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Aus viel tieferen Schichten.

Es war, als lausche die Erde selbst.

Tief in ihrer Höhle aus verkohlter Erde hatte die Drachin die Nachbeben gespürt, welche von der Sprengung des Berggipfels ausgegangen waren.

Ihr Bewusstsein hatte jahrhundertelang geschlummert, doch nun summte es leicht vor Erregung. Es reichte aus, um jene Empfindungen zu wecken, die seit ihrer Beisetzung im Grab aus geschmolzenem Stein und Feuerasche unter dem alten Großen Gerichtshof Winterschlaf gehalten hatten.

Zuerst war ihr dieses Gefühl unangenehm. Benommen bekämpfte sie es und versuchte, in das friedliche Vergessen des todesähnlichen Schlafes zurückzusinken. Doch als das Vergessen sich weigerte zurückzukehren, bekam sie Angst, denn sie fühlte sich in diesem Körper, an den sie sich nicht mehr erinnerte, höchst unwohl.

Kurz darauf wurde die Angst zu Entsetzen und vertiefte sich schließlich zu einem furchtbaren Grauen. Als die Unruhe über ihre Haut lief, erschütterte sie den Boden ihres Grabes und schickte leichte Schockwellen durch die Erde über ihr und um sie herum. Fern erspürte sie die Gegenwart einiger Firbolg-Wachen aus Ylorc, dem Bergreich, das an ihr Grab grenzte. Sie waren gekommen, um die Ursache des Bebens zu erforschen, doch die Drachin war so verwirrt, dass sie nicht genau wusste, wo sich die Soldaten befanden.

Schließlich verschwanden sie wieder und hinterließen bei ihr nur noch größere Verwirrung.

Die Drachin regte sich in ihrem Grab aus verbrannter Erde und drehte sich ganz leicht von einer Seite auf die andere. Sie beherrschte ihren Geist noch nicht genug, um sich mehr zu bewegen, und ihr Atem, den sie für lange Zeit nur in winzigen Wellen ausgestoßen hatte, war zu flach, um ihr größeren Raum zu verschaffen.

Die Erde, das Element, aus dem sie geboren war, drückte sie nieder und presste die Luft aus ihr. In ihrem verschwommenen Verstand drangen schreckliche Bilder des Erstickens empor.

Doch schließlich, nach scheinbar endloser Zeit in den Fängen des Grauens, schien durch das Chaos ihrer Gedanken und verwirrten Gefühle ein Leuchtfeuer – das klare, reine Licht ihres angeborenen Drachensinnes. Tief verborgen in den Strömen ihres alten Blutes, erhob sich ihr innerstes Bewusstsein, das in ihrem vergessenen Leben Waffe und Fluch zugleich gewesen war. Es klärte alle Rätsel, stillte die Panik, Zelle für Zelle, Nerv für Nerv, brachte in winzigen Augenblicken Klarheit, wie Steinchen eines Mosaiks, die plötzlich ein Ganzes ergeben, oder wie ein Bild, das allmählich schärfer wird.

Mit der Klarheit kam wachsame Ruhe.

Die Drachin fasste den Willen, leichter zu atmen, und ihr Wille allein ließ es geschehen.

Sie begriff ihre Gestalt nicht. In ihrer schlaftrunkenen Vorstellung war sie noch immer eine Frau von menschlichem Fleisch und Blut, kein Wurm, kein Tier, keine Schlange. Daher war sie verblüfft von ihrem Umfang, ihrer Schwere und den unbrauchbaren Armen und Beinen, mit denen sie sich nicht wie früher vom Boden abdrücken konnte. Ihre Verwirrung wurde von der fehlenden Verbindung zwischen Geist, Körper und Erinnerung verursacht – eine dunkle Bühne, auf der noch keine Schauspieler erschienen waren. In ihrem beschränkten Bewusstsein erinnerte sie sich nur an einen endlosen Sturz durch ein Feuer, das sie von oben getroffen hatte und zusammen mit ihr gefallen war.

Heiß, dachte sie benommen. Brennen. Ich verbrenne.

Natürlich verbrannte sie nicht. Der Feuerblitz, der sie vom Himmel geholt hatte, war schon seit mehr als drei Jahren erloschen und zu rauchiger Asche geworden, die das dicke Kohlenbett ihrer Gruft bedeckte und es hart und trocken gebacken hatte.

Die Drachin kämpfte gegen ihre Verwirrung an und wartete, bis sich ihr innerster Sinn einen Weg durch das Chaos zu bahnen vermochte. Mit jedem Atemzug sog sie die Luft tiefer in sich hinein, doch sie blieb reglos und ließ die Tage verstreichen. Die Zeit maß sie nur an der Hitze, die sie durch die Oberfläche spürte, wenn die Sonne hoch über ihrem Grab stand, und an der kühlen Nacht, die kurz währte, bis die Wärme zurückkehrte.

Es muss das Ende des Sommers sein, dachte sie. Dies war der einzige klare Gedanke, den sie zu fassen vermochte.

Bis ein anderes Bild den Weg auf die dunkle Bühne fand.

Es war ein Ort aus grellem Weiß, ein erfrorenes Land der zerklüfteten Gipfel und des endlosen Winters. Innerhalb der Enge des Grabes kehrte die Erinnerung an Weite zurück; sie entsann sich, wie sie in der menschlichen Gestalt, die sie einmal besessen hatte und in ihren Gedanken immer noch besaß, hoch zum Nachthimmel gestarrt hatte, der mit kalten Sternen überzogen gewesen war. Inmitten der gewaltigen, schneebedeckten Berge hatte sie sich winzig und unbedeutend gefühlt.

Ein einzelnes Wort bildete sich in ihrem Verstand.

Heimat.

Mit diesem Wort kehrte der Wille zurück.

Das Bild verfestigte sich und wurde klarer, und ihre Drachsinne fanden auch unter der Erde die Orientierung wieder. Mit jedem neuen Atemzug drehte sich die Drachin ein wenig, bis sie nach schier unendlich langer Zeit feststellte, dass sie nun Richtung Nord-Nordwest lag. Über all die Meilen hinweg hörte sie es rufen. Es war ihr Nest, ihre Festung, auch wenn die Einzelheiten noch undeutlich waren.

Das war gleichgültig.

Sobald sie die richtige Richtung gefunden hatte, machte sie sich auf den Weg. In dem Glauben, noch immer ein Mensch zu sein, kroch sie durch die Erde, zog ihren Körper, der sich nicht so verhielt, wie sie es erwartete, mit eisernem Willen voran, gewann langsam an Geschwindigkeit und Kraft, bis der Boden um sie herum allmählich kühler wurde und ihr anzeigte, dass ihre Heimat nahe war. Mit einem Ausbruch frisch gewonnener Entschlossenheit durchbrach sie die Erde und den ewigen Frost und schoss in einem Regen aus Eis und Schnee an die Oberfläche. Schwer fiel sie auf die weiße Decke, welche die Erde wie gefrorener Schorf bedeckte, und atmete flach und schnell. Den Stachel der Kälte beachtete sie nicht.

Lange lag sie reglos unter dem endlosen, von Sternen überzogenen Nachthimmel, während Wissen und Vernunft in Verbindung mit diesem Land zurückkehrten – mit diesem Ort, aus dem sie verbannt worden war und in dem sie sich ihr Nest geschaffen hatte. Die Drachin atmete den frostigen Wind ein, der langsam ihre geschwärzten Lungen säuberte, während der Drachensinn in ihrem Blut den Verstand reinigte.

Mit Geist und Verstand kehrte noch etwas anderes zurück, das heiß und vage, wenn auch unmissverständlich am Rande ihrer Erinnerung mit einer Eindringlichkeit brannte, die mit jedem Augenblick wuchs.

Es war die Raserei der Rache.

2

Der König des Bergreiches war fort, als der Gipfel explodierte.

Ein Mann, geboren als zufälliges Ergebnis von Verderbtheit und Verzweiflung, aus verschiedenerlei Blut, das von Erde und Wind kam, mit einer beinahe magisch empfindsamen Haut, einem Netz offen liegender Nerven und Adern. Daher spürte er im Wind die Schwingungen, welche die anderen Leben nannten, und vermochte es oftmals zu erfühlen, wenn etwas nicht so war, wie es sein sollte, und die natürliche Ordnung der Erde störte, zumal diese sein eigener Herrschaftsbereich war.

Wenn er in seinem Königreich gewesen wäre, als die Drachin erwachte, hätte er es gewusst. Aber Achmed die Schlange, der König der Firbolg und Herrscher von Ylorc, befand sich einen halben Kontinent entfernt und reiste gerade über Land nach Hause, als es geschah.

Daher verpasste er, genau wie seine Untertanen und die Wachen, die am Rande des Grabes gewandelt waren, die Gelegenheit, das Kommende aufzuhalten.

Aufgrund der Cwellan, einer Waffe, die er selbst erfunden hatte und die die Haut eines Drachen zu durchdringen vermochte, wäre er allein in der Lage gewesen, etwas zu unternehmen, als der weibliche Wurm noch ausgestreckt und orientierungslos in seinem Grab gelegen hatte. Seine Waffe hatte schon einmal von ihrem Blut getrunken.

Als er endlich nach Hause kam, war die Bestie schon lange verschwunden.

Sobald seine Mission im Westen abgeschlossen war, hatte er sich entschieden, allein in sein östliches Bergreich zurückzukehren und dieselbe Route zu nehmen wie die bewachten Postkarawanen. Doch er wollte nicht zusammen mit ihnen in der Sicherheit der Menge reisen. Zusätzlich zu seiner Neigung zur Einsamkeit, seinem Abscheu vor der Mehrheit der menschlichen Rasse und seinem Verlangen, durch das gemeinsame Reisen nicht aufgehalten zu werden, brauchte Achmed Zeit zum Nachdenken.