Выбрать главу

Budge hatte Visionen aus seiner Jugendzeit. Er stand mitten auf einem großen Rugbyfeld und blickte wild um sich; aus allen Richtungen schienen Gestalten auf ihn loszustürmen. Es war ihm, als sei er nackt. Der andere Mann duckte sich.

Budge - fettleibig und schon über fünfzig - spürte einen großen Schmerz in seiner Lunge. Aber er ließ sich nicht hinter den Baum fallen. Er wußte, was er zu tun hatte, denn er war zuverlässig, hatte einen ruhigen Verstand und einen klaren Blick.

»In Ordnung«, sagte er laut, »in Ordnung!«, und hechtete nach dem anderen.

Er hörte den Knall. Es gab ein gelbliches Züngeln, wie wenn man einen schlecht funktionierenden Gasherd anzünden will. Etwas schlug ihm vor die Brust und wirbelte ihn aus dem Gleichgewicht, während seine Finger sich in den Mantel des anderen verkrallten. Er spürte, wie seine Fingernägel den Stoff aufrissen, daß seine Hüfte plötzlich vor Schwäche zur Seite knickte und daß er fiel. Es war ein Gefühl, als flöge er durch die Luft. Dann platschte sein Gesicht ins tote Laub, und er hörte undeutlich, wie sein eigener Körper dumpf auf die Erde schlug.

So fiel Budge der Engländer.

Kapitel 16

Ich glaube nicht, daß er tot ist«, sagte Rampole und kniete neben dem Butler nieder. »Beeilung bitte! Halt' deine Lampe hierher. Ich drehe ihn um. Wo zum Teufel ist dieser Sir Benjamin?«

Budge lag auf der Seite, eine Hand noch immer ausgestreckt. Sein Hut saß schräg auf seinen Kopf gepreßt, was ihm etwas Verwegenes gab. Der solide schwarze Mantel hatte einen Knopf eingebüßt. Rampole zerrte an der leblosen Gestalt und drehte sie um. Das Gesicht sah teigig aus, die Augen waren geschlossen, doch er atmete. Der Stoff über der Wunde links oben in der Brust war blutgetränkt.

»Hallo!« rief Rampole. »Hallo! Wo seid ihr?«

Er hob den Kopf und sah das Mädchen an. Sie war nicht genau zu erkennen; sie hatte den Kopf abgewandt, doch die Lampe zitterte kaum.

Es knackte im Gesträuch. Sir Benjamin, die Kappe in die Stirn gezogen wie ein Filmgangster, kämpfte sich zu ihnen durch. Seine langen Arme schlenkerten in den hochgerutschten Ärmeln.

»Er - er ist entkommen«, keuchte der Chief Constable. »Ich weiß nicht, wer es war. Ich weiß nicht mal, was passiert ist. - Wer ist denn das?«

»Sehen Sie ihn sich an«, sagte Rampole. »Er muß versucht haben, den anderen aufzuhalten. Haben Sie nicht den Schuß gehört? Lassen Sie uns ihn um Himmels willen schnell zum Auto und ins Dorf bringen. Packen Sie die Füße, ja? Ich nehme den Oberkörper. Möglichst wenig bewegen.«

Budge war ein Schwergewicht. Wie ein nasser Sack hing er zwischen ihnen, und es war, als versuchten zwei Leute eine sperrige Matratze zu tragen. Rampole rang nach Atem, seine Muskeln schmerzten. Ächzend arbeiteten sie sich durch das stachelige Gestrüpp, dann den Wiesenhang hinunter zu Sir Benjamins Daimler, der neben der Straße parkte.

»Sie halten am besten Wache hier«, meinte der Chief Constable, als sie Budge im Wagen verfrachtet hatten. »Miss Starberth, würden Sie wohl mit mir zu Dr. Markley hinüberfahren und ihn auf dem Rücksitz festhalten? Danke Ihnen. Vorsicht jetzt, wenn ich drehe.«

Das letzte, was Rampole beim Starten des Motors sah, war, wie sie Budges Kopf in ihrem Schoß hielt; dann verschwanden die Scheinwerfer. Als Rampole zurück zum Gefängnis gehen wollte, überkam ihn ein Schwächeanfall und er mußte sich auf einen Zaun stützen. Sein Gehirn war müde und abgestumpft und drehte sich wie ein quietschendes Rad im Kreis. Hier stand er also, klammerte sich im Mondlicht an den Zaun und hielt Budges zerknautschten Hut noch in der Hand.

Gleichgültig blickte er ihn an und ließ ihn fallen. Herbert Starberth...

Ein Licht kam näher. Dr. Fells massige Gestalt humpelte über die graue Wiese.

»Hallo, da drüben!« rief der Doktor und schob seine Kinnrollen vor. Er kam hoch und legte Rampole seine Hand auf die Schulter. »Gut gemacht«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Also? Was ist los? Jemand verletzt?«

Der Doktor bemühte sich, ruhig zu reden, doch unwillkürlich wurde seine Stimme lauter.

»Das meiste konnte ich vom Balkon aus sehen. Ich sah, wie er wegrannte, dann habe ich gerufen, und dann hat er, glaube ich, auf jemand geschossen...«

Rampole kratzte sich am Kopf. »Dieser Butler - wie heißt er noch -Budge. Er muß uns aus dem Wald beobachtet haben. Gott weiß, warum. Ich hievte ihn gerade, Sie wissen schon, den Toten, über den Brunnenrand, da hörte ich, wie Sie riefen und jemand wegrannte. Budge kam ihm wohl dazwischen und wurde an der Brust erwischt.«

»Er ist doch nicht - «

»Ich weiß nicht«, antwortete der Amerikaner niedergeschlagen.

»Als wir ihn in den Wagen legten, war er noch nicht tot. Sie bringen ihn gerade nach Chatterham.«

Beide schwiegen eine Weile und lauschten den Grillen. Der Doktor zog eine Flasche aus der Rocktasche und reichte sie Rampole. Heiß rann ihm der Kirschschnaps durch die Kehle, dann spürte er ihn in den Adern und schüttelte sich.

»Sie haben keine Ahnung, wer der Kerl war?« fragte Dr. Fell.

»Ach, zum Teufel damit«, meinte Rampole erschöpft. »Ich habe ihn nicht mal flüchtig gesehen. Hörte ihn bloß abhauen. Ich war völlig mit dem beschäftigt, was ich da unten gesehen habe... Ich glaube, wir gehen jetzt besser zurück zu dem Toten.«

»Sie zittern ja. Nur ruhig - «

»Darf ich mich einen Moment auf Ihre Schulter stützen? Es - es war so - «

Rampole nahm noch einen Schluck. Er hatte das Gefühl, daß ihm der Gestank des Brunnens nie mehr aus der Nase gehen würde. Noch einmal sah er, wie das Seil vom Balkon herabgelassen wurde; noch einmal spürte er durch seine Cordhose die Steinmauer, als er sich über den Rand schwang.

»Es war so«, wiederholte er, »ich brauchte das Seil gar nicht sehr weit. Ungefähr nach anderthalb Metern sind Nischen in den Stein gehauen, fast wie Stufen. Ich dachte mir, das Versteck könnte nicht sehr weit unten sein, denn sonst würde es ja bei jedem Regen überflutet. Ich mußte sehr aufpassen, denn die Stufen waren ziemlich glitschig. Und dann sah ich einen großen Stein, der fast ganz vom Moos befreit war. Ich konnte ein >OM< und ein >TO< erkennen, wohl Teile einer gemeißelten runden Inschrift. Der Rest war unleserlich. Zuerst glaubte ich, ich könnte den Steinblock nicht bewegen, aber als ich mich dann abstützte und mir das Seil um die Hüften wickelte und die Kante der Spitzhacke in den Spalt schob, da merkte ich, daß es nur eine dünne Platte war. Man konnte sie leicht eindrücken, und wenn man sie dabei senkrecht hielt, war an einer Seite eine Vertiefung, in die man die Finger stecken konnte, um sie wieder zurückzuziehen. Das Loch war voller Wasserspinnen und Ratten.«

Er schüttelte sich.

»Es war kein richtiger Raum oder so. Eher eine Höhle, die hinter den flachen Steinplatten der Brunnenmauer aus dem Erdreich herausgekratzt worden ist. Sie stand halb voll Wasser. Herberts Leiche war an die Rückseite gepreßt. Das erste, was ich zu fassen kriegte, war seine Hand. Dann sah ich das Loch in seiner Stirn. Als ich ihn herausgezerrt hatte, war ich genau so naß wie er. Er ist ziemlich klein, wissen Sie, und mit dem Seil um die Hüften als Stütze schaffte ich es, ihn mir auf die Schultern zu heben. Sein Zeug war voller riesiger Fliegen, die dann auch auf mir herumkrabbelten. Was den Rest angeht...«

Er klopfte sich ab. Der Doktor ergriff seinen Arm.

»Sonst gab es nichts darin, außer - ach ja, ich habe das Taschentuch gefunden. Zwar ganz schön verfault, aber es hat dem alten Timothy gehört. T.S. ist drin eingestickt, und es lag blutig und zusammengeknüllt in einer Ecke. Ich glaube wenigstens, daß es Blut ist. Außerdem lagen da noch ein paar Kerzenstummel rum und abgebrannte Streichhölzer. Kein Schatz. Nicht die Spur von einer Kassette oder so was ähnlichem. Das war's dann wohl. Mir ist kalt. Lassen Sie uns zurückgehen und meinen Mantel holen. Da ist irgendwas in meinem Kragen... «