»Dann bist du ebenso blind wie blöd, Solin. Diese meine Meinung kannst du Ultan auch gleich übermitteln.«
Fidelma hatte ihr Mahl beendet, erhob sich und verließ das Gästehaus. Sie wollte in Erfahrung bringen, wer der geheimnisvolle junge Mann aus Ulaidh war, durfte aber keine Aufmerksamkeit erregen.
Einer der beiden Krieger, die am Tor standen und sich unterhielten, war der blonde Rudgal, der heimliche Christ. Sie ging über den Hof zu ihm, begrüßte ihn mit Namen und nickte dem anderen freundlich zu.
»Wie ich höre, ist im rath noch ein Besucher aus dem Norden angekommen?« begann sie das Gespräch.
Rudgal warf ihr einen anerkennenden Blick zu.
»Dir entgeht aber auch nichts, Fidelma von Cas-hel«, antwortete er. »Ja, während du und der Angelsachse unten in Ronans Weiler wart, traf ein Kaufmann ein.«
»Ein Kaufmann? Womit handelt er denn?«
Rudgal schien das nicht sonderlich zu interessieren.
»Er ist Pferdehändler, glaube ich«, meinte er gleichgültig.
Rudgals Kamerad grinste spöttisch, was von Fidelmanicht unbemerkt blieb.
»Du bist anderer Meinung?« fragte sie ihn.
»Pferdehändler?« erwiderte der Mann zweifelnd. »Der sieht ganz wie ein Berufskrieger aus.«
Fidelma blickte Rudgals Kameraden interessiert an.
»Du hast ihn dir anscheinend genau angeschaut. Warum hältst du ihn für einen Berufskrieger?«
Rudgal räusperte sich kräftig. Das war offenbar ein Signal. Der andere Krieger zuckte die Achseln, murmelte etwas der Art, daß er woanders gebraucht werde, und ging weg.
Rudgal wollte sich auch entfernen, doch Fidelma hielt ihn zurück.
»Was hat dein Kamerad damit gemeint?«
»Nur, daß ein Mann vielerlei sein kann«, erwiderte er gleichmütig. »Wie du weißt, Schwester, bin ich Wagenbauer von Beruf und diene doch auch in Gleann Geis als Krieger, wenn es nötig ist. So wie Ronan zugleich Bauer und Krieger ist.«
»Ist dieser Pferdehändler weitergezogen oder wohnt er im rath?«
»Wir haben im Moment keinen Platz mehr im Gästehaus, deshalb hat Laisre vorgeschlagen, daß der Händler auf Ronans Hof übernachten soll.«
»Ist er jetzt dort?« »Er ist zum rath zurückgekommen und hat gerade eine Unterredung mit Laisre im Ratssaal.«
»Aha. Und wo hat er seine Pferde? Sind die auch auf Ronans Hof?«
Rudgal sah sie verständnislos an.
»Seine Pferde?«
Fidelma bewahrte Geduld.
»Wenn er Pferdehändler ist, muß er doch Pferde zum Verkauf mitführen. Ich bin an Pferden interessiert. Ich würde gern sehen, was er anzubieten hat. Von hier aus können wir Ronans Koppeln da unten überblicken. Ich sehe keine Pferdeherde zwischen den Kühen grasen.«
Einen Moment schien Rudgal verblüfft.
»Das weiß ich nicht. Vielleicht sprichst du mit ihm selbst.«
Fidelma schaute Rudgal nach, der rasch vom rath fort den Berg hinunterschritt.
Sie merkte plötzlich, daß jemand an ihr vorbeieilen wollte, drehte sich um und blickte in das zornerfüllte Gesicht Orlas, der Frau des Tanist, die einem Gebäude nahe dem Tor zustrebte.
»Du siehst bedrückt aus, Orla«, rief sie ihr zu und zwang sie damit, stehenzubleiben, »kann ich dir helfen?«
Orla starrte sie einen Moment an und schluckte schwer, doch der Zorn wich nicht aus ihrem Gesicht.
»Möge die Göttin des Todes und der Schlachten euch Christen alle verfluchen«, sagte sie giftig. »Ihr wollt fromm, keusch und demütig sein, aber ihr seid nichts anderes als Tiere!«
Fidelma war verblüfft.
»Ich weiß nicht, was du meinst. Vielleicht kannst du’s mir erklären.«
Orla schob das Kinn vor. »Ich bringe dieses fette Schwein, diesen Solin, um, wenn er mir noch mal zu nahe kommt!«
»Ich hoffe, du hast nicht guten Wein an ihn verschwendet.« Fidelma lächelte, denn ihr fiel plötzlich ein, wie Bruder Solin ausgesehen hatte.
Orla starrte sie an.
»Wein?«
»Ich nehme an, du warst es, die Bruder Solin Rotwein ins Gesicht gekippt hat?«
Orla schüttelte den Kopf.
»Ich nicht. An dieses Schwein würde ich nicht einmal schlechten Wein verschwenden.« Ohne ein weiteres Wort setzte sie ihren Weg fort. Fidelma schaute ihr nachdenklich hinterher. Dann wandte sie sich zum rath zurück und ging über den Hof.
Jemand rief ihren Namen.
Es war Marga, die Apothekerin, die auf sie zu kam.
»Hältst du mich für blöd?«
Fidelma bewahrte Fassung. Zwei wütende Frauen hintereinander!
»Wieso meinst du, daß ich das tue?« fragte sie interessiert zurück.
»Heute morgen verlangtest du ein Mittel gegen den Kater deines ausländischen Freundes von mir. Wolltest du mich auf die Probe stellen?«
»Weshalb sollte ich das?«
»Wer weiß, was du wolltest? Dein angelsächsischer Freund besitzt selbst genügend Kenntnisse, um sich zu kurieren. Ich habe erfahren, daß er in Tuam Bre-cain studiert hat und so in der Medizin bewandert ist, daß er mich nicht um Rat zu fragen braucht.«
Fidelma schwieg einen Moment.
»Von wem hast du erfahren, daß er in Tuam Bre-cain studiert hat?« erkundigte sie sich nach kurzer Überlegung.
Marga war empört.
»Auf jede meiner Fragen antwortest du mit einer Gegenfrage! Bilde dir doch nicht ein, du könntest etwas geheimhalten an einem so kleinen Ort wie dem rath von Laisre.«
»Entschuldige.« Fidelma lächelte sanft. »Das ist eine Angewohnheit. Ich bin schon zu lange dalaigh, um sie noch abzulegen. Ach, ich glaube, ich weiß es. Heute morgen hat dich Bruder Solin aufgesucht.«
Offensichtlich hatte Bruder Dianach es Solin erzählt und Solin es weitergegeben, als er vormittags in Margas Apotheke ging.
Marga warf ihr einen Blick voller tiefer Abneigung zu, drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon.
Fidelma sah ihr kurz nach und setzte dann ihren Weg fort zum Hauptgebäude des rath, in dem sich der Ratssaal befand.
An der Tür traf sie auf Murgals düstere Gestalt.
»Du hast dich also entschlossen, zurückzukehren?«
Offensichtlich war er nicht erfreut darüber.
»Wie du siehst, Murgal. Warum machst du deinem Fürsten seine Aufgabe so schwer?«
Murgal lächelte dünn.
»Du weißt doch schon, daß ich nicht einverstanden bin mit dem, was mein Fürst tut. Warum sollte ich ihm da den Weg ebnen?«
»Man hatte mir zu verstehen gegeben, daß bereits eine Entscheidung gefallen war. Wenn das so ist, solltest du dich an diese Entscheidung halten.«
»Eine willkürlich gefällte Entscheidung ist nicht für alle bindend.«
»Willst du damit sagen, daß Laisre die Entscheidung, Imleach und Cashel einzuladen, getroffen hat, ohne sie mit seinem Rat zu besprechen?«
Murgal zögerte, öffnete schon den Mund und überlegte es sich dann anders.
Fidelma wartete ab, doch da Murgal weiter schwieg, setzte sie hinzu: »Wir stimmen nicht in der Religion überein, Murgal, aber an eines glauben wir beide, und das ist die Herrschaft des Gesetzes. Das Wort deines Fürsten, wenn er es einmal gegeben hat, ist unantastbar. Du bist ein Brehon, Murgal. Du hast einen Eid geschworen, einen heiligen Eid, den Eid, das Gesetz aufrechtzuerhalten.«
Murgal schüttelte verächtlich den Kopf.
»Doch nach deinem Glauben ist mein Eid nicht gültig, weil er nicht bei deinem Gott geschworen wurde.«
»Du sprichst nicht mit einem fremden Kleriker, Murgal. Ob Christin oder nicht, ich stamme in gerader Linie von Eber dem Schönen ab. Du hast deinen Eid geschworen, ob auch das Meer steige und dich verschlinge oder der Himmel einfalle und dich erschlage. Du hast geschworen, am Gesetz festzuhalten. Das wirst du auch tun.«