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Eadulf erhob sich langsam. Er überlegte.

»Nur, daß er früh ausgegangen ist. Wieso? Kann man daraus noch auf anderes schließen?«

»Er ist nicht früh ausgegangen, sondern über Nacht gar nicht hereingekommen.«

Eadulf sah sie gespannt an.

»Woher weißt du das?«

»Ich war schon auf, bevor dein schrecklicher Hahn krähte. Bruder Solins Tür stand ebenso offen wie am Abend, als ich in mein Zimmer ging. Die Bettdecke war so unberührt wie am Abend zuvor. Daraus folgt logisch, daß er nicht ins Gästehaus zurückkam.«

Eadulf fuhr sich nachdenklich durchs Haar.

»Er war noch in der Festhalle, als wir sie verließen, nicht wahr? Nein, Moment mal. Bruder Dianach hatte sich früh zurückgezogen. Das ist ein frommer, nüchterner Bursche. Wenn ich mich recht erinnere, ging Bruder Solin bald danach, noch vor uns. Das muß gleich nach Murgals dramatischem Abgang gewesen sein.«

»Wo war er also die ganze Nacht?«

»Meinst du, das hängt mit dem zusammen, was er hier zu tun hat?«

»Das weiß ich nicht. Aber wir müssen auf Bruder Solin achten. Er gefällt mir nicht.«

Sie wollten gerade das Gästehaus verlassen, als sich die Tür öffnete und der Gegenstand ihres Gesprächs eintrat. Er schien zu erschrecken, als er sie stehen sah, als erwarteten sie ihn, doch dann verzog er rasch das Gesicht zu einem ausdruckslosen Lächeln und wünschte ihnen einen guten Morgen.

»Wir waren noch nicht draußen, um zu sehen, ob er gut ist oder nicht«, antwortete Fidelma harmlos. »Ist er schön?«

»Ihr solltet so früh aufstehen wie ich«, erwiderte Bruder Solin ungerührt, ging zum Tisch und setzte sich. Er bediente sich reichlich bei den Speisen und Getränken, die auf dem Tablett standen. Offensichtlich hatte er einen guten Appetit.

»Stehst du immer so früh auf?« fragte Fidelma unschuldig. »Mir fällt das schwer, dir nicht auch, Eadulf?«

»O ja, sehr sogar«, stimmte ihr Eadulf zu und spielte mit. »Besonders heute morgen. Mich hat dieser verflixte Hahn mit seinem Krähen gestört. Hat er dich auch aus dem Schlaf gerissen, Bruder Solin?«

»Nein, ich war schon früher wach. Ich stehe von jeher früh auf.«

Eadulf wechselte einen Blick mit Fidelma, doch sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht, daß Eadulf Bruder Solin offen der Lüge bezichtigte.

»Ich nehme an, es tut gut, den Tag mit einem tüchtigen Spaziergang vor dem Frühstück zu beginnen?« meinte sie, kehrte zum Tisch zurück und setzte sich wieder.

»Es gibt nichts Besseres«, antwortete Bruder Solin selbstzufrieden, brach ein Stück Brot ab und nahm sich eine weitere Scheibe Käse.

Eadulf hüstelte, um seine Empörung zu verbergen. Ihm war aufgefallen, und er war sich sicher, daß Fidelmadas auch bemerkt hatte, daß nämlich Bruder Solin dieselbe Kleidung trug wie am vorigen Abend beim Fest. Ein Mann vom Rang Bruder Solins führte immer besondere Kleidung mit, die er bei speziellen Gelegenheiten anlegte.

Auch Fidelma hatte gesehen, daß Solin die Kleidung seit dem Abend nicht gewechselt hatte, und sagte schnell, damit Eadulf nicht darauf anspielen konnte: »Vielleicht gehst du in meine Zelle und suchst das Material zusammen, daß ich für die Verhandlung mit Laisre und seinem Rat mitgebracht habe?«

Eadulf verstand den Wink und ging hinauf zu den Schlafräumen. Oben an der Treppe blieb er stehen und lauschte der weiteren Unterhaltung.

»Findet man hier in der Gegend gute Wege zum Spazierengehen, Bruder Solin?« hörte er Fidelma fragen.

»Einigermaßen«, antwortete der Kleriker.

»Wohin bist du gegangen?«

»Bis über eine Gruppe von Häusern an der Gabelung des Flusses hinaus, etwa eine Viertelmeile vom Tor des rath«, kam die rasche Antwort.

Sie wurde mit solcher Sicherheit gegeben, daß Ea-dulf wußte, Fidelma würde Solins Behauptung, er habe nur einen frühen Spaziergang gemacht, nicht erschüttern können. Was mochte der Geistliche aus Armagh nur vorhaben? Oder taten sie ihm unrecht, wenn sie ihn verwerflicher Absichten verdächtigten?

Als habe sie seine Gedanken erraten, hörte Eadulf, wie Fidelma leise und vertraulich sagte: »Da wir nun unter uns sind, Bruder Solin, möchte ich dich ganz privat fragen, zu welchem Zweck bist du wirklich hier?«

Es trat eine Pause ein, und dann lachte Bruder Solin.

»Das habe ich dir schon erklärt, Schwester Fidelma, und trotzdem glaubst du mir nicht.«

»Ich würde gern die Wahrheit hören.«

»Wessen Wahrheit? Meine Wahrheit gefällt dir nicht, was soll ich also sagen?«

»Würdest du beim Leibe Christi schwören, daß du von Ultan von Armagh lediglich dazu hergeschickt wurdest, um die Stärke des Glaubens in den fünf Königreichen zu erkunden? Wozu? Armagh hat hier keine Oberhoheit. Das Gebiet untersteht dem Bischof von Imleach.«

Bruder Solin verfiel in ein keuchendes Lachen.

»Du hast in Tara studiert, Fidelma von Cashel. Sogar Ultan hat mir von dir erzählt. Der Brehon Morann von Tara war dein Lehrer. Im Glauben hat dich Abt Laisran von Durrow unterwiesen, und du warst Novizin in Kildare. Du hast Äbtissin Étain von Kildare als Beraterin zur Synode von Whitby begleitet. Dort hat dich Ultan von Armagh gebeten, eine Gesandtschaftsreise nach Rom zu unternehmen. Erst seit deiner Rückkehr von dort hast du es vorgezogen, unter dem Schutz deines Bruders in Cashel zu leben.«

Fidelma war verblüfft, wieviel der Mann über sie wußte.

»Du scheinst gut unterrichtet zu sein, Bruder So-lin«, gab sie zu.

»Ich bin Ultans Sekretär, wie ich schon sagte. Ich muß gut Bescheid wissen.«

»Doch das beantwortet meine Frage noch nicht. Armagh wird nicht als die Mutterkirche dieses Königreichs anerkannt.«

»Was ich damit meinte, Schwester, ist, daß du weit genug gereist bist, um etwas von den Rechten der Könige der Ui Neill zu wissen. Und so, wie die Könige der Ui Neill ihr Recht auf das Großkönigtum und die Herrschaft über die fünf Königreiche beanspruchen, so beansprucht Armagh sein Recht auf die kirchliche Herrschaft über ganz Irland.«

Fidelma blieb gelassen.

»Ich weiß von den Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ui Neill und den Eoghanacht über die Bedeutung des Großkönigtums«, bestätigte sie vorsichtig. »Nur wenige Einwohner der fünf Königreiche wissen nicht davon. Die Ui Neill behaupten seit vielen Jahren, das Königtum in Tara solle Macht über alle fünf Königreiche besitzen. Als die Könige von Irland zum ersten Mal zusammentraten und beschlossen, aus ihren Reihen einen Großkönig zu wählen, verstanden sie das nicht als ein autokratisches Amt, sondern als einen >Ehrenvorrang<. Jeder Großkönig sollte aus einer königlichen Dynastie und von ihnen allen abwechselnd gewählt werden. Es war eine Ehre, ein Zeichen der Hochachtung, aber keine Übertragung von Macht. Schau in den Gesetzen der fünf Königreiche nach und sieh dir die Gesetze über das Königtum an. Zeig mir ein Gesetz, das zugesteht, es gäbe ein Amt in den fünf Königreichen, das höher ist als das eines Provinzkönigs?«

Bruder Solin lehnte sich mit einem verächtlichen Lächeln zurück.

»Ich hatte erwartet, daß eine Eoghanacht-Prinzessin aus dem Gesetz zitieren kann, wenn es zugunsten von Cashel lautet.«

»Ich spreche als eine dalaigh«, erwiderte Fidelma bestimmt. »Spräche ich als Eoghanacht-Prinzessin, würde ich das Gesetz des Uraiccecht Bec zitieren: >Höchster über den Königen ist der König von Muman.<«

»Dem stimmen die Ui Neill nicht zu.«

»Natürlich nicht.« Fidelma konnte den Spott nicht aus ihrer Stimme verbannen.

»Trotzdem habt ihr in der Vergangenheit Sesnas-sach als Großkönig anerkannt. Bist du nicht in Tara gewesen und hast an seinem Hof gedient? Du hast sogar Ultan als Erzbischof anerkannt.«

»Ich wurde nach Tara gerufen, um den Diebstahl des Schwertes des Großkönigs aufklären zu helfen. Ich erkenne das Großkönigtum an aus Achtung für die priesterliche Ehre, wie es von den Königen vorgesehen war. Aber kein Eoghanacht ist der Ansicht, daß der König, der in Tara residiert, Oberhoheit über diese südlichen Reiche besitzt. Und als ich Ultan mit dem griechischen Titel archiepiskopos ansprach, tat ich nicht mehr, als unseren irischen Titel Comarb von Patrick zu übersetzen. Denn ein Erzbischof beaufsichtigt die Bischöfe seiner Provinz, so wie es der Comarb von Ailbe in Imleach hier in Muman tut.«