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»Nein, nicht einmal die. Dein Fürst hat Cashel einen Eid geschworen. Cashel geht vor allen anderen Dingen. Wenn dein Fürst seinen Eid gegenüber Cashel bricht, dann bist du von deinem Eid ihm gegenüber entbunden, denn dann befindet er sich in Rebellion gegen seinen rechtmäßigen König. Verstehst du das?«

»Ich denke schon. Ich werde für dich tun, was ich kann, Schwester Fidelma.«

»Ich werde deine Dienste zu schätzen wissen, Rudgal.«

Angewidert untersuchte sie ihre Zelle. Sie war kalt und feucht und enthielt kaum mehr als einen Stroh-sack auf dem Fußboden. Sie roch übel und war offensichtlich eine Weile nicht benutzt worden. Es gab nur einen winzigen Fensterschlitz hoch oben an einer Wand. Rudgal fand eine Öllampe und entzündete sie. Er schaute sich um und fühlte sich ebenfalls abgestoßen.

»Mehr kann ich nicht für dich tun, Schwester«, entschuldigte er sich noch einmal.

Fidelma mußte bei seiner traurigen Miene beinahe lächeln.

»Du bist nicht dafür verantwortlich, daß ich mich hier befinde, Rudgal. Das Unglück hat mich hergebracht, und nun muß ich meinen Verstand anstrengen, daß ich wieder herauskomme.«

»Brauchst du etwas, Schwester?« fragte er nochmals.

Fidelma überlegte rasch.

»Ja. Ich benötige ein paar persönliche Dinge aus dem Gästehaus, zum Beispiel mein marsupium. Würdest du bitte dorthin gehen und Bruder Eadulf, der wahrscheinlich noch schläft, darum bitten, daß er es mir gleich bringt.«

»Den Angelsachsen herholen ...?« Rudgal schien zu zögern.

»Sei unbesorgt, Rudgal. Bruder Eadulf muß als mein dalaigh fungieren, da ich mich nun nicht mehr frei bewegen kann. Ich habe das Recht, ihn als meinen Vertreter zu benennen, und als mein dalaigh kann er mich ungehindert besuchen.«

»Sehr wohl, Schwester, ich bringe den Angelsachsen her.«

Er ging und schloß die mächtige Holztür hinter sich. Fidelma hörte, wie sich der Schlüssel in dem großen eisernen Schloß drehte, und verspürte eine ungewohnte Verzagtheit. Solche Verzweiflung hatte sie bisher nicht an sich gekannt.

Sie versuchte, ihre Gedanken auf die unmittelbare Frage des Überlebens zu konzentrieren. Mit Abscheu sah sie sich in der dunklen, muffigen Zelle um. Es roch widerlich hier. Sie erschauerte und schlang die Arme um sich, als biete das einen Trost.

Etwas bewegte sich in dem Strohsack. Eine dunkelgraue Ratte kam heraus und verschwand in einem Loch zwischen den Granitsteinen. Fidelma schüttelte sich heftig und schritt hin und her. Sie hoffte, Eadulf würde bald kommen. Nachdem sie ihm ihre Anweisungen gegeben hätte, wollte sie versuchen, sich mit Hilfe des dercad, der Kunst der Meditation, von ihrer Niedergeschlagenheit zu befreien. Generationen irischer Mystiker hatten damit äußerliche Gedanken und geistige Irritationen beruhigt und den Zustand des sit-chain, des Friedens, erlangt. Sie hatte diese alte Kunst in Zeiten der Bedrängnis regelmäßig geübt. Doch nie in ihrem Leben hatte Fidelma das Meditieren so nötig gehabt wie jetzt.

Nach fünfzehn Minuten, die ihr wie mehrere Tage vorkamen, betrat ein blasser Eadulf mit besorgter Miene die Zelle, gefolgt von Rudgal.

»Fidelma, was für ein Unglück hat dich hierhergebracht? Ach, von Rudgal habe ich bisher nur ganz wenig darüber erfahren. Sag mir, wie ich deine Freilassung erreichen kann?«

Fidelma stand mitten im Raum und lächelte besänftigend, um Eadulfs Befürchtungen zu mildern.

Rudgal sprach, bevor sie antworten konnte.

»Während du dem Angelsachsen deine Anordnungen gibst, sehe ich zu, daß ich dir etwas bringen kann, was das Leben in diesem Loch ein wenig erträglicher macht.« Er verließ sie und schloß die Tür hinter sich ab.

»Was kann ich tun?« fragte Eadulf in so angstvollem Ton, daß seine Stimme in dem hallenden Raum unnatürlich klang. »Mein Gott, was für Vorwürfe mache ich mir. Ich war wie benommen, ich bin erst wach geworden, als Rudgal kam und mir sagte, du bist hier. Warum hast du mich nicht geweckt, als du das Gästehaus verlassen hast? Ich hätte das hier vielleicht verhindern können. Wenn ich bei dir gewesen wäre .«

»Vor allem mußt du ruhig bleiben, Eadulf«, befahl ihm Fidelma. »Du bist der einzige, der meine Freilassung bewirken kann.«

Eadulf schluckte schwer.

»Sag mir, was ich tun muß.«

»Ach, ich kann dir hier nicht einmal etwas zum Sitzen anbieten, denn der Strohsack ist voller Ungeziefer und kein angenehmer Ruheplatz. Also müssen wir stehen bleiben, während ich dir erkläre, was passiert ist.«

Sie hatte ihren Bericht fast beendet, als sich die Tür wieder öffnete. Rudgal brachte eine Holzbank herein.

»Verzeih, Schwester, daß ich so lange fort war, aber ich habe ein Bett und eine Sitzgelegenheit gesucht.

Das Bett hole ich gleich, damit du nicht auf diesem feuchten, kalten Boden liegen mußt. Inzwischen mußt du mit der Bank auskommen.«

Fidelma dankte ihm herzlich.

»Rudgal hat mir seine Hilfe angeboten, und ich meine, ihm können wir vertrauen«, fügte sie für Ea-dulf hinzu.

Eadulf nickte ungeduldig.

Rudgal schob die Bank an eine trocknere Wand der Zelle und ging wieder.

Fidelma setzte sich und erzählte weiter. Eadulf stöhnte angstvoll, als sie fertig war, und breitete die Hände in einer hoffnungslosen Geste aus.

»Wenn du sowohl Laisre als auch Murgal gegen dich hast, weiß ich nicht, was ich tun soll.«

»Du mußt einen Weg finden«, sagte Fidelma fest. »Schließlich ist das die Aufgabe eines dalaigh.«

»Aber ich bin doch kein in eurem Recht ausgebildeter Anwalt«, protestierte Eadulf.

»Ich bin es aber. Ich berate dich, und du mußt eine Möglichkeit finden, die Wahrheit dessen, was ich sage, zu beweisen. Die Sache ist verworren. Orla und ihr Ehemann Colla wirken so überzeugend mit ihren Aussagen. Aber ich schwöre, Eadulf, daß ich Orla aus dem Stall herauskommen sah. Sie und Colla müssen lügen. Daß ich sie erkannt habe, scheint ihren Bruder Laisre sehr zu beunruhigen. Vermutlich sieht er darin eine Kränkung seiner Familienehre, doch ich glaube, wenn es nur um eine Meinungsverschiedenheit zwischen Artgal und mir ginge, hätte Laisre Artgals Aussage weniger ernst genommen. Die Tatsache, daß ich seine Schwester belastet habe, hat ihn ziemlich wütend auf mich gemacht.«

»Ich verstehe nicht, weshalb er so zornig ist, daß er dir eine faire Anhörung verweigert.«

»Ach, Familienehre ist immer eine komplizierte Angelegenheit. Ich kann nicht sagen, daß sein Verhalten unfair wäre. Und was Murgal tut, ist es übrigens auch nicht. Beide bewegen sich im Rahmen des Gesetzes.«

»Nun, ich muß dich hier herausholen. Aber wie fange ich das an?«

»Ich muß meinen Ruf wiederherstellen und herausfinden, wer Bruder Solin ermordet hat. Das kann ich nicht tun, solange ich in dieser Zelle bin. Murgal sagt, ich muß nach dem Gesetz neun Tage hierbleiben bis zu meiner Gerichtsverhandlung.«

Eadulf fuhr sich nachdenklich durchs Haar.

»Aber wenn ich mich recht erinnere, können vor euren Gerichten Leute von Rang, die eine Kaution bezahlen, freigelassen werden, wenn sie schwören, daß sie zur Verhandlung wieder vor dem Gericht erscheinen werden.«

Fidelma lächelte anerkennend.

»Du erinnerst dich richtig. Solch ein Gesetz gibt es. Du mußt sehen, ob du dies Gesetz benutzen kannst, um meine Freilassung zu erwirken. Es gibt hier eine Bibliothek. Sie untersteht Murgal. Weißt du noch, daß ich dir das Gebäude gezeigt habe, in dem sie sich befindet?«

Eadulf nickte.

»Dann mußt du das entsprechende Gesetz nachlesen. Danach wende dich an Murgal, denn denke daran, Murgal ist der Brehon für dieses Tal. Verlange eine Anhörung, ob ich nicht nach dem Gesetz freikomme, um nach neun Tagen wieder zu erscheinen. Wenn ich in Freiheit bin, haben wir die Chance, zu beweisen, wessen Hand das Messer führte, mit dem Bruder Solin das Leben genommen wurde.«