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In meinem Gespräch mit Dr. Fell mußte ich erfahren, daß er wirklich fast alles weiß. Aus Anthony Starberths Tagebuch, das Mr. Timothy Starberth mir freundlicherweise einmal zeigte, zog ich die gleichen Schlüsse wie zwei Jahre später Dr. Fell. Ich kam zu dem Ergebnis, daß im Brunnen im Hexenwinkel ein Schatz verborgen sei. Wenn er leicht verkäuflich war, etwa aus Gold, Silber oder Juwelen bestand, dann konnte ich augenblicklich mein Amt aufgeben und verschwinden.

Doch auch hierbei brauche ich mich nicht länger aufzuhalten. Zufall, der abscheulichste Zufall, kam mir dazwischen. Warum erlaubt Gott nur so etwas? Ich hatte das Versteck gefunden, und zu meiner Freude enthielt es eine hübsche Sammlung von Edelsteinen. Durch mein früheres Leben kannte ich in London einen vertrauenswürdigen Mann, der auf höchst zufriedenstellende Weise Verkäufe in Antwerpen arrangieren konnte. - Ich mag dieses Wort »»arrangieren« nicht. Es stört meinen Prosastil, den manche liebenswürdigerweise mit der Klarheit Addisons verglichen haben. Doch jetzt steht's da. Um es noch einmal zu sagen: Ich fand die Steine. Ich schätzte, daß ihr Wert sich - niedrig angesetzt - auf circa fünftausend Pfund belief.

Es war (ich erinnere mich sehr genau) der Nachmittag des achtzehnten Oktober, als ich diese Entdeckung machte. Ich kniete bei sorgfältig abgeschirmtem Kerzenlicht im Brunnenversteck und stemmte gerade die eiserne Kassette auf, in der die Steine aufbewahrt waren. Da vernahm ich draußen vor dem Brunnen ein Geräusch. Ich sah gerade noch, wie das Seil sich bewegte und eine Gestalt vor der Öffnung verschwand, und hörte das unverkennbare Lachen von Mr. Timothy Starberth. Zweifellos hatte er bemerkt, daß irgend etwas im Brunnen nicht in Ordnung war. Er war herabgeklettert, hatte mich bei der Arbeit gesehen und stand jetzt lachend wieder oben. Ich darf hier wohl anfügen, daß er stets eine höchst unerklärliche Abneigung, nein, einen Haß gegen die Kirche und alle heiligen Dinge gehegt hat; nicht selten steigerte sich seine Haltung zur reinen Blasphemie. Er konnte mir - mehr als alle anderen - Schwierigkeiten bereiten. Selbst wenn er meinen Fund nicht bemerkt haben sollte (was aber unwahrscheinlich war), würde er doch, nach seiner Schadenfreude angesichts meiner eigentümlichen Beschäftigung zu schließen, alle meine Hoffnungen ruinieren.

An dieser Stelle muß ich nun auf einen seltsamen Zug meines Charakters hinweisen. Es gibt nämlich Gelegenheiten, bei denen ich offenbar jegliche Kontrolle über meine Reflexe verliere und sogar fast Freude daran habe, anderen körperlichen Schmerz zuzufügen. Schon als Kind habe ich Kaninchen lebendig begraben und Fliegen die Flügel ausgerissen. Seit ich erwachsen bin, läuft dies nun auf gewisse verwirrende Aktivitäten hinaus, an die ich mich nur höchst ungern erinnere, die ich sorgfältig verberge und die mich oft schon selbst erschreckt haben... Doch ich will fortfahren. Als ich hinaufkam, sah ich, daß er am Rand des Brunnens auf mich wartete, seine Reitsachen total durchnäßt. Er bog sich vor Lachen und schlug sich mit der Gerte auf die Knie. Die wertvolle Kassette hatte ich in meinem Mantel verborgen, in der Hand hielt ich das kleine Stemmeisen.

Als er mir während seines nicht enden wollenden Gelächters den Rücken zudrehte, schlug ich zu. Ich machte mir ein Vergnügen daraus, viele Male auf ihn einzuschlagen, selbst noch, als er bereits zu Boden gesunken war. Ich kann mich nicht damit brüsten, daß zu diesem Zeitpunkt der Plan, den ich dann faßte, bereits voll ausgereift war; doch er nahm schon Gestalt an, und ich beschloß, die Starberth-Legende von den gebrochenen Hälsen nutzbringend anzuwenden.

Ich brach ihm mit der Eisenstange das Genick, ließ ihn im Halbdunkel des Dickichts liegen und pfiff sein Pferd heran.

Ohne weiteres wird man meinen Schock verstehen können, als ich später, in einem ruhigeren Augenblick, erfuhr, daß er gar nicht tot war und mich zu sehen wünschte. Dr. Fell hat mir eben erst erzählt, daß es diese Tatsache war, die ihn argwöhnisch gegen mich werden ließ, daß nämlich Timothy Starberth mich zu sich ans Bett bestellte und daß er mich alleine sprechen wollte. Meine verständliche Aufregung nach diesem Gespräch, die ich nur schlecht verbergen konnte, war Dr. Fell aufgefallen. Um es kurz zu machen: Mr. Starberth erzählte mir, was Dr. Fell uns allen gegenüber bereits früher ausgeführt hat, namentlich seinen Plan, einen Bericht meiner Schuld in den Tresor des Gouverneurszimmers bringen zu lassen, damit die Mordanklage zwei Jahre lang über meinem Haupt schweben sollte. Als er mir das erzählte, wußte ich überhaupt nicht mehr, welchen Kurs ich einschlagen sollte. Am liebsten wäre ich ihm an die Gurgel gegangen. Doch das hätte nur zu einem Schrei und meiner sofortigen Verhaftung geführt. Ich hatte ja zwei Jahre, dachte ich dann, während derer ich sicher ein Mittel finden würde, seine Absicht zu unterlaufen. Als ich zu den anderen zurückging, achtete ich darauf, ihnen die Überzeugung einzuimpfen, daß der Alte verrückt geworden war - für den Fall, daß er mich in einem unbewachten Augenblick doch noch verriet.

Ich brauche hier wohl nicht die vielen Pläne auszubreiten, die ich im Laufe der Zeit entwickelte, um das Manuskript zu stehlen. Sie führten zu nichts. Statt also mein Amt quittieren und Chatterham verlassen zu können, war ich nun völlig machtlos. Zwar hätte ich in den zwei Jahren um die halbe Erde fliehen können, doch es gab einen überwältigenden Grund, der gegen eine Flucht sprach:

Wenn ich verschwand, würde man Nachforschungen nach Thomas Saunders anstellen. Unausweichlich würde zu Tage kommen, daß der wirkliche Thomas Saunders bereits tot war - außer natürlich, ich würde mich zeigen, wann immer man nach mir suchte, und so alle Nachforschungen stoppen. Wenn ich Handlungsfreiheit gehabt hätte, ohne diese Mordanklage im Rücken, dann hätte ich mich auch jederzeit zeigen können; ich wäre einfach der von seinem Pfarramt zurückgetretene Thomas Saunders gewesen. War ich jedoch Thomas Saunders, der Flüchtling - was dann für immer meine Rolle gewesen wäre -, dann hätte man entdeckt, was aus dem echten Geistlichen aus Auckland geworden war, und man hätte mich unweigerlich irgendwelcher Machenschaften gegen ihn verdächtigt. In jedem Fall also hätte ich es, wenn ich mich aus dem Staub gemacht hätte, mit einer Mordanklage zu tun gehabt. Die einzige Möglichkeit, die mir demnach blieb, war, auf irgendeine Weise das Manuskript aus dem Safe zu entwenden.

Zu diesem Zweck bemühte ich mich, vor seiner Abreise nach Amerika das Vertrauen des jungen Mr. Martin Starberth zu gewinnen. Ohne daß man mir mangelnde Bescheidenheit vorwerfen wird, glaube ich sagen zu können, daß die Ausstrahlung meiner Persönlichkeit groß genug ist, um jeden - wen auch immer ich mir erwähle - zu meinem treuen Freund zu machen. Jedenfalls gelang mir das mit Martin, der zwar ein wenig eingebildet und dickköpfig, andererseits aber auch ein sehr liebenswerter junger Mann war. Er erzählte mir von den Schlüsseln zum Tresor, den Umständen der Nachtwache und all seinen Aufgaben am Abend seines fünfundzwanzigsten Geburtstages. Schon damals, es ist jetzt knapp zwei Jahre her, war er nervös. Die Zeit verging, und ich erkannte an seinen Briefen aus Amerika, daß seine Angst inzwischen beinahe pathologisch geworden war (wenn mir ein solcher Ausdruck gestattet ist), und ich mir möglicherweise beides, seine Angst und die Hingabe seines Vetters Herbert an den brillanteren Martin, mit guten Erfolgsaussichten zunutze machen konnte. Meine Absicht war natürlich, in den Besitz dieses Papiers zu gelangen. Unglücklicherweise war ich dabei gezwungen, Martin - den ich wirklich sehr mochte - zu töten und als eine notwendige Folge davon den Tod seines Vetters Herbert mit einzukalkulieren. Jeder wird einsehen, daß meine Lage wirklich prekär war.