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»Guten Abend«, meinte er leutselig, »Sie sind der junge Rampole, nicht wahr?«

Wenn der Fremde hinzugefügt hätte: »Wie ich sehe, kommen Sie aus Afghanistan«, hätte Rampole nicht überraschter sein können. Ein behäbiges Kichern belebte die Kinnrollen des anderen. Er hatte die Angewohnheit, genau so liebenswürdig >Hihihi< zu kichern wie ein Schurke auf einer Varietebühne. Die kleinen Augen strahlten den Amerikaner über einen Kneifer hinweg an, der von einem breiten schwarzen Band gehalten wurde. Das massige Gesicht rötete sich stärker, und sein Haarschopf tanzte im Rhythmus seines Kicherns, vielleicht auch des Zuges, oder von beidem. Er streckte Rampole die Hand entgegen.

»Ich bin Gideon Fell, wissen Sie. Bob Melson hat mir von Ihnen geschrieben, und sobald Sie den Wagen betraten, wußte ich: Das muß er sein. Lassen Sie uns darauf eine Flasche Wein leeren, oder besser zwei Flaschen. Eine für Sie und eine für mich, ja? Hihihi. Ober!«

Er wälzte sich wie ein mittelalterlicher Feudalherr in seinem Stuhl herum und winkte gebieterisch.

»Meine Frau«, fuhr Dr. Fell fort, nachdem er die gargantueske Bestellung aufgegeben hatte, »meine Frau hätte es mir nie verziehen, wenn ich Sie verpaßt hätte. Sie regt sich so schnell auf, wissen Sie, über irgendwelchen Verputz, der im Schlafzimmer von den Wänden fällt, oder über unseren neuen drehbaren Rasensprenger, der erst funktionierte, als der Pfarrer zu Besuch kam: Da hat ihm das Ding eine anständige Dusche verpaßt.

Hihihi. Trinken Sie. Ich weiß nicht, was für Wein es ist, danach frage ich nie. Es ist Wein, das langt mir.«

»Auf Ihre Gesundheit, Sir.«

»Danke, mein Junge. Erlauben Sie mir«, meinte Dr. Fell, wohl in vager Erinnerung an seinen Amerikaaufenthalt, »daß ich Sie so einfach anmache. Nunc bibendum est. Hihi. Also Sie sind Bob Melsons bestes Pferd im Stall, was? >Englische Geschichte< glaube ich, hat er gesagt. Sie wollen Ihren Doktor machen und dann unterrichten?«

Rampole kam sich plötzlich, trotz des liebenswürdigen Leuchtens in den Augen des Doktors, wie ein dummer Junge vor. Er murmelte irgend etwas Unverbindliches.

»Ausgezeichnet«, sagte der andere. »Bob rühmte Sie sehr. Er meinte nur: >Etwas zuviel Phantasie, der Junge<, so hat er's ausgedrückt. Pah! Jedem das Seine, sage ich immer, jedem das Seine. Als ich damals bei euch drüben in Haverford Vorlesungen hielt, da haben die Studenten bei mir vielleicht nicht viel über englische Geschichte gelernt, aber sie jubelten, mein Junge, sie jubelten, wenn ich ihnen die Schlachtszenen beschrieb. Ich entsinne mich«, fuhr der Doktor paffend fort, und sein massiges Gesicht glühte wie ein herzerquickender Sonnenuntergang, »ich entsinne mich, daß ich ihnen das Trinklied der Männer Gottfrieds von Bouillon beibrachte, vom ersten Kreuzzug 1187. Ich selbst führte den Chor an. Sie begannen alle zu singen und auf den Boden zu stampfen. Aber dann kam so ein verrückter Mathematikprofessor heraufgestapft, raufte sich die Haare und meinte -erstaunlich beherrschter Bursche übrigens -, ob wir nicht so freundlich sein und damit aufhören könnten, die Tafeln im Raum darunter von den Wänden zu trampeln. >Das ist doch ungehörig<, sagte er, >ähäm, sehr ungehörig. >Ganz und gar nicht<, erwiderte ich ihm, >das ist die Laus Vini Exercitus Crucis.< >Zum Teufel<, sagte er, >glauben Sie, ich könnte nicht Wir machen durch bis morgen früh erkennen, wenn ich es höre?< Daraufhin mußte ich ihm also die klassische Herkunft des Liedes erklären... Hallo, Payne!« dröhnte der Doktor, indem er seine Erzählung abbrach und mit der Serviette zum Mittelgang winkte.

Rampole drehte sich um und erkannte den ungewöhnlich mürrischen und steifen Herrn mit Pfeife, den er zuvor bereits im Korridor des Zuges bemerkt hatte. Die Kappe hatte er abgesetzt, ein längliches braunes Gesicht und ein sorgfältig geschorener Schädel mit bürstenartigem weißem Haar waren zu sehen. Er schlurfte den Gang entlang, offenbar auf der Suche nach einem freien Platz. Er murmelte etwas nicht sonderlich Freundliches und blieb an ihrem Tisch stehen.

»Mr. Payne, Mr. Rampole«, stellte Dr. Fell sie einander vor. Payne wandte sich mit einem überraschten Blick dem Amerikaner zu. Er schien argwöhnisch zu sein. »Mr. Payne ist Chatterhams Rechtsberater«, erklärte der Doktor. »Wo sind bloß Ihre Schützlinge, Payne? Ich hatte gedacht, der junge Starberth würde ein Glas Wein mit uns trinken.«

Paynes schmale Hand fuhr zu seinem Kinn hinauf und strich darüber. Seine Stimme klang trocken, mit einem vorsichtigen Räuspern und Zögern, als setzte sie sich nur langsam in Gang.

»Nicht angekommen«, antwortete der Anwalt kurz.

»Hm. Nicht angekommen?«

Rampole fragte sich, ob Paynes Knochen vom Rattern des Zuges nicht bald auseinanderfielen. Der Anwalt blinzelte und fuhr fort, sein Kinn zu massieren.

»Nein. Ich nehme an«, sagte er und deutete unvermittelt auf die Weinflasche, »er hat bereits zuviel davon. Vielleicht kann uns Mister - ähäm - Rampole ja mehr darüber sagen. Mir war schon klar, daß er keinen Gefallen an dem netten Stündchen im Hexenwinkel finden würde, ich hätte aber nicht gedacht, daß irgendein Gefängnisspuk ihn doch tatsächlich davon abhalten könnte. Er hat natürlich noch Zeit.«

Dies war zweifellos das verwirrendste Kauderwelsch, das Rampole je zu Ohren gekommen war. >Nettes Stündchen im Hexenwinkels >Gefängnisspuk<. Und dieser braungebrannte, klapprige Herr mit den tiefen Falten um die Nase stand herum, verdrehte die Augäpfel und fixierte Rampole mit dem gleichen blaßblauen glasigen Blick, mit dem er ihn schon vorher im Korridor angestarrt hatte. Der Amerikaner fühlte sich bereits ein wenig vom Wein beschwipst. Trotzdem. Was zum Teufel hatte dies alles zu bedeuten?

Er sagte: »Wie - wie bitte?« und schob sein Glas von sich. Ein weiteres Räuspern und Knarren aus Paynes Kehle. »Es mag sein, daß ich mich irre, Sir. Aber ich glaube, ich sah Sie kurz vor Abfahrt des Zuges mit Mr. Starberths Schwester. Ich dachte, vielleicht - « »Mit Mr. Starberths Schwester, allerdings«, erwiderte der Amerikaner und merkte, wie ihm das Herz bis zum Halse schlug. Er bemühte sich, gefaßt zu wirken. »Mit Mr. Starberth selbst bin ich nicht bekannt.«

»Aha«, sagte Payne mit Krächzen in der Kehle. »So ist das also. Na dann - « Rampole glaubte zu sehen, daß Dr. Fells kleine, kluge Augen sehr wachsam hinter den jovial wirkenden Augengläsern dreinblickten; er beobachtete Payne scharf.

»Ich denke, Payne«, meinte der Doktor, »er hat wohl keine Angst zu sehen, wie jemand zum Galgen geführt wird, oder?«

»Nein«, meinte der Anwalt. »Entschuldigen Sie mich jetzt, Gentlemen. Ich muß etwas essen.«

Kapitel 2

Der Rest der Fahrt erschien Rampole später immer wie ein Versinken in den Tiefen der Landschaft; eine Reise in abweisende und geheimnisvolle Regionen, in deren Verlauf die Lichter der Städte nach und nach erloschen und das Pfeifen der Lokomotive immer schwächer zu einem immer leereren Himmel hinaufdrang. Dr. Fell hatte sich über Payne, außer mit einer abschätzigen Bemerkung, nicht mehr weiter geäußert.

»Kümmern Sie sich nicht um ihn«, sagte er und schnaubte verächtlich. »Er ist ein Pedant. Doch das Schlimmste ist, der Mann ist Mathematiker. Pah! Ein Mathematiker«, wiederholte Dr. Fell und starrte seinen Salat an, als lauere zwischen den Blättern versteckt eine binomische Formel. »Der sollte am wenigsten den Mund aufmachen.«