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In seinem Griechisch hatten die Worte des Psalms einen wunderbaren Klang.

»Dann kommst du also nachts her, um Mond und Sterne zu betrachten?« entgegnete sie schnell.

Bruder Dangila blickte sie lächelnd an. »Du hast einen flinken Verstand, Fidelma von Cashel.«

»Ich schätze, daß Brocc dich in jener Nacht gesehen hat, nicht wahr?«

»Habe ich das zugegeben? Wen immer Brocc gesehen haben mag, er muß ihn identifizieren. Ehe er das nicht getan hat, gibt es nichts weiter zu sagen.«

»Das kann er nicht. Das weißt du genausogut wie ich. Was mich bewegt, ist, daß man am nächsten Tag Escrachs Leiche ganz in der Nähe fand, und zuvor die Leiche von Beccnat.«

»Ich gebe dir mein Wort, ich habe sie nicht umgebracht«, erwiderte er mit ruhiger Stimme.

»Dann wollen wir eine Hypothese aufstellen.«

»Welcher Art?«

»Brocc denkt, daß derjenige, der auf dem Felsen saß und den Sternenhimmel betrachtete, böse Absichten hegte, insbesondere da es bei Vollmond war und genau in jener Nacht seine Nichte umgebracht wurde.«

»Das, was Broccs Gedanken so in Aufruhr versetzt, ist etwas, das ganz allein in ihm begründet liegt«, entgegnete Bruder Dangila. »Ich bin nicht verantwortlich für seine Gedanken.«

»So könntest du vielleicht eine unschuldigere Erklärung dagegenhalten. Gehen wir doch von einer anderen Annahme aus, um zu sehen, worin diese harmlosere Deutung bestehen könnte.«

Der Aksumiter dachte einen Augenblick nach, dann zuckte er die Schultern. »Nehmen wir einfach mal an, daß da ein Mann wie ich gesessen hat, der Gottes Schöpfung betrachtete und die Sterne auf ihren Bahnen durch das All beobachtete. Er war einzig in die Geschehnisse am Himmel vertieft und sah nichts um sich herum. Er würde sagen, er sei nach einer Weile wieder fortgegangen - ohne irgend etwas von den bösen Taten mitbekommen zu haben.«

»Du und deine Gefährten - ihr interessiert euch für die Bahnen der Sterne?«

»Diese Wissenschaft ist schon sehr alt, Fidelma von Cashel. Dein Volk befaßt sich seit langem damit, zumindest haben wir das festgestellt. Es könnte sein -und damit fahren wir rein hypothetisch fort«, warf er ernst ein, »daß wir das in den alten Schriften Gelesene direkt mit der Sternenkarte nachts am Himmel, so wie Gott sie uns zeigt, vergleichen wollen.«

»Bist du schon immer Mönch gewesen?« fragte sie unerwartet.

Zum erstenmal zeigte sich im Gesicht des Aksumi-ters ein breites Lächeln.

»Mit Dreißig habe ich beschlossen, Mönch zu werden, mit Dreiunddreißig geriet ich in die Sklaverei und wurde nach Rom geschickt.«

»Und was hast du davor getan?«

»Da habe ich in den großen Goldminen gearbeitet -sozusagen in den Minen von König Salomo.«

»In den Goldminen?«

»Im Schatten des Ras Dashen, unseres höchsten Berges«, bekräftigte Bruder Dangila. »Von Aksum aus wurden die sagenhaften Schatztempel von König Salomo versorgt, und von dort stammt auch dessen unermeßlicher Reichtum. Menelik, der Sohn Salomos und der Königin von Saba, wurde unser Herrscher. Unsere Minen begründen immer noch den Reichtum von Aksum. Mein Vater war Minenarbeiter, und ich tat es ihm gleich. Doch das befriedigte mich nicht. Ein heiliger Mann, der an den Hängen des Ras Dashen lebte, brachte mir mehr bei, als eine ertragreiche Gold- oder Kupferader zu entdecken. Bei ihm lernte ich Griechisch und ein paar Worte Latein und las einige der Heiligen Texte. Ich ging aus den Bergen fort nach Adulis, und den Rest habe ich dir schon erzählt.«

»Ich würde gar zu gern erfahren, wieso ihr drei ausgerechnet das Kloster des heiligen Finnbarr ausgewählt habt.«

»Die Antwort ist ganz einfach. Der Abt verwahrt die Schriften eures gelehrten Aibhistin, und wir wollten sie studieren, nachdem andere Abhandlungen uns darauf verwiesen haben.«

»Ja, davon hast du mir schon erzählt. Von wem wußtet ihr, daß sie hier aufbewahrt werden?«

»Im Kloster Molaga haben wir viel über eure Kultur erfahren, unter anderem auch über euer stetes Interesse an den Vorgängen am Firmament. Und wie ich schon sagte, wir entdeckten gewisse Gemeinsamkeiten zu den Thesen von Aibhistin. Ein glücklicher Zufall wollte es, daß sich ein Mann von hier zu der Zeit im Kloster Mo-laga aufhielt. Er überredete uns hierherzukommen.«

»Oh, war es einer der Mönche aus der Abtei?« Sie wollte herausfinden, ob das, was ihr Bruder Tüan gesagt hatte, der Wahrheit entsprach.

»Nein«, erwiderte Bruder Dangila. »Es war der junge Mann . der Prinz, ich vergesse immer wieder, wie er in eurer Sprache genannt wird . Er heißt Ac-cobrän.«

»Er hat euch auf die Werke Aibhistins in diesem Kloster hingewiesen?«

»So ist es. Wir sind ihm sehr zu Dank verpflichtet. Es handelt sich um einzigartige Untersuchungen, besonders was die Tabellen über den Mond und die Gezeiten angeht. Mir ist noch nie eine Abhandlung untergekommen, die so genau die Beziehung zwischen Gezeiten und den Mondphasen darstellt.«

Leise atmete Fidelma aus.

»Du scheinst beunruhigt zu sein, Lady«, stellte Bruder Dangila scharfsinnig fest.

»Wenn man in deinem Land junge Mädchen kaltblütig ermordet hätte, so wie es hier geschehen ist, würdest du dann nicht auch beunruhigt sein?«

Der hochgewachsene Mann neigte den Kopf.

»Es mag dir kaum etwas nützen, doch ich würde gern einen Eid leisten auf die Bundeslade, die an einem unbekannten geheiligten Ort in meinem Land liegt . Ich würde gern den Eid leisten, daß meine Ge-fährten und ich nichts mit diesen schrecklichen Mordtaten zu tun haben. Und ich muß einräumen, wir wären unter ähnlichen Bedingungen in unserem Land auch sehr mißtrauisch gegenüber Fremden.«

»Ein Eid ist wenig nütze. Auch wenn ich dir vielleicht glaube, die Leute hier tun es nicht.«

»Sie fürchten sich, weil wir eine andere Hautfarbe haben.«

»Eine größere Rolle spielt, daß ihr hier fremd seid und die Leute Angst haben vor Fremden. Geht es deinem Volk in Aksum nicht ebenso?«

»Manchen vielleicht. Aksum liegt an einem Knotenpunkt vieler Kulturen und vieler Glaubensrichtungen. Wir haben gelernt, mit den meisten Nachbarn in Harmonie zu leben, ganz gleich, wie sie aussehen, welche Sprache sie sprechen oder welchem Gott oder welchen Göttern sie huldigen.«

»Das klingt nach einem idealen Ort«, sagte Fidelma ein wenig sarkastisch. »Doch wenn ihr gelernt habt, mit euren Nachbarn in Frieden zu leben, wie konntet ihr da gefangen und als Sklaven verkauft werden?«

Bruder Dangila lächelte. »Selbst im Garten Eden gab es eine Schlange.«

»Deine Worte sind sehr weise, Bruder Dangila.«

»In den Sprüchen Salomos werden uns die sieben Dinge genannt, die Gott verabscheut: ein stolzes Auge, eine falsche Zunge, Hände, die unschuldiges Blut vergießen, ein Herz, das Ränke schmiedet, Füße, die behende sind, Schaden zu tun, ein falscher Zeuge und einer, der unter Brüdern Zwietracht sät.«

»Weise Worte sind in jeder Sprache bedeutungsvoll«, meinte Fidelma.

»Man kann nicht verantwortlich gemacht werden für die finsteren Gedanken und Taten aller Brüder und Schwestern. Es leben viele in Aksum und den Häfen am Meer, die mit Menschenhandel Geld verdienen, darunter auch Christen. In unserer Welt, Schwester, gibt es verschiedene Möglichkeiten, Sklave zu werden. Manchmal verkaufen Eltern ihre Kinder, um sich von Schulden zu befreien. Andere verkaufen sich selbst in die Sklaverei, um kein Leben voller Unsicherheit mehr führen zu müssen oder auch nur, um einen Platz im Leben zu finden. Ich hatte Pech. Meine Freunde und ich wurden gefangengenommen. In Rom erwarb uns dann ein christlicher Bischof.«

»Ach, und er hat versucht, euch freizulassen?«

Bruder Dangila stieß ein entrüstetes Lachen aus. »Er war Sklavenhalter. Keine Freiheit für uns. Er predigte im Sinne des Paulus von Tarsus: Jeder Mensch sollte sich mit den Bedingungen zufriedengeben, in die er hineingeboren wurde. Warst du ein Sklave, als du in diese Welt getreten bist? Das soll dich nicht beunruhigen, doch selbst wenn dir die Freiheit winkt, so entscheide dich lieber dafür, in Knechtschaft weiterzuleben. Er beschloß erst, uns an einen Franken zu verkaufen, als wir zu aufrührerisch wurden und für unsere Freiheit kämpften. Vielleicht sollten wir dir unsere Rücken zeigen, die dafür mit der Lederpeitsche traktiert wurden.« Er nickte, als Fidelma erschauderte. »Ich will dir diesen Anblick nicht zumuten, Fidelma von Cashel. Das ist das Kreuz, das ich trage. Wie ich dir schon sagte, waren wir anschließend auf hoher See unterwegs zu einem gottverlassenen Land namens Franken, als das Schiff auf Grund lief und wir uns ans Ufer retten konnten.«