»Alles klar, Sir«, sagte er zu Dr. Fell. »Sie haben in seinem Keller gesucht. Dort war das Motorrad, in Stücke zerlegt und vergraben. Außerdem fanden sie eine Browning-Pistole, ein Paar Gärtnerhandschuhe, einige Koffer voll - «
Fassungslos schrie Sir Benjamin: »Sie Schwein...«
»Warten Sie!« rief der Pfarrer. Wieder war er aufgesprungen, und seine Hand zuckte, als kratze er an einer Tür. »Sie kennen die Geschichte doch gar nicht. Sie wissen überhaupt nichts - alles bloß Vermutungen - und außerdem - «
»Ich kenne diese Geschichte nicht«, schnarrte Robert Saunders, »und ich habe jetzt lange genug den Mund gehalten. Ich will was über Tom erfahren. Wo ist er? Haben Sie ihn etwa auch ermordet? Wie lange spielen Sie schon das Spiel hier?«
»Er ist gestorben!« sagte der andere mit verzweifelter Stimme. »Ich habe nichts damit zu tun. Er ist einfach gestorben, und ich schwöre bei Gott, daß ich ihm niemals irgend etwas angetan habe. Ich wollte bloß in Ruhe und Frieden leben und respektiert werden, deshalb nahm ich seine Stelle ein.«
Seine Finger fuhren ziellos in der Luft herum. »Hören Sie. Alles was ich brauche, ist ein wenig Zeit zum Nachdenken. Ich möchte hier nur sitzen und die Augen schließen. Alles kam so plötzlich... Hören Sie, ich schreibe Ihnen alles auf, die ganze Geschichte. Sie würden sie niemals erfahren, wenn ich das nicht täte. Selbst Sie nicht, Doktor. Wenn ich mich hier hinsetze und alles aufschreibe, versprechen Sie mir dann, mit dem Verhör aufzuhören?«
Er wirkte beinahe wie ein großes, plapperndes Kind. Dr. Fell sah ihn scharf an und sagte dann:
»Ich glaube, Sie lassen ihn wirklich besser, Inspektor. Er kann nicht entkommen. Wenn Sie wollen, können Sie sich ja draußen auf dem Rasen postieren.«
Inspektor Jennings hatte keine Einwände. »Unsere Anweisungen von Sir William im Yard lauteten, alle Befehle von Ihnen zu befolgen. Also dann.«
Der Pfarrer zog sich hoch. Wieder diese unheimliche Parodie seines früheren Betragens. »Es gibt - äh - da noch etwas. Ich muß darauf bestehen, daß Dr. Fell mir bestimmte Dinge erklärt, wie ich auch meinerseits ihm einiges erklären werde. Um unserer früheren -Freundschaft willen, Dr. Felclass="underline" Wären Sie so gut, sich, wenn die anderen hinausgegangen sind, noch ein paar Minuten zu mir zu setzen?«
Rampole lag ein Protest auf den Lippen. Fast hätte er gesagt: »Aber da liegt ein Revolver in der Schublade -!«, als er sah, daß Dr. Fell zu ihm herüberblickte. Beiläufig zündete der Gelehrte neben dem Kamin seine Pfeife an, und seine zwinkernden Augen über der Streichholzflamme baten ihn zu schweigen.
Mittlerweile war es fast dunkel geworden. Ein wütender, wilde Drohungen ausstoßender Robert Saunders mußte von Sir Benjamin und dem Inspektor hinausgeschoben werden. Rampole und das Mädchen betraten den dämmrigen Flur. Das letzte, was sie sahen, waren der Doktor, der immer noch versuchte, seine Pfeife anzuzünden, und Thomas Saunders, der mit hochgerecktem Kinn und gleichgültigem Gesichtsausdruck zum Schreibtisch hinüberlangte. Dann schloß sich die Tür.
Kapitel 18
GESTÄNDNIS
18.15 Uhr
An Inspektor Jennings: Ich habe nunmehr die ganze Geschichte von Dr. Fell erfahren, umgekehrt hat er meine gehört. Ich glaube zwar, rechtsgültige Schriftstücke werden gewöhnlich mit dem Terminus »im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte« oder so ähnlich begonnen. Ich vertraue jedoch darauf, daß man es mir nachsieht, wenn ich mich nicht an eine vorgeschriebene Form halte. Sie ist mir unbekannt.
Ich will versuchen, offen zu sein. Das soll mir leichtfallen, da ich mich nach Beendigung dieses Schreibens erschießen werde. Während unseres Gesprächs vor ein paar Minuten habe ich einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, Dr. Fell zu erschießen. Allerdings steckte nur eine Kugel im Revolver. Als ich ihm das Ding entgegenhielt, machte er eine Geste, als würde ihm ein Strick um den Hals gelegt; nach kurzem Überlegen war mir schnell klar, daß ein sauberer Abgang besser sei, als aufgehängt zu werden. Also legte ich die Waffe weg. Ich hasse Dr. Fell. Ich gestehe, daß ich ihn aus tiefster Seele hasse, weil er mich entlarvt hat, doch muß ich jetzt vor allem an mein eigenes Wohlergehen denken, ich habe kein sonderliches Verlangen danach, gehängt zu werden. Es soll sehr schmerzhaft sein, und Schmerzen habe ich noch nie mit besonderer Tapferkeit ertragen können.
Lassen Sie mich zu Beginn, um mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, quasi als mein Vermächtnis feststellen, daß die Welt mich sehr schändlich behandelt hat. Ich bin kein Verbrecher. Ich bin ein Mann von Erziehung und Begabung, eine Zierde - wie ich glaube -jeder Gesellschaft, in der ich verkehre. Dies vermag mich zum Teil zu trösten. Meinen wirklichen Namen werde ich verschweigen, auch von meiner Herkunft werde ich nicht allzuviel berichten, damit man sie nicht ermitteln kann. Jedenfalls war ich seinerzeit wirklich einmal Student der Theologie. Unglückliche Umstände führten zu meiner Entlassung aus dem Seminar. Umstände, in die jeder junge Mann von gesunder und kräftiger Natur geraten kann, den aller Gottesdienst nicht für die Reize eines hübschen Mädchens unempfänglich gemacht hat. Daß ich Geld gestohlen haben soll, bestreite ich bis auf den heutigen Tag. Auch habe ich niemals versucht, den Verdacht auf einen Kommilitonen zu lenken.
Meine Eltern, die keinerlei Verständnis aufbrachten, verweigerten mir ihr Mitgefühl. Auch in diesem Fall mußte ich feststellen, daß die Welt gerade ihre Lieblingskinder besonders häßlich behandelt. Um es kurz zu machen: Ich fand keine Anstellung. Dabei waren meine Talente so weit gestreut, daß ich in kürzester Zeit Karriere gemacht hätte, hätte man mir nur die Chance gegeben. Doch außer subalternen Tätigkeiten bot sich mir nichts. Ich lieh mir Geld von einer Tante (sie ist mittlerweile tot, requiescat in pace!) und trieb mich in der Welt herum. Ich lernte die Armut kennen - jawohl, eines Tages mußte ich sogar hungern - und wurde eines solchen Lebens überdrüssig. Ich wollte mich irgendwo niederlassen, in Wohlstand leben, geachtet sein, all meine Talente entfalten können und die Süße der Behaglichkeit genießen.
Vor etwas mehr als drei Jahren traf ich auf einem Passagierdampfer, der von Neuseeland kam, den jungen Thomas Audley Saunders. Er erzählte mir, daß er durch den Einfluß eines gewissen Sir Benjamin Arnold (eines alten Freundes seines Onkels, der aber den Neffen nie gesehen hatte) diese großartige neue Stelle erhalten habe. Ich kannte mich in der Theologie gut aus, und so wurden wir Freunde auf der langen Reise. Ich brauche mich hier wohl nicht länger damit aufzuhalten. Jedenfalls starb der arme Kerl, kurz nachdem er England erreicht hatte. Erst da kam mir der Gedanke, daß ich verschwinden und dafür ein neuer Thomas Saunders in Chatterham auftauchen könnte. Angst vor Entdeckung hatte ich nicht. Ich wußte genug von seiner Vergangenheit, um seinen Platz einnehmen zu können, und sein Onkel verließ Auckland praktisch nie. Ich mußte natürlich einen Briefwechsel aufrecht erhalten; doch indem ich meine gelegentlichen Briefe mit der Maschine tippte und die Unterschrift aus Saunders' Paß solange übte, bis ich sie hervorragend imitieren konnte, war ich vor Entdeckung geschützt. Er hatte zwar Eton besucht, jedoch Theologie am St. Bonifatius College in Neuseeland studiert, so daß es nicht sehr wahrscheinlich war, daß ich jemals auf alte Freunde von ihm stoßen würde.
Das Leben hier hatte, da es geruhsam und in jedem Sinne pastoral war, kaum Höhepunkte. Zwar war ich nun ein Gentleman, wünschte mir jedoch - wie alle anderen auch - reich und unabhängig zu sein. Doch ich mußte meine Gelüste zügeln, damit meine Predigten auch tatsächlich überzeugend und glaubwürdig wirken konnten. Ich kann deshalb mit Stolz sagen, daß ich die Gemeindekasse korrekt geführt habe, und nur ein einziges Mal -als ein Hausmädchen aus dem Bezirk mir wegen vorgefallener Handgreiflichkeiten einen Skandal androhte - habe ich, unter dem Zwang unerbittlichster Notwendigkeit, die Bücher ein wenig korrigieren müssen. Doch ich wünschte mir ein angenehmeres Leben, will sagen: in Hotels auf dem Kontinent, mit Dienern und gelegentlichen amourösen Affären.