»Schön«, stimmte der Pfarrer zu und nickte bedächtig. »Da bin ich aber froh, daß ich eine solche Menge von Zeugen dabei habe. Bevor ich irgend etwas dazu sage, Inspektor, dies ist Ihre letzte Chance. Sind Sie sicher, daß Sie meine Verhaftung aufrechterhalten wollen?«
»So lauten meine Anweisungen, Sir.«
Wieder nickte der andere liebenswürdig. »Ich glaube fast, das werden Sie noch einmal bereuen. Denn drei Zeugen - Entschuldigung: vier Zeugen - werden bestätigen, daß es mir absolut unmöglich war, meinen jungen Freund Martin zu töten. Oder sonst irgend jemanden.«
Er lächelte.
»Darf ich jetzt eine Frage stellen? Dr. Fell, Sie scheinen dieses
- entschuldigen Sie mich - reichlich merkwürdige Verfahren in Gang gesetzt zu haben. In jener Nacht, in der mein junger Freund
- äh - starb, war ich doch in Ihrem Haus, direkt an Ihrer Seite, oder nicht? Zu welcher Zeit kam ich bei Ihnen an?«
Dr. Fell, der immer noch einem wohlbeleibten Banditen glich, lehnte sich zurück. Offenbar genoß er die Situation. »Erster Zug«, sagte er. »Sie eröffnen also mit einem Bauern statt mit einem Springer. Hören Sie gut zu, Inspektor. Mir gefällt so was. - Sie kamen bei uns um zweiundzwanzig Uhr dreißig an. Ungefähr. Aber halb elf gestehe ich Ihnen zu.«
»Lassen Sie mich darauf hinweisen - «, die Stimme des Pfarrers hatte sich etwas verschärft, doch er mäßigte sich augenblicklich wieder. »Ach egal. Miss Starberth, würden Sie diesen Herren bitte noch einmal sagen, wann Ihr Bruder das Herrenhaus verlassen hat.«
»Es gab da ein Durcheinander mit den Uhren, wissen Sie«, warf Dr. Fell ein. »Die Uhr in der Eingangshalle ging zehn Minuten vor.«
»Schon recht«, meinte Saunders. »Um welche Zeit auch immer er das Herrenhaus verließ: Muß ich da nicht längst in Dr. Fells Haus gewesen sein? Sie wissen doch, daß es so war?«
Dorothy, die ihn argwöhnisch angesehen hatte, nickte.
»Warum... Ja, natürlich.«
»Und Sie, Mr. Rampole. Sie wissen doch auch, daß ich beim Doktor war und von dort nie weggegangen bin. Sie sahen doch Martin mit dem Licht zum Gefängnis hochgehen, während ich im Yew Cottage war, und Sie sahen seine Lampe im Gouverneurszimmer, während ich unter Ihrem Fenster saß. Kurz: Ich kann ihn doch unmöglich getötet haben?«
Rampole konnte nur sagen: »Ja.« Denn das war nicht zu leugnen. Während dieser ganzen Zeit hatte er Saunders nicht aus den Augen verloren. Dr. Fell ebenfalls nicht. Doch er konnte Saunders Blick nicht leiden. Zuviel verzweifelt Hypnotisches steckte hinter dem Lächeln dieses breiten rosaroten, schweißnassen Gesichtes. Na, wie auch immer...
»Auch Sie, Doktor, müssen dem doch zustimmen?« fragte der Pfarrer.
»Das gebe ich zu.«
»Und natürlich habe ich auch keinen mechanischen Trick angewendet, wie bei der Untersuchung mehrfach vermutet wurde? Es gab doch keine Todesfalle, mit der ich Martin, ohne dabeigewesen zu sein, getötet haben könnte?«
»Gab es nicht«, antwortete Dr. Fell. Seine blinzelnden Augen waren plötzlich starr geworden. »Sie waren die ganze Zeit, von der die Rede ist, bei uns. Auch in den kurzen Augenblicken, die Sie von Mr. Rampole getrennt waren, als Sie beide zum Gefängnis hinaufrannten, taten Sie nichts. Martin Starberth war ja bereits tot. Ihr Tun lag offen vor uns. Und dennoch haben Sie Martin Starberth getötet und seine Leiche in den Hexenwinkel geworfen.«
Der Pfarrer entfaltete sein Taschentuch wieder und wischte sich die Stirn. Seine Augen schienen nach einer Falle zu suchen. Er begann wütend zu werden.
»Sie lassen mich besser laufen, Inspektor«, sagte er plötzlich.
»Meinen Sie nicht, daß wir jetzt genug von diesen Dummheiten haben? Entweder macht dieser Mann Witze, oder... «
»Dort kommt Sir Benjamin mit dem Gentleman, der angeblich Ihr Onkel ist«, bemerkte Dr. Fell. »Ich denke, wir fahren am besten alle zu mir nach Hause. Dann werde ich Ihnen sagen, wie er's gemacht hat. In der Zwischenzeit - Inspektor!«
»Ja, Sir?«
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
»Ja, Sir.«
»Dann schicken Sie den Rest Ihrer Leute hinunter, um die Pfarrei zu durchsuchen, und begleiten Sie uns.«
Saunders zuckte leicht. Seine Augen hatten unter den geröteten Lidern einen Ausdruck wie Glasmurmeln. Immer noch zeigte er sein Dauerlächeln.
»Rücken Sie rüber«, befahl Dr. Fell ungerührt, »ich setze mich neben Sie. Ach und übrigens! - An Ihrer Stelle würde ich nicht dauernd mit diesem Taschentuch herumspielen. Ihre ständige Taschentuchwischerei ist allzu bekannt. Wir haben eins der Dinger im Brunnenversteck gefunden, und ich dachte mir gleich, daß die Initialen für Thomas Saunders und nicht für Timothy Starberth stehen. Außerdem war das letzte Wort Timothys vor seinem Tod ja > Taschentuch <. Er hat also dafür gesorgt, daß es außer seinem Manuskript noch einen weiteren Hinweis gab.«
Saunders, der hinübergerückt war, um Platz zu machen, breitete das Taschentuch auf seinen Knien aus, daß es nun gut sichtbar vor ihm lag. Dr. Fell kicherte.
»Sie bestehen doch wohl nicht mehr darauf, Ihr Name sei Thomas Saunders?« Mit einem Schlenker seines Stocks deutete er auf Sir Benjamin, der an der Seite des großen braungebrannten Mannes mit dem schweren Koffer näherkam. Eine hohe Stimme beklagte sich mürrisch:
»- was zum Teufel das hier zu bedeuten hat. Ich wollte noch ein paar Freunden einen Besuch abstatten und bat Tom, mich nicht vor Donnerstag zu erwarten. Stattdessen telegrafiert er mir auf das Schiff, ich solle unverzüglich herkommen, es ginge um Leben und Tod. Er schlug mir sogar einen bestimmten Zug vor - «
»Ich habe telegrafiert«, sagte Dr. Fell. »Und es ist gut, daß ich's getan habe. Am Donnerstag wäre unser Freund hier schon verschwunden gewesen. Er hatte Sir Benjamin sogar schon dazu gebracht, ihm einen triftigen Vorwand für sein Verschwinden zu liefern.« Der große Mann blieb stehen und schob seinen Hut in den Nacken.
»Hören Sie«, sagte er und zwang sich verzweifelt zur Geduld, »sind hier denn alle übergeschnappt? Erst redet Ben nur wirres Zeug und jetzt - wer sind Sie eigentlich?«
»Nein, nein. Das steht jetzt nicht zur Debatte«, korrigierte Dr. Fell.
»Die Frage ist vielmehr: Wer ist das hier?« Er berührte Saunders' Arm. »Ist das Ihr Neffe?«
»Nein, zum Teufel!« sagte Robert Saunders.
»Steigen Sie ins Auto, kommen Sie. Am besten, Sie setzen sich auf den Beifahrersitz, und Sir Benjamin erzählt Ihnen alles.«
Der Inspektor schob sich auf Saunders rechte Seite. Rampole und Dorothy saßen auf den Notsitzen, Robert Saunders mit Sir Benjamin vorne. Der Pfarrer meinte nur:
»Ein Mißverständnis kann natürlich aufgeklärt werden. Aber so ein Mißverständnis ist doch etwas völlig anderes als eine Mordanklage. Sie haben keinerlei Beweis für eine derartige Mordanklage.«
Mittlerweile war er ziemlich weiß im Gesicht geworden. Fast berührten Rampoles Knie die des Pfarrers, und ein leichter Schauer des Widerwillens, beinahe der Furcht, durchlief ihn. Saunders vorstehende Augen standen weit auf, sein Kinn hing ein wenig herab. Man konnte ihn atmen hören.
Eine tödliche Stille herrschte im Innern des Wagens. Rasch war die Dämmerung hereingebrochen, und die Reifen sangen das Wort »Killer«.
Rampole sah, daß der Inspektor seine Pistole unauffällig unter den gefalteten Armen durchgeschoben hatte, ihr Lauf war auf den Pfarrer gerichtet.
Der Weg zum Yew Cottage hinab schüttelte sie wild durcheinander, auf dem Vordersitz redete Sir Benjamin immer noch. Kaum hatten sie vor dem Haus angehalten, als schon Robert Saunders heraussprang, den Schlag aufriß und mit langen Armen zum Rücksitz griff.
»Wo ist er, du dreckiges Schwein?« rief er. »Was hast du mit Tom gemacht?«
Der Inspektor packte ihn am Handgelenk. »Ruhig, Sir. Ruhig. Keine Gewalt, bitte.«