»Du bist eine seltsame Frau, Fidelma von Cashel.«
»Ich bin ein Kind meines Volkes, genau wie du.«
»Ich bin ein Feind deines Glaubens.«
»Aber du bist kein Feind unseres Volkes. Wenn Laisre sein Wort entsprechend dem Gesetz gegeben hat, dann weißt du, daß du geschworen hast, es zu halten.«
Die Türen des Ratssaals öffneten sich, und Laisre trat heraus. Ihm folgte der junge Mann, den Fidelma am Tor des Pferdestalls gesehen hatte. Sie musterte den Neuankömmling eingehend.
Er war ungefähr dreißig, nicht groß, aber muskulös, das sah man trotz seiner lockeren Kleidung. Es war nicht die Kleidung eines Kriegers und schon gar nicht die reiche Tracht eines Adligen. Ihre scharfen Augen erkannten auch, was dem Krieger am Tor des rath offenbar aufgefallen war: die eigentümliche Haltung des jungen Mannes. Er trug ein Schwert an der Hüfte und einen Dolch im Gürtel, und beide Waffen sahen nicht wie Schmuckstücke aus. Die tiefbraunen Augen des Mannes waren unruhig, sie beobachteten und prüften wie die Fidelmas. Sein braunes Haar war gut geschnitten, sein Schnurrbart gestutzt. Die Kleidung schien überhaupt nicht zu ihm zu passen, sie wirkte wie aus Versehen angelegt.
Laisre hatte offensichtlich nicht erwartet, Fidelma und Murgal beisammen zu sehen.
Er blieb stehen, sein Blick wanderte fragend zwischen ihnen hin und her, und als er dann merkte, daß sie sich nicht gerade stritten, kam er mit einem gezwungenen Lächeln näher.
»Wir haben noch einen Fremden hier, der durch unser Land reist. Fidelma von Cashel, Murgal, darf ich euch Ibor von Muirthemne vorstellen?«
Der junge Mann trat einen Schritt vor und machte eine kurze, ruckartige Verbeugung.
»Lady, dein Ruf eilt dir voraus. Dein Name wird selbst in Tara mit Achtung und Zuneigung genannt.«
»Du bist sehr freundlich, Ibor«, erwiderte Fidelma. »Und du bist auch viele Meilen entfernt von deinem Heim in Muirthemne.«
»Es ist das Los des Kaufmanns, daß er nur selten seine Glieder am eigenen Herd ausstrecken kann, Lady.«
»Ich habe gehört, du bist Pferdehändler.«
Der junge Mann nickte. Er hatte ein warmes, offenes Gesicht, fand Fidelma, fast jungenhaft.
»Das hat man dir richtig berichtet, Lady.«
»Dann würde ich mir gern deine Pferde ansehen, denn Pferde interessieren mich sehr. Wo grast denn deine Herde?«
»Ich habe keine Herde«, antwortete der junge Mann ohne Verlegenheit.
Murgal nahm nun das Wort und formulierte die Frage, die Fidelma hatte stellen wollen.
»Ein Pferdehändler ohne Pferde? Das verlangt nach einer Erklärung.«
Uneingeschüchtert lachte der junge Mann.
»Ach, ein Pferd habe ich aber bei mir. Ein Pferd habe ich zum Verkauf mitgebracht.«
»Nur eins?« fragte Murgal etwas überrascht. »Es ist ein weiter Weg von Muirthemne hierher, nur um ein einziges Pferd zu verkaufen.«
»Das stimmt«, meinte Ibor. »Aber was für ein Pferd und was für ein Preis, den ich dafür erzielen will! Ich erwartete, es für dreißig seds zu verkaufen.«
»Dreißig seds?« rief Murgal aus. »Eine große Summe für ein Pferd.«
»Du sagtest - du erwartetest?« fragte Fidelma rasch.
»Ich hatte gehört, daß Eoganan, der Fürst der Ui Fidgente, ein Vollblutpferd suchte und für ein hochwertiges Tier einen Preis zu zahlen bereit sei, der meine Reise lohnenswert machen würde. Ich hatte ein solches Pferd gefunden, es war bei den Briten gezüchtet worden, und das brachte ich nach Eireann. Ich dachte, ich würde das Geld von Eoganan bekommen und das allein würde mich für die weite Reise entschädigen.«
Fidelma sah ihn mißtrauisch an.
»Aber Eoganan fiel schon vor sechs Monaten beim Berg Äine.«
Ibor von Muirthemne hob die Hände.
»Das erfuhr ich erst, als ich im Land der Ui Fidgen-te ankam. Dort traf ich den neuen Fürsten, Donen-nach, der sich bemüht, seinem besiegten Volk wieder zu Wohlstand zu verhelfen ...«
»Besiegt von Fidelmas Bruder, Colgü von Cashel«, warf Murgal boshaft ein.
»Nachdem die Ui Fidgente unter Eoganan versucht hatten, Cashel zu erobern«, erwiderte Fidelma verärgert. Es war nicht das erste Mal, daß Murgal sich bemühte, die Niederlage der Ui Fidgente gegen Cashel so darzustellen, als sei Cashel schuld daran.
»Ja, aber davon wußte ich nichts«, erklärte Ibor von Muirthemne.
»Neuigkeiten brauchen doch sicher nicht so lange, um nach Muirthemne zu gelangen?« forschte Fidelma.
»Ich war im Königreich Gwynedd bei den Briten, als sich das alles ereignete«, wandte Ibor ein. »Ich war mit dem Einkauf von Pferden beschäftigt. Ungefähr vor einem Monat kehrte ich nach Ulaidh zurück, und da war die Neuigkeit so alt, daß sich niemand die Mühe machte, sie mir zu erzählen. Ich nahm das Pferd, das ich ausgesucht hatte, und machte mich auf den Weg ins Land der Ui Fidgente ...«
»War es nicht schwierig, ein Vollblutpferd aus Ulaidh herauszubringen, da doch das Gesetz des All-muir Set vorschreibt, es nur innerhalb der Grenzen von Ulaidh zu verkaufen?« fragte Fidelma harmlos.
Der junge Mann zögerte und zuckte dann die Achseln.
»Ich hatte eine besondere Genehmigung vom König von Ulaidh«, erläuterte er eilig. »Ich erfuhr von der Niederlage der Ui Fidgente erst, als ich in ihr Land kam, wo ich gehofft hatte, Eoganan anzutreffen.«
»Was führte dich dann hierher? Die Ui Fidgente leben ja jenseits der Berge im Norden«, fragte Fidelma.
»Ich sagte doch schon«, erklärte der junge Mann etwas ungehalten, »dort herrschten Verwüstung und Zerstörung. Keiner wollte ein Vollblutpferd erwerben, nachdem ihre Rinderherden zur Strafe fortgetrieben worden waren. Ich wollte das Pferd nicht wieder zurück nach dem Norden mitnehmen, deshalb kam ich hierher. Einer der Ui Fidgente erzählte mir, Laisre von Gleann Geis sei ein Pferdekenner.«
Fidelma wandte sich neugierig an Laisre.
»Hast du dir schon ein Urteil über das Pferd gebildet?«
»Ich habe es noch nicht gesehen. Ibor ist gerade erst angekommen, und das Pferd steht unten auf Ronans Hof. Ich werde es mir in den nächsten Tagen anschauen, wenn sich unser Gast von der Reise erholt hat.«
»Ja«, stimmte ihm Ibor zu. »Ich habe Bairsech, Ronans Frau, versprochen, daß ich zurückkomme, um zu baden und mich zu erfrischen, und ich bin schon spät dran. Also entschuldigt mich, ich muß gehen.«
»Ich begleite dich bis Ronans Hof«, verkündete Murgal. »Ich muß auch in die Richtung. Meine . Meine Pflegetochter wohnt in Ronans Weiler.«
»Das ist nett von dir, Murgal.« Doch ganz offensichtlich war der junge Mann nicht erfreut über Mur-gals Gesellschaft. Er wandte sich höflich an Fidelma. »Es ehrt mich, dich kennengelernt zu haben, Fidelma von Cashel.«
»Ich bin immer daran interessiert, einem Pferdehändler zu begegnen, besonders einem, der so weit reist, um in diesen kleinen Winkel des Königreichs von Cashel zu kommen.«
Gemeinsam verließen Ibor und Murgal den rath.
»Ein ansehnlicher junger Mann«, bemerkte Laisre, während er und Fidelma ihnen nachschauten.
Fidelma blieb skeptisch.
»Ein törichter junger Mann.« Als Laisre sie fragend ansah, fuhr sie fort: »Nur ein Tor reitet in diesen unruhigen Zeiten allein mit einem wertvollen Pferd durchs Land der Ui Fidgente.«
»Vielleicht ist das Land der Ui Fidgente nicht so gefährlich, wie du denkst«, meinte Laisre. »Bruder Solin und sein junger Gefährte waren vor ein paar Tagen auch dort.«
Fidelma machte kein Hehl aus ihrer Überraschung.
»Bruder Solin kam durchs Land der Ui Fidgente hier her? Ist das nicht eine eigenartige Wahl des Reisewegs?«
»Es ist der nächste Weg von den nördlichen Königreichen her«, entgegnete Laisre.