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»Gift?!«

»Ja, sie fragte nach den Symptomen verschiedener Gifte.«

»Arsenik?«

»Woher wissen Sie das?«

Gowers zuckte mit den Schultern und starrte dann in einer seltsamen Weise vor sich hin. »War einfach das Erste, was mir eingefallen ist.«

»Jedenfalls konnte ich sie beruhigen«, bemerkte Braddock nicht ohne Heilkünstlerstolz. »Seekrank, ganz einfach! Ein überempfindliches Gleichgewichtsorgan wahrscheinlich.« Der Schiffsarzt war doch ein wenig verunsichert über den jetzt offensichtlichen Stupor seines Gesprächspartners und reckte sicherheitshalber die müden Glieder. »Es war nett, mit Ihnen zu plaudern, Mr. Thompson. Gute Nacht dann …«

»Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite!«, sagte Gowers mechanisch zum Ozean hin.

79.

»Wenn Sie sich noch lange hin und her werfen, mache ich sie mit meinen Morphiumvorräten bekannt!«, knurrte Van Helmont unwillig.

»Entschuldigung, Doc!« Gowers war erst gegen halb zwei Uhr morgens in die Kabine zurückgekommen und versuchte seitdem, die Dinge zu überschlafen.

Aber manchmal – und das war von Lullus und all den anderen Gedächtnistheoretikern natürlich nicht vorgesehen – ließen sich seine Ermittlungssysteme, Rotoren, Ableitungsbäume einfach nicht abschalten. Die Informationen schienen dann hinter seinen geschlossenen Lidern zu gären, und er kam sich vor wie ein Hund, dem man Blechdosen an den Schwanz gebunden hat und der sich zu Tode rennt, um dem Geklapper zu entkommen. In einer solchen Situation konnte ihn gemeinhin nur eine Frau ablenken.

Seufzend beschloss er, wieder an Deck zu gehen, obwohl es noch dunkel war. Es wurde allmählich wieder kühler, wenn man den Äquator auch noch nicht allzu lange passiert hatte. Die Männer der Wache, nicht mehr als ein halbes Dutzend, die sich achtern aufhielten, trugen zumindest nachts schon wieder ihr Wollzeug.

Sein erster Blick galt der Kimm im Osten, aber Himmel und Meer waren selbst für seine Augen noch nicht sauber zu trennen, was an der mondlosen Nacht und der dichten Wolkendecke lag. Dennoch spürte er, als er im Vorschiff stand, eine kleine Kurskorrektur sofort an der Dünung unter seinen Füßen. Er steckte sich die fünfte oder sechste Zigarre an, seine Zunge war schon ganz taub. Und als die Flamme erlosch, glaubte er, einen schwachen Hilferuf zu hören.

Gowers stutzte. Der Wind konnte einem auf See die merkwürdigsten Streiche spielen, Geräusche von den unmöglichsten Orten hertragen. Nicht umsonst hatte manches Mitternachtsgarn so viel mit geisterhaften Stimmen zu tun, die die Seeleute ins Verderben lockten. Dass es meist weibliche Stimmen waren, hing dagegen wahrscheinlich mit der Dauer des Aufenthalts der Männer auf See zusammen.

Es war eine weibliche Stimme. Gowers hörte sie beim zweiten Mal deutlicher, konnte aber nicht die Richtung ausmachen, aus der sie kam. Er schaute sich um. Kein Mann der Wache schien etwas gehört zu haben, aber dazu waren die Leute auch zu weit achtern. Dann sah er sie. Eine schmale, dunkle Gestalt, die sich auf dem Fockmast, zwanzig Meter hoch in der Takelage festklammerte, nur eine Nuance dunkler als der Himmel. Gowers schaute sich noch einmal um, aber niemand hatte das Drama bemerkt, das sich über den Köpfen anbahnte.

Mechanisch kappte er die Glut seiner Zigarre und stand eine Sekunde später auf der Reling. Mit Bewegungen, die ein Seemann so wenig verlernen kann wie das Atmen, enterte er auf. Die Gestalt hockte auf der Vorbramsaling, an einer Stelle also, die auch ein Idiot an Bord eines Schiffes eben noch erreichen konnte, wenn er nur waghalsig genug war. Er sah langes Haar im Wind wehen, es war definitiv ein Mädchen. War es das Mädchen?

Schon auf der Marssaling, zehn Meter unter ihr, sah er, dass es so viel Glück nicht in einer Nacht geben konnte. Die Hände krampfhaft um die Taue gespannt, zitternd vor Angst oder Kälte, hockte die älteste Tochter des verfluchten Missionars in der Takelage wie eine große Krähe, und Gowers wäre am liebsten wieder abgestiegen. Aber eine verkletterte Katze ist eine verkletterte Katze.

»Ganz ruhig«, sagte er, als der nicht unschöne Mund des vielleicht vierzehnjährigen Mädchens sich wieder wie zu einem Hilferuf öffnete, weil sie sah, dass ausgerechnet der Bordellbesucher aus Nassau sie retten kam. Wenn sie nicht beide Hände zum Festhalten gebraucht hätte, hätte sie sich zweifellos bekreuzigt.

»Wie zum Teufel haben Sie das denn angestellt?«, fragte Gowers, als er neben dem verängstigten Kind hockte. Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, als sei er der Bursche, den er soeben erwähnt hatte, und ihre Gesichtsfarbe wechselte zu einem geisterhaften Weiß. Der Seegang war hier oben viel stärker spürbar als an Deck, und er fürchtete nicht nur, dass sie sich übergeben würde, sondern auch, dass sie abstürzen könnte. Keine Frage, dass man dann den Mann dafür hängen würde, der sie ganz offensichtlich bis in die Wanten gejagt hatte! »Rittlings«, befahl er kurzerhand.

Noch immer starrte sie ihn an wie eine Erscheinung. »Was?«

»Rittlings ist es sicherer. Geben Sie mir Ihre Hand und schwingen Sie ein Bein über die Spiere.«

»Über was?«

»Die Spiere, das Querholz, das Ding, auf dem Sie sitzen, mein Gott!«

»Oh!« Diese Anspielungen auf ihr Gesäß und was sie damit tun sollte, schien sie bereits für eine grobe Unsittlichkeit zu halten, tat aber schließlich, was er sagte, und saß ihm rittlings, aber immer noch merkwürdig somnambul gegenüber.

»Wie …« Er unterdrückte einen Fluch. »Warum sind Sie hier heraufgekommen?«

»Ich wollte den Sonnenaufgang sehen«, sagte sie geistesabwesend. »Ich dachte, von hier oben aus ginge das schon.«

O Gott, dachte Gowers. »Da müssen Sie noch gute zwei Stunden warten. Soll ich Sie dann abholen, oder soll ich Ihren Vater schicken?«

Diese Drohung machte sie etwas munterer, und er war froh. Er hatte schon befürchtet, sie ohrfeigen zu müssen.

»Nein, bitte, helfen Sie mir. Das Raufklettern war ganz leicht, aber dann habe ich nach unten gesehen und …«

»Konnten sich nicht mehr bewegen, schon gut.« Zwanzig Meter tiefer sah auch Gowers im Grau der Nacht nur die winzigen Lichter der Wache und ab und zu die Schaumkrone einer Welle. Kein Wunder, wenn man sich da an jeden Mast klammerte, den man erreichen konnte. »Tun Sie jetzt genau, was ich sage, und sehen Sie nicht nach unten!«

Es dauerte eine ganze Weile, bis er sie sicher zwischen seinem Körper und den Wanten hatte. Den linken Arm hielt er dicht um ihren Bauch, griff in die Taue und kommandierte den langsamen Abstieg: linke Hand ab, rechter Fuß ab, rechte Hand ab, linker Fuß ab. Zuerst lächelte er in der Erinnerung daran, wie McClure ihn auf seiner allerersten Reise auf die gleiche Weise aus den Wanten geholt und anschließend verprügelt hatte. Dann spürte er, wie ihr Körper sich unter dem schweren Stoff immer sicherer bewegte, und wünschte, sie wäre zwei Jahre älter und nicht ausgerechnet die Tochter dieses Missionars.

An Deck angekommen, knickte sie in den Knien ein, widerstand aber der Versuchung, an seine Brust zu sinken, sondern stützte sich am Schanzkleid ab. Sicheren Grund unter den Füßen, wurde sie dann doch noch einmal sehr unsicher. »Bitte sagen Sie meinem Vater nichts davon!«

»Ihrem Vater würde ich nicht mal sagen, wo oben und unten ist«, erwiderte Gowers knapp. Sie errötete über die Beleidigung, die in dieser Zusage steckte, und vergaß deswegen sogar, sich zu bedanken, als sie mit schwankenden Schritten unter Deck floh.

»Gekonnte Rettungsaktion, Mr. Thompson!«, ertönte eine Stimme hinter ihm, als Gowers versuchte, seine Zigarre wieder anzuzünden.

»Oh, Kapitän!« Der Investigator fing sich bemerkenswert schnell wieder. »Ich musste selbst schon ein paarmal aus der Takelage geholt werden, wissen Sie.«