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Langsam stieg Achmed ab. Seine wohl überlegten Bewegungen glichen denen des Reptils, von dem sein Spitzname stammte. Er ging mit abgemessenen Schritten bis zu einer Stelle, wo die Schicht aus farbigem Glasstaub etwas dicker war, bückte sich und hob einige der winzigen Scherben mit seinen Handschuhen auf, die er immer trug. Das Glas war kaum mehr als Staub, doch es enthielt noch die Farben, die er im Brennofen gesehen hatte, als er vor einigen Wochen sein Reich verlassen hatte.

Achmed seufzte tief.

»Hrekin!«, fluchte er laut.

Er schaute aus der Hocke hoch zu den vielfarbigen Spitzen der Zahnfelsen, wo er über die Firbolg-Horden in dem Reich herrschte, das in ihrer Sprache Ylorc hieß. Gurgus, der Gipfel, in den die Buntglasfenster eingelassen worden waren, lag tiefer im Innern des Massivs hinter dem schützenden Ring des Randgebirges; daher war es unmöglich, von hier aus zu erkennen, was mit seinem Turm geschehen war. Er sah jedoch, dass der Wachtturm auf dem Grivven, einem der westlichsten und höchsten Gipfel, noch stand.

Wenigstens ist nicht das ganze verdammte Reich zu Staub zerfallen, während ich fort war, dachte er wehmütig. Dafür sollte ich wohl dankbar sein.

Er warf den Glasstaub wütend hinter sich, saß wieder auf und trieb sein Pferd zu einem gleichmäßigen Galopp an. Mit jedem Windstoß, der ihm über das Gesicht blies, wurde er zorniger.

Sergeant-Major Grunthor, der Kommandant der vereinigten Firbolg-Streitkräfte und Achmeds einziger anderer Freund auf der Welt, überwachte eine ausgedehnte Wiederaufbaumaßnahme, die offensichtlich schon seit einiger Zeit lief, als der König in den Berg zurückkehrte. Während Achmed den inneren Korridor entlangschritt, der zum früheren Eingang des Gurgus’ führte, hörte er den Sergeanten Kommandos an die Arbeiter brüllen. Manchmal gab seine Stimme unter der Anstrengung nach, als er eigenhändig gewaltige Steinbrocken beiseite bewegte.

Der Firbolg-König umrundete die letzte Ecke, blieb stehen und sah Grunthor zu. Auch der Sergeant hatte innegehalten, aber er hatte Achmed noch nicht bemerkt. Er hielt in der einen massigen Hand einen Lastschlitten mit aufgetürmten Basaltbrocken und in der anderen einen Handkarren. Der riesige Soldat holte Luft, und seine Haut, welche die Farbe alter Prellungen hatte, schimmerte vor dem Schweiß der Erschöpfung. Selbst in Ruhestellung war er ein erschreckender Anblick: siebeneinhalb Fuß Muskeln, die sich auf weitere anstrengende Arbeit vorbereiteten und nebenbei eine Brigade von Firbolg-Soldaten leiteten.

Das Ausmaß der Zerstörung stellte Achmeds begrenzte Geduld auf eine harte Probe. Der König stürmte zum Ende des Ganges und blieb kurz vor dem Sergeanten stehen.

»Was im Namen jedes lächerlichen bösen Gottes, der nie existierte, ist hier geschehen?«

Ein hässliches Licht erhellte die bernsteinfarbenen Augen des riesigen Sergeanten.

»’ne Geburtstagsfeier is’n bisschen aus dem Ruder gelaufen«, sagte er mit einer Stimme, die vor Sarkasmus troff.

»Tut mir Leid. Wird nich wieder passiern.« Als Grunthor sah, wie sich die Sehnen am Hals des Königs spannten, warf er den Handkarren beiseite. »Diese Frage solltest du eher der verdammten Glasmacherin stellen, die du wegen der Turmfenster mitgebracht hast. Halt, warte. Das geht nicht.«

Die Augen des Königs verengten sich in einer Wut, die von Panik gefärbt war. »Warum nicht?«

Der Sergeant bückte sich, hob einen weiteren massiven Felsblock hoch und warf ihn wütend auf den Schlitten.

»Weil ich dem Luder den Kopf von den Schultern geschnitten hab«, knurrte er, während der gewaltige Stein dumpf auf die anderen polterte. »Dann hab ich ihn in ’ne Kiste gestopft und zurück zur Mördergilde nach Yarim geschickt, wo sie hergekommen ist.« Er beobachtete ohne Mitgefühl, wie die Wut im Blick seines Herrschers der Erkenntnis wich. »Stimmt, die Handwerkerin, die du in Sorbold angeheuert hast, damit sie deinen verdammten Glasturm baut, hat sich als die Mutter aller Mörder und Herrin der Rabengilde herausgestellt.« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und deutete auf die Zerstörung um ihn herum. »Das war das kleine Geschenk, das sie nur für dich hier gelassen hat. Wir finden immer noch neue Fallen und ’ne ganze Menge netter Überraschungen ...«

»Was ist mit dem Kind?«, wollte Achmed wissen. Er klang, als werde er gerade gewürgt.

Grunthor atmete tief aus. »Erst mal in Sicherheit«, sagte er ruhiger. Die Wut in seiner Stimme war verschwunden. »Hab jeden Zoll des Tunnels durchgekämmt bis hin zu seiner Kammer. Scheint auch eingestürzt zu sein, aber nur ’n ganz kleiner Teil. Die Mörderin hat es nicht bis da unten hin geschafft, war reines Glück. Aber wenn ich du wäre, würd ich die lächerlichen Götter, die nicht existieren, nicht so beleidigen, denn sie haben offenbar über dich Wacht gehalten.«

»Unangenehmer Gedanke.« Achmed durchquerte den beschädigten Gang und hielt vor dem kleiner werdenden Schutthaufen inne. »Wie?«

»Pikrinsäure. Hat sie sich anscheinend von der Gilde schicken lassen, während du fort warst. In flüssiger Form ist se ungefährlich, aber wennse trocken wird, explodiert se. Sie hat das Zeugs in das Glas der Kuppel eingeschmolzen und ’ne hölzerne Decke darüber gespannt, um die Sonne fern zu halten. Aber Shaene und Rhur die sind beide tot – haben die Abdeckung fortgezogen. Die Sonne hat’s voll getroffen, und die Hitze hat’s getrocknet. Na ja, den Rest kannste hier besichtigen.« Der Sergeant fuhr mit der Spitze seines gewaltigen Stiefels durch das Geröll auf dem Boden. »Außer der Krankheit. Die Ruhr, ’ne Menge Bolg bluten aus den Augen. Scheint ’ne Nebenwirkung zu sein.«

Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Firbolg-König um und verließ den Ort der Zerstörung.

»Ach, übrigens«, rief Grunthor, während Achmed um die Ecke verschwand, »willkommen daheim.«

Der Eingang des Tunnels zur Kammer des Schlafenden Kindes befand sich in Achmeds Schlafgemach, und zwar in einer Truhe am Fußende seines Bettes. Er benötigte nur einen Augenblick, um festzustellen, dass alle Schutzvorrichtungen – tödliche Fallen, die er selbst aufgestellt hatte – mit einer Kunstfertigkeit außer Kraft gesetzt worden waren, die er seit seiner eigenen Ausbildung zum Mörder durch einen unangefochtenen Meister des Fachs nicht mehr gesehen hatte.

»Hrekin«, fluchte er erneut.

Grunthor seufzte. »Ja, wenigstens war sie ’ne Meisterin. Ich erinner mich an das alte Land, als die Diebesgilde dir ihre Lehrlinge auf den Hals geschickt hat. Was für ’ne sinnlose Abschlachterei. Nicht mal sinnvoll für dich als Übungsziele.«

Achmed erwiderte nichts darauf, sondern erhob sich von der Truhe, ging in seinen Gemächern umher und suchte nach den beinahe unsichtbaren Zeichen einer Störung.

Sie waren überall.

Staub, der nur ganz geringfügig aufgewirbelt worden war, die gelegentliche Umstellung eines Gegenstandes, der sich so nahe an seinem ursprünglichen Standort befand, dass es nur jemand bemerken konnte, der ein so geübtes Auge wie Achmed hatte. Auch gab es raffinierte Fallen: ein dünner Ring von Gift auf seinem Essbesteck, seinem Kamm, der Türklinke, so fein verteilt, dass man es kaum bemerken konnte, was bedeutete, dass ein Meistermörder am Werk gewesen war. Bei diesem Gedanken prickelte Achmeds empfindliche Haut vor kaltem Schweiß, denn diese Frau hatte nur wenige Augenblicke in diesem Zimmer verbracht, bevor sie entdeckt worden war.

»Wenn du je wieder bemerken solltest, dass ich den Kopf verloren habe, Grunthor, dann beug mich vornüber und such in meinem Hintern danach«, sagte er düster und entfernte eine winzige Springnadel aus dem Vorderteil eines seiner Ersatzstiefel. »Er muss dann ganz tief da drin stecken.«

»In Ordnung, na klar«, antwortete Grunthor mit übertriebener Unterwürfigkeit. »Ich hab ’nen Haken, mit dem du den Kopf wieder rausbekommen könntest, aber vielleicht ist er nicht lang genug.«

Achmed öffnete vorsichtig die Tür zu seinen Gemächern und entging so dem haardünnen, mit Quecksilber überzogenen Draht, der unsichtbar entlang des Türpfostens angebracht war.