihm auf die gerunzelte Stirn, die vorhin in der späten Morgensonne noch kühl und trocken gewesen war. Veit wusste nicht warum, aber plötzlich war er unruhig und sehnte sich stärker nach seinem Zuhause als noch einen Augenblick zuvor.

Beruhige dich, du Idiot, dachte er. Von Rolands Soldaten hast du nichts zu befürchten. Du hast nichts Unrechtes getan.

Trotzdem blieben die Haare in seinem Nacken aufgerichtet, als schmuggele er gestohlene Juwelen, anstatt bloß eine Ladung Winteräpfel zu transportieren, die er glücklicherweise in Kylis Torheit, einem Gehöft im südlichen Bethania, hatte erwerben können.

Als der Boden unter seinem Wagen erzitterte und die Erschütterungen sich bis zu der Fahrerbank fortsetzten, auf der er saß, erkannte Veit plötzlich, warum er so unruhig war. In den letzten Jahren waren die Kaufleute von der Krone ermuntert worden, sich den bewachten Postkarawanen anzuschließen, die über die transorlandische Straße rollten. Sie war in cymrischer Zeit erbaut worden und durchschnitt Roland von der Westküste bis zum Rande der Manteiden im Osten, jener Gebirgskette, die auch als die Zahnfelsen bekannt war. Es war zwar nicht ungesetzlich, die Abkürzung zu nehmen, auf der Veit unterwegs war, aber er vermutete, dass er von den herannahenden Soldaten dafür eine Abreibung erhalten würde.

Er warf einen verstohlenen Blick über die Schulter und seufzte schwer. Das Blau und Silber der Insignien war nun zu erkennen und bestätigte, dass es sich um Truppen handelte, die mit dem Herrscher der Cymrer verbunden waren. Veit zwang sich dazu, ruhiger zu werden, und bereitete sich auf ein paar Peitschenhiebe vor.

Sie kamen nicht.

Der Bolzen traf ihn im Rücken zwischen den Schulterblättern, knapp oberhalb des Brustkorbes.

Zuerst verstand Veit nicht, was geschehen war. Er wusste nur, dass er spürte, wie ihm die Luft ausging, als er versuchte, die Pferde ruhig zu halten, und kurz darauf wurden seine Beine taub. Dann war da nichts mehr, keine Empfindung mehr in seinem Unterkörper. Er versuchte sich umzudrehen und zu winden, aber er verlor dabei nur das Gleichgewicht, stürzte aus dem Wagen und hätte sich beinahe im Zaumzeug verfangen.

Zwar spürte der Obsthändler seine Beine nicht mehr, dafür aber jeden Kiesel der Straße, der sich ihm ins Gesicht drückte. Er fühlte den Schock und dann den Schmerz, als seine Nase unter seinem schlaffen Körper gegen den Boden gedrückt wurde. Er rang nach Atem, während ihn die Straße durchschüttelte. Ein Wirrwarr von Fragen bestürmte seinen verblüfften Geist, doch ein alles beherrschender Instinkt warnte ihn und riet, reglos zu bleiben und so zu tun, als wäre er tot.