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Rampole spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach.

»Nichts«, sagte er laut. Mit sehr viel Nachdruck begann er zu sprechen. »Hören Sie, Sir, ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Ich hätte ja einen anderen Zug genommen, es gab nur keinen, der zu einer anständigen Uhrzeit hier angekommen wäre. Ich könnte einfach nach Chatterham gehen und mir ein Hotel oder einen Gasthof suchen, oder - «

Der alte Gelehrte kicherte. Es war ein beruhigendes Geräusch an solch einem Ort. »Unsinn!« rief er und schob Rampole an der Schulter vorwärts. »Er glaubt wohl, ich fürchte mich«, dachte Rampole und willigte hastig ein. Während Dr. Fell nach dem Hausschlüssel suchte, spähte Rampole ein letztes Mal zum Gefängnis hinüber.

Vielleicht hatten die Spukgeschichten seine Wahrnehmung beeinflußt. Aber er hätte schwören können, daß er einen Augenblick lang gesehen hatte, wie irgend etwas über die Mauern des Gefängnisses blickte. Und er hatte das schreckliche Gefühl, dieses Etwas sei triefend naß gewesen...

Kapitel 3

Ais er nun, am Nachmittag seines ersten Tages im Yew Cottage, in Dr. Fells Arbeitszimmer saß, war Rampole geneigt, alles für ein launisches Spiel seiner Einbildung zu halten. Dieses solide kleine Haus mit den Öllampen und der primitiven sanitären Einrichtung vermittelte ihm das Gefühl, er befinde sich auf Urlaub in irgendeiner Jagdhütte, vielleicht in den Adirondacks, als würden sie schon bald zurück nach New York fahren und eine Autotür würde zugeschlagen, um erst zu Hause wieder vom Pförtner des eigenen Appartmenthauses geöffnet zu werden.

Doch er war hier: Die umhersummenden Bienen im sonnendurchfluteten Garten, die Vogelhäuschen und die Sonnenuhr, der Geruch von altem Holz und frisch gewaschenen Vorhängen - das konnte nur England sein. Hier hatten Spiegeleier mit Speck einen Wohlgeschmack, den er nie zuvor derart zu schätzen gewußt hatte. Pfeifentabak ebenfalls. Die Landschaft hier hatte nichts Künstliches, wie sie es leicht bekommt, wenn man nur im Sommer auf dem Land lebt; vor allem erinnerte sie nicht im geringsten an das Grünzeug auf dem Dachgarten eines Penthouse.

Da war Dr. Fell, der mit einem breitrandigen weißen Hut in seinem Herrschaftsbereich umherschlenderte, der auf liebenswürdige Weise schläfrig aussah und mit größter Sorgfalt nichts tat. Und da war Mrs. Fell, eine kleine, geschäftige, stets heitere Frau, die ständig irgendwelche Gegenstände umwarf. Zwanzigmal an einem Morgen konnte man ein leichtes Poltern vernehmen, worauf sie »Wie ärgerlich!« rief und mit dem Säubern und Wischen fortfuhr bis zum nächsten Mißgeschick. Überdies hatte sie die Angewohnheit, ihren Kopf ständig irgendwo im Haus aus dem Fenster zu strecken, um eine Frage an ihren Gemahl zu richten. Wenn man sie auf der Vorderseite des Hauses vermutete, dann schnellte sie bestimmt, wie der Kuckuck aus der Uhr, aus einem der rückwärtigen Fenster, winkte Rampole freundlich zu und fragte ihren Gatten nach irgendeinem verschwundenen Gegenstand. Der blickte dann immer leicht erstaunt drein und wußte es nie. Also verschwand sie wieder, jedoch nur, um kurz darauf mit einem Kissen oder Staubtuch in der Hand in einem Seitenfenster zu erscheinen. Das Ganze wirkte auf Rampole, der es sich im Liegestuhl unter einer Linde gemütlich gemacht hatte und seine Pfeife schmauchte, wie eins jener Schweizer Barometer, bei dem die beiden rotierenden Figuren aus ihrem Chalet ständig vor- und zurücktreten, um das Wetter anzuzeigen.

Den Vormittag und einen Teil des Nachmittags widmete Dr. Fell gewöhnlich der Arbeit an seinem großen Werk über Die Trinksitten in England seit frühester Zeit, einer monumentalen Studie, in die er sechs Jahre intensivster wissenschaftlicher Forschung gesteckt hatte. Er liebte es, den Ursprüngen so eigenartiger Begriffe wie >auf den Nagel trinken<, >in die Kanne schicken<, >das Fell versaufen< und anderer kurioser Ausdrücke aus der Sprache des Bechers nachzuspüren. Selbst wenn er Rampole davon erzählte, setzte er sich leidenschaftlich mit den Abhandlungen solcher Autoren auseinander wie Tom Nash (Pierce Pennilesse, 1595) und George Gascoigne (Ein tugendhaft Tractatfür tapfere Trinker, worin vor dem tadelnswerthen Mißbrauch gewöhnlichen Zechens wie vor dem Sauffen mit vollen Zügen ernsthaftig gewarnet wird, 1576).

Der Morgen verging, die singenden Amseln auf der Wiese und das einschläfernde Sonnenlicht nahmen dem Chatterham-Gefängnis alles Unheilvolle. Doch im Laufe des Nachmittags betrat Rampole das Arbeitszimmer des Doktors, wo sein Gastgeber gerade seine Pfeife stopfte. Dr. Fell trug einen alten Jagdrock, der weiße Hut hing an einer Ecke des Kaminsimses. Vor ihm auf dem Tisch lagen Papiere, auf die er immer wieder verstohlene Blicke warf.

»Zum Tee werden wir Gäste bekommen«, sagte der Gelehrte. »Der Pfarrer kommt, außerdem der junge Martin Starberth mit seiner Schwester. Sie wohnen im Herrenhaus, wissen Sie. Der Briefträger erzählte mir, daß sie heute morgen angekommen sind. Vielleicht kommt auch Starberths Vetter, aber der ist so lustig wie ein Stockfisch. Ich nehme an, Sie wüßten gerne mehr über das Gefängnis?«

»Wenn dadurch nicht-«

»Vertrauliches ausgeplaudert wird? Oh nein. Alle wissen davon. Ich bin selber ziemlich neugierig, den jungen Martin wiederzusehen. Er war zwei Jahre lang in Amerika, seine Schwester hat das Herrenhaus seit dem Tod ihres Vaters verwaltet. Ein großartiges Mädchen übrigens. Der alte Timothy starb auf wirklich seltsame Weise.«

»Genickbruch?« forschte Rampole, als der andere zögerte.

Dr. Fell grunzte. »Wenn er sich nicht den Hals gebrochen hat, dann jedenfalls den größten Teil der restlichen Anatomie. Der Mann war völlig zerschmettert. Kurz nach Sonnenuntergang war er ausgeritten, und sein Pferd hatte ihn offensichtlich abgeworfen, als er den Galgenhügel in der Nähe des Hexenwinkels herunterritt. Man hat ihn am späten Abend im Unterholz gefunden. Sein Pferd stand in der Nähe und wieherte wie zu Tode erschrocken. Der alte Jenkins, einer seiner Pächter, entdeckte ihn. Er meinte später, daß die Laute, die das Pferd von sich gab, das Schlimmste waren, was er je gehört hätte. Timothy starb am nächsten Tag, aber bis zu seinem Ende war er vollständig bei Bewußtsein.«

Bereits einige Male während seines Aufenthaltes hatte Rampole den Verdacht gehabt, sein Gastgeber könnte sich möglicherweise über ihn, den ahnungslosen Amerikaner, lustig machen. Doch nun wußte er es besser. Dr. Fell bemühte diese alten, grausigen Geschichten nur, weil ihn etwas beunruhigte. Er redete, um sich zu erleichtern. Hinter dem Zusammenkneifen seiner Augen und dem unruhigen Herumwälzen im Stuhl steckten Zweifel, ein Verdacht, vielleicht sogar Furcht. Sein asthmatisches Keuchen klang laut in dem stillen Raum, in den die Nachmittagssonne dämmrige Schatten warf.

Rampole sagte: »Ich vermute, daß dadurch der alte Aberglaube wieder auflebte.«

»Stimmt genau. Aber wissen Sie, es hat in dieser Gegend immer allen möglichen Aberglauben gegeben. Nein, die Sache deutete auf etwas viel Schlimmeres hin.«

»Sie meinen - «

»Mord«, sagte Dr. Fell.

Er beugte sich vor. Seine Augen hinter den Gläsern hatten sich geweitet, und das rötliche Gesicht nahm einen starren Ausdruck an. Er begann, sehr schnell zu reden.

»Passen Sie auf! Ich will ja nichts sagen, vielleicht ist alles nur Einbildung und geht mich nichts an. Hm. Aber Dr. Markley, der gerichtliche Leichenbeschauer, meinte, daß er einen Schlag auf die Schädelbasis abgekriegt hätte, der von dem Sturz herrühren könnte, aber vielleicht auch nicht. Das Aussehen der Leiche wies, so schien es mir jedenfalls, weniger auf einen Sturz hin; eher war es, als hätte jemand auf ihm herumgetrampelt, und damit meine ich nicht das Pferd. Und außerdem: Es war ein feuchter Oktoberabend, und er lag auf sumpfigem Boden. Aber das scheint nicht die Tatsache zu erklären, daß er völlig durchnäßt war.«