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»Ich traue Colla nicht zu, mir einen genauen Bericht zu liefern. Allerdings« - sie hob den Blick wieder zu dem nächtlichen Himmelszelt - »sollten wir uns vielleicht zurückziehen und auf den morgigen Tag vorbereiten. Es hat keinen Zweck, übereilte Folgerungen zu ziehen, bevor wir genaue Kenntnis haben.«

Sie wandte sich um und ging voran, die Holztreppe hinunter. Eadulf folgte ihr und verschluckte ein Stöhnen, als sich die Welt wieder um ihn drehte. Er klammerte sich an das Geländer. Fidelma tat so, als habe sie nichts gehört, während er hinter ihr her stolperte. Sie achtete aber besorgt darauf, daß ihr Gefährte sicher sein Bett im Gästehaus erreichte. Als sie dort angekommen waren und Eadulf in sein Zimmer getorkelt war, wartete Fidelma eine Weile und spähte dann vorsichtig hinein.

Eadulf lag voll angekleidet bäuchlings auf dem Bett und schnarchte leise. Normalerweise mochte Fidelma keine Leute, die weniger Alkohol vertrugen, als sie tranken, doch hatte sie noch nie erlebt, daß Eadulf sich damit übernahm. Sie ließ es ihm durchgehen, zog ihm die Sandalen aus und legte eine Decke über ihn.

Wie gewohnt stand Fidelma früh auf. Sie stellte fest, daß sie von den vier Gästen die erste war, die ein Bad nahm. Fertig und angezogen ging sie hinunter in den Hauptraum, wo Cruinn, die rundliche Verwalterin, die erste Mahlzeit bereitete. Zu ihrer Überraschung fand sie dort auch Eadulf. Unrasiert und zerzaust saß er da, den Kopf in die Hände gestützt, und litt offensichtlich unter den Nachwehen der gestrigen Feier. Als sie sich ihm gegenübersetzte, hob er stöhnend den Kopf und sah sie schläfrig blinzelnd an.

»Gott verdamme alle Hähne!« knurrte er. »Ich war kaum eingeschlafen, als dieser verfluchte Hahn anfing zu krähen und meine Ruhe störte. Er hörte sich an wie ein Teufelschor aus der Unterwelt.«

Fidelma unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, daß er den größten Teil der Nacht in alkoholisiertem Tiefschlaf verbracht hatte. Mit gespielter Mißbilligung runzelte sie die Stirn.

»Es überrascht mich, daß du Gott bittest, ausgerechnet den Hahn zu verfluchen, der doch dem Glauben heilig ist.«

»Wieso das denn?« fragte Eadulf und rieb sich verschlafen die Stirn.

»Erinnerst du dich nicht an die Geschichte, wie nach der Kreuzigung Jesu die römischen Soldaten einen Hahn kochten? Einer von ihnen erzählte den anderen, es gäbe ein Gerücht bei den Anhängern Christi, daß er am dritten Tage wieder lebendig würde. Ein anderer Soldat spottete darüber und meinte im Scherz, das würde ebensowenig geschehen, wie der tote Hahn krähen würde. Worauf sich der tote Vogel aus dem Kessel erhob, mit den Flügeln schlug und ausrief: >Der Sohn der Jungfrau ist sicher<!«

Trotz seiner Kopfschmerzen mußte Eadulf zugeben, daß die irischen Worte mac na hoighe sldn gut zum Krähen eines Hahns paßten. Dann kam ihm eine dunkle Erinnerung.

»Eine ähnliche Geschichte habe ich in einem griechischen Evangelium gelesen, dem Evangelium des Nikodemus. Nur war es da die Frau des Judas Ischa-riot, die den Hahn kochte und den Verräter Christi beruhigen wollte. Der Vogel schlug mit den Flügeln und krähte dreimal, gab aber keine verständlichen Wörter von sich.«

Fidelma lachte belustigt.

»Du mußt unseren alten Barden schon die Freiheit lassen, die Geschichten so zu gestalten, daß sie unserem Volk etwas bedeuten.«

Eadulf spürte wieder seinen Kopf und stöhnte.

»Ich brauche keinen Hahn, der mich in meinem Glauben bestätigt. Dafür brauche ich einen Hahn, der still ist, wenn ich ruhen will, oder wie soll ich einen klaren Kopf bekommen, um meinem Glauben zu folgen?«

»Hahn hin oder her, ich meine, dein Mangel an Schlaf hat andere Ursachen. Kennst du nicht den Spruch, daß Wein am Abend Gold ist, am Morgen aber Blei?«

Eadulf wollte etwas erwidern, als Bruder Dianach, der junge Schreiber, sich zu ihnen gesellte. Im stillen verwünschte Eadulf sein frisch gewaschenes, fröhliches Gesicht und seine überschwengliche Begrüßung Fidelmas, während er dem verkaterten Eadulf einen mißbilligenden Blick zuwarf. Seine frühere Schüchternheit schien völlig verflogen.

Nach der morgendlichen Begrüßung fragte Fidel-ma, wo sich denn sein Herr und Meister, Bruder Solin aus Armagh, derzeit aufhalte.

»Er war nicht in seinem Zimmer«, antwortete Bruder Dianach, »also nehme ich an, er ist schon aufgestanden und ausgegangen.«

Fidelma blickte Eadulf an, doch der angelsächsische Mönch war zu sehr mit seinem eigenen Jammer beschäftigt.

»Dann ist er aber wirklich früh auf den Beinen. Ist das so üblich bei ihm?«

Der junge Mönch bestätigte es mit einem gleichgültigen Nicken und schnupperte die Wohlgerüche aus der Küche.

Die rundliche Cruinn eilte herbei und brachte ein Tablett mit frisch gebackenem Brot, duftend und gerade aus dem Ofen, geronnener Sahne, Obst und kaltem Fleisch und dazu einen Krug Met. Danach bat die füllige Verwalterin um Erlaubnis, zu ihrem eigenen Haus zurückzukehren, denn, wie sie sagte, hatte sie ihrer Tochter versprochen, mit ihr Heilkräuter sammeln zu gehen. Fidelma übernahm es, sie mit Dank zu entlassen, und meinte, sie würden auch allein zurechtkommen. Als Cruinn ging, langte Eadulf sofort mit zitternder Hand nach dem Krug Met. Er lächelte schwach, als er Fidelmas warnenden Blick auffing.

»Similia similibus curantur«, murmelte er und goß sich einen Becher ein.

»Aber nein, Bruder«, wandte der junge Bruder Dianach vorwurfsvoll ein. »Gleiches wird nicht von Gleichem geheilt. Da bist du völlig im Irrtum.«

Der junge Mann sah so ernst aus, daß Eadulf den Becher noch einmal absetzte. Fidelma grinste schelmisch.

»Und welchen Rat würdest du geben, Bruder Dianach?« lockte sie ihn.

Der junge Mann schaute Fidelma an und überlegte sich den Fall gründlich.

»Contraria contrariis curantur ... Gegensätzliches wird durch Gegensätzliches geheilt. Diesen Grundsatz lehrt man in Armagh. Man bedenke, welche Wirkung es hat, wenn man das, was dieselbe Krankheit hervorruft, dem gibt, der sie schon hat. Es verschlimmert die Krankheit nur. Die Grundlage jeder Medizin muß doch darin bestehen, der Krankheit mit dem zu begegnen, was die entgegengesetzte Wirkung hat, und nicht mit dem, was sie noch verstärkt?«

»Was meinst du dazu, Eadulf?« lachte Fidelma. »Du hast schließlich in Tuam Brecain Medizin studiert.«

Als schweigende Antwort stürzte Eadulf den Becher hinunter, schloß die Augen und erschauerte mit einer Miene aus Todesqual und Ekstase. Er holte tief und erleichtert Luft.

Bruder Dianach starrte ihn verblüfft an.

»Ich wußte nicht, daß der angelsächsische Bruder an einer unserer großen medizinischen Hochschulen studiert hat«, sagte er verletzt. »Das hast du mir gestern abend nicht verraten. Immerhin solltest du wissen, daß du deine Unmäßigkeit nicht mit Alkohol kurieren kannst. Das ist schandbar, Bruder.«

Eadulf schloß die Augen, stöhnte, goß sich einen zweiten Becher ein und gab keine Antwort. Während Fidelma und Bruder Dianach ihre erste Mahlzeit des Tages beendeten, rührte Eadulf kaum etwas von den Speisen an. Nachdem der junge Mönch sich entschuldigt hatte und in sein Zimmer zurückgekehrt war, beugte sich Fidelma vor und faßte Eadulf am Arm.

»Halt mir keine Predigt«, knurrte Eadulf, bevor sie noch etwas sagen konnte. »Laß mich in Frieden sterben.«

»Trotzdem, Eadulf, der Junge hat recht«, meinte sie ernst. »Du brauchst heute deinen Verstand. Zuviel Met stumpft ihn ab.«

Eadulf riß die Augen auf.

»Ich schwöre, das ist alles, was ich heute trinke. Ich brauche es nur, um in Gang zu kommen. Wenigstens hat der Met meinen Brummschädel geheilt - zumindest für den Augenblick.«

»Dann machen wir jetzt einen Spaziergang und bereiten uns auf die Verhandlungen vor. Hast du übrigens gehört, was Bruder Dianach über Bruder Solin sagte?«