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»Ich suche Murgals Bibliothek«, antwortete er.

Sie schmollte.

»Och, Bücher! Warum kommst du nicht rein und spielst eine Partie Brandub mit mir? Wenn du nicht weißt, wie das geht, bringe ich dir’s bei.« Sie wies mit einer einladenden Geste auf den Raum hinter ihr. »Dies ist meine Wohnung.«

Eadulf errötete verwirrt.

»Ich habe viel zu tun, Esnad«, sagte er respektvoll, denn schließlich war sie die Tochter des Tanist. »Wenn du mir sagen könntest, wo ich Murgals Bibliothek finde ...?«

»Was willst du in meiner Bibliothek, Angelsachse?« ertönte die tiefe Stimme des Druiden. Murgal erschien unten an der Treppe.

Esnad zischte enttäuscht, verzog sich in ihre Wohnung und knallte die Tür zu.

Merklich erleichtert wandte sich Eadulf an den Druiden.

»Eigentlich suchte ich dich und wollte dich um die Erlaubnis bitten, mich in deiner Bibliothek umzusehen.«

Murgal hob leicht die Brauen.

»Und wozu kann sie dir dienen?«

»Ich brauche zwei Gesetzestexte. Es könnte sein, daß du sie besitzt.«

Murgal war sichtlich verwundert.

»Wozu brauchst du Gesetzestexte?«

»Du hast Fidelma von Cashel in Haft genommen.«

»Ja«, antwortete Murgal einfach.

»Sie hat mich zu ihrem Brehon ernannt.«

Das schien Murgal zu überraschen.

»Du wirst sie vor Gericht vertreten? Aber du bist Ausländer und nicht als dalaigh ausgebildet.«

»Auch jemand, der nicht juristisch ausgebildet ist, hat das Recht, einen Fall vor einem Brehon zu vertreten, wenn er bereit ist, das Risiko auf sich zu nehmen«, erklärte Eadulf. »Selbst ein Ausländer darf das. So viel verstehe ich vom Recht, um mich darauf zu berufen.«

Murgal überlegte einen Moment und stimmte ihm dann zu.

»So eine Person wird >zungenlos< genannt, doch wenn sie nur die Zeit des Gerichts vergeudet, kann sie mit einer hohen Geldstrafe belegt werden. Bist du gewillt, dieses Risiko einzugehen?«

»Ja.«

»Nun«, gestand Murgal, »es überrascht mich nicht, daß du Fidelma von Cashel vertreten willst. Doch da wird dir nicht viel zu tun bleiben. Der Fall ist völlig klar. Ihre Schuld ist offenkundig.«

Eadulf verbarg seine Empörung.

»Hast du auch schon geklärt, welches Motiv Fidelmafür den Mord an Bruder Solin hatte?« erkundigte er sich.

»O ja. Christen bekämpfen sich immer untereinander, wenn sie niemand anderes zu bekämpfen finden. Wie nennt ihr Anhänger Roms das doch gleich? Odium theologicum? Es gibt viel gegenseitigen Haß unter euch.«

»Ich verstehe. Als Brehon hast du auch schon das Urteil gefällt«, knurrte Eadulf. »Vielleicht sollte ich deine Kenntnis des Lateinischen um den Spruch erweitern: maxim audi alteram partem - man höre auch die andere Seite.«

Murgal stutzte, und einen Augenblick dachte Ea-dulf, er würde vor Wut platzen. Doch zu Eadulfs Überraschung fing er an zu lachen.

»Gut gesagt, Angelsachse, gut gesagt! Du darfst dir die Gesetzbücher in meiner Bibliothek ansehen, und ich wünsche dir Glück dabei.«

»Ich hätte noch eine zweite Bitte.«

»Welchen anderen Dienst soll ich dir noch leisten?«

»Fidelma von Cashel bleibt in Haft bis zu ihrer Verhandlung.«

»Ja. Das Gesetz sieht neun Tage vor, bei einem Mordprozeß«, erklärte Murgal. »Danach muß sie sich vor dem Gericht verantworten. Da gibt es für niemanden eine Ausnahme.«

»Aber Fidelma von Cashel kann ihre Verteidigung nicht vorbereiten, wenn sie nicht in Freiheit ist.«

»Gesetz ist Gesetz, Angelsachse. Selbst ich kann das Gesetz nicht zugunsten eines einzelnen ändern.«

Eadulf nickte.

»Gesetz ist Gesetz«, wiederholte er leise. »Aber oft gibt es noch Möglichkeiten der Auslegung. Sicherlich genügt doch das Wort Fidelmas von Cashel, einer Person von Rang in diesem Land, als arach oder Bürgschaft, um ihre Freilassung bis zur Verhandlung zu gestatten. Ihre Inhaftierung ist nicht gerecht.«

Murgal betrachtete ihn nachdenklich.

»Du kennst anscheinend unser Recht gut genug, um mit Begriffen wie arach umzugehen, Angelsachse.«

Eadulf meinte, hier mit Ehrlichkeit am weitesten zu kommen.

»Ich kenne es wenig genug. Deshalb muß ich mir ein paar Gesetzestexte ansehen. Doch da ich Fidelma von Cashel vertrete, möchte ich offiziell für morgen eine Anhörung vor dir beantragen, so daß ich für Fi-delmas Freilassung noch vor ihrer Verhandlung plädieren kann.«

»Welche Gesetzbücher brauchst du?« fragte Murgal interessiert.

Eadulf nannte die Texte, zu denen Fidelma ihm geraten hatte. Murgal dachte nach.

»Du hast eine kluge Wahl getroffen, Angelsachse«, gab er widerwillig zu.

Er winkte Eadulf, mitzukommen, und führte ihn die Treppe hinauf in einen Raum im Turm. Eadulf sah zu seiner Überraschung, daß er mit ganzen Reihen von Pflöcken und Buchtaschen ausgestattet war. Es gab sogar ein paar Ständer mit Stäben, die er von früheren Gelegenheiten her als »Stäbe der Dichter« wiedererkannte, Texte in der alten irischen Ogham-Schrift, die aus den Jahrhunderten vor der Ankunft des Glaubens in Irland stammten. Ohne zu zögern, ging Murgal zu zwei Taschen und nahm die Bände heraus.

»Dies sind die Texte, die du brauchst. Nimm sie ins Gästehaus mit und studiere sie, aber du mußt sie so bald wie möglich zurückbringen«, ordnete er an und reichte sie Eadulf.

»Ich werde sie sorgsam behandeln, hab keine Sorge.«

Murgal geleitete ihn aus dem Raum und schloß die Tür wieder ab.

»Und die Anhörung?« drängte ihn Eadulf. »Wirst du mein Plädoyer für Fidelmas Freilassung bis zu ihrem Gerichtstermin zulassen?«

»Das ist eine Frage, die ich nicht sofort beantworten kann. Das muß überdacht werden. So eine Anhörung erfordert neue Argumente und könnte den Wünschen meines Fürsten Laisre widersprechen.«

»Steht das Gesetz nicht über den Wünschen eines Fürsten?«

Murgal lächelte dünn.

»Ist das dein einziges Argument?« fragte er Eadulf.

»Nein. Es gibt das unbestreitbare Argument, daß Fidelma von Cashel nicht einfach nur eine Nonne ist oder eine Anwältin. Sie ist auch die Schwester des Königs von Muman und besitzt als solche einen Rang, der respektiert werden muß. Es ist ihr Recht, dazu gehört zu werden, ob sie nicht auf Grund ihrer eigenen Sicherheitsleistungen auf freien Fuß gesetzt werden kann.«

»Ich werde dir meine Entscheidung noch vor Ende dieses Tages mitteilen. Sie wird auch davon abhängen, ob du mir sagen kannst, daß du in diesen Gesetzbüchern hier den richtigen Weg zum Urteil gefunden hast. Möge die Gerechtigkeit dich bei deiner Suche leiten, Angelsachse.«

Auf diese Weise entlassen, machte sich Eadulf auf den Weg zum Gästehaus. Aus Vorsicht hielt er sich dicht an der Mauer unter dem Umgang des rath, als ein sechster Sinn ihn veranlaßte, ein wenig vom Weg abzuweichen. Er wußte nicht, warum er das tat. Vielleicht, weil er den Bruchteil einer Sekunde ein leises Geräusch wahrnahm. Ein großer schwerer Stein löste sich aus den Zinnen und landete krachend vor seinen Füßen, so dicht, daß er den Luftzug spürte. Wäre sein Fuß nur ein paar Zentimeter weiter vorn gewesen, er wäre zerschmettert worden.

Eadulf schrie erschrocken auf und sprang zurück; die Gesetzbücher fielen zu Boden. Mit klopfendem Herzen spähte er rasch nach oben. Ein Schatten verschwand, ehe er Genaueres erkennen konnte.

Einen Moment stand er da, und der Schweiß trat ihm auf die Stirn.

Dann bemerkte er eine Gestalt, die die Stufen von den Zinnen herunterkam und auf ihn zu eilte. Er tat einen Schritt zurück und war bereit, sich zu verteidigen.

Es war Rudgal. Er machte ein seltsames Gesicht.

»Bist du unverletzt, Bruder?« fragte er besorgt.

Eadulf faßte sich.

»Das Herz schlägt mir bis zum Halse«, gestand er.