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Eadulf vergaß seinen geistlichen Stand und fluchte leise vor sich hin. Zum zweitenmal an diesem Tag wurden sie gefangengenommen.

Die Krieger hatten ihre Schwerter kampfbereit auf den Sattelbug gelegt. Fidelma erschauerte. Das waren nicht Ibors Männer.

»Wartet!« rief eine vertraute Frauenstimme.

Der Ring der Männer öffnete sich und ließ eine Reiterin hindurch. Die schlanke Person war offensichtlich ihre Anführerin. Sie nahm den Kriegshelm ab und schaute sie finster an.

»Wir dachten, du hättest auf unsere Gastfreundschaft verzichtet, Fidelma von Cashel.«

Es war Orla. Ihre Miene verriet Befriedigung.

»Wie du siehst«, erwiderte Fidelma ruhig und ignorierte die drohende Haltung der Krieger, »wie du siehst, sind wir auf dem Rückweg nach Gleann Geis. Wir nehmen eure Gastfreundschaft weiter in Anspruch.«

Es war offenkundig, daß sie damit die Wahrheit sagte, denn sie befanden sich kaum eine halbe Meile vor dem Eingang in die Schlucht und waren eindeutig darauf zu geritten. Orla schien einen Moment verwirrt, als ihr das aufging. Dann verdüsterte sich ihre Miene wieder.

»Du wirst keine Ruhe vor mir haben, Fidelma, bis du deine Anschuldigung gegen mich zurückgenommen hast.« Ihre Stimme klang kühl und brüchig vor Zorn. »Warum seid ihr fortgeritten?«

»Ich dachte, Murgal hätte dir den Grund dafür erläutert«, bemerkte Fidelma ungerührt.

»Murgal? Was hat der damit zu tun?« fragte Orla.

»Murgal ist ein Brehon. Er muß wissen, was mich dazu zwang, Gleann Geis zu verlassen.«

»Nun, da Murgal nicht hier ist, würdest du es mir vielleicht erklären? Oder noch besser dein angelsächsischer Freund? Dann kann ich sicher sein, daß ich die Wahrheit erfahre.«

Fidelma schaute Eadulf besorgt an und hoffte, er würde verstehen, was sie meinte, oder wenigstens Ibor und seine Männer nicht erwähnen.

»Das ist leicht zu machen«, meinte Eadulf gelassen. »Wir sind hierher geritten, um nach den Überresten der getöteten Männer zu sehen und die Spuren zu verfolgen, die vom Ort des Massakers wegführen, um festzustellen, ob wir noch etwas entdecken könnten, was Colla entgangen ist.«

»Ich wußte, daß ihr dem Bericht meines Mannes nicht glauben würdet«, fauchte Orla.

»Es ist nicht eine Frage von Glauben oder Nichtglauben. Dein Mann ist kein ausgebildeter dalaigh bei Gericht, Lady«, erklärte ihr Eadulf. »Er wußte vielleicht nicht, wonach er suchen mußte. Es ist immer nötig, etwas mit eigenen Augen zu sehen.«

Orla versuchte ihre Wut zu beherrschen.

»Das ist nicht der Grund. Ich weiß, ihr beide wollt meinen Mann und mich vernichten. Warum, das weiß ich nicht.«

Fidelma schaute sie traurig an.

»Wenn du nichts Unrechtes getan hast, dann hast du auch nichts zu befürchten. Doch es ist so, wie Ea-dulf sagte. Es gibt keine bessere Art, den Schauplatz eines Verbrechens zu untersuchen, als ihn selbst in Augenschein zu nehmen.«

Orla glaubte ihnen immer noch nicht.

»Und warum sollte Murgal wissen, wo ihr wart? Ihr habt es ihm nicht gesagt. Er war ebenso erstaunt wie wir, daß ihr euch aus dem rath entfernt habt.«

»Er hätte es sich aber denken können.« Eadulf beugte sich vertraulich im Sattel vor. »Verstehst du, als Brehon hätte er wissen müssen, daß eine dalaigh Laisres Verbot nicht akzeptieren konnte. Eine dalaigh mußte sich selbst von der Beweislage überzeugen.«

Orla schien einen Moment verwirrt.

»Ihr habt also die Spuren verfolgt?« Sie schaute Fidelmafragend an. War Furcht in ihren Augen zu lesen? »Was habt ihr gefunden, was Colla entgangen ist?«

Fidelma meinte, sie sollte dem Gespräch eine andere Richtung geben.

»Es war genau so, wie dein Mann es berichtet hat«, erwiderte sie harmlos. »Die Spuren verschwanden irgendwann, und weiter haben wir nichts gefunden.«

Orla warf ihr einen forschenden Blick zu, dann seufzte sie.

»Dann war euer Ausritt hierher reine Zeitverschwendung?« meinte sie verächtlich.

»Ja, es war reine Zeitverschwendung«, bestätigte ihr Fidelma.

»Dann habt ihr sicher nichts dagegen, daß meine Krieger und ich euch zum rath von Gleann Geis zurückgeleiten?«

Fidelma zuckte die Achseln.

»Ob ihr uns zurückgeleitet oder nicht, das ist uns gleich, denn wir wollen sowieso dorthin.«

Orla machte den Kriegern ein Zeichen, worauf sie ihre Schwerter einsteckten und ihre Pferde umwandten, so daß Fidelma und Eadulf den Kreis verlassen konnten. Orla lenkte ihr Pferd neben das Fidelmas, und sie ritten voran, gefolgt von Eadulf und der Kolonne der Krieger.

»Wir haben dir mitgeteilt, was unsere Nachforschungen erbracht haben«, bemerkte Fidelma. »Dafür könntest du uns sagen, was Murgals Untersuchung des Mordes an Bruder Dianach ergeben hat. Ist Artgal gefunden worden?«

Einen Moment schien es, als wolle ihr Orla nicht antworten, doch dann zuckte sie gleichmütig die Achseln.

»Murgal hat den Fall bereits gelöst. Diesmal kannst du zumindest nicht behaupten, du hättest mich in der Nähe der Leiche gesehen.«

Fidelma beschloß, den Hieb zu ignorieren. Sie wollte doch erfahren, was Murgal ermittelt hatte.

»Wer war denn nun der Schuldige?« fragte sie.

»Na, Artgal natürlich.«

»Dann hat man also Artgal aufgespürt, und er hat gestanden?«

»Nein«, antwortete Orla. »Aber sein Verschwinden ist ein Eingeständnis seiner Schuld.«

Fidelma senkte nachdenklich den Kopf. Sie schwieg eine Weile, ehe sie wieder zum Sprechen ansetzte.

»Es stimmt, daß Artgals Verschwinden ihn in ein schlechtes Licht rückt. Daraus kann man jedoch nur folgern, daß es seiner Sache nicht nützt. Weiter zu gehen und zu sagen, es sei ein Eingeständnis seiner Schuld, legt das Gesetz zu weit aus.«

»Mir erscheint es logisch«, knurrte Orla. »Der christliche Mönch hat Artgal bestochen. Als das ans Licht kam, tötete Artgal den Mönch, um ihn daran zu hindern, alles zu sagen, was er wußte.«

»Die Logik geht nicht auf, denn Artgal hatte seine Schuld schon eingestanden«, meinte Fidelma.

»Außerdem«, fügte Eadulf hinzu, »kann Nemon jederzeit bezeugen, daß Bruder Dianach ihr die Kühe abgekauft hat, um sie Artgal zu schenken, und Artgal hat bereits zugegeben, daß er sie erhalten hat.«

»Du solltest deinen Begleiter besser über die Gesetze der Brehons unterrichten«, meinte Orla mitleidig.

Eadulf blickte Fidelma fragend an.

»Eine Prostituierte kann vor Gericht nichts bezeugen«, erklärte ihm Fidelma leise. »Nach dem Berrad Airechta kann eine Prostituierte keine Aussage gegen irgend jemanden machen. Folglich wäre eine Aussage Nemons vor Gericht nicht gültig.« »Aber Murgal ist ihr Pflegevater, und Murgal ist ein Brehon. Das ist doch unsinnig. Bei so einem mächtigen Pflegevater müßte Nemon doch ein paar Rechte in dieser Sache haben?«

»So lautet unser Gesetz, Angelsachse«, fauchte Orla.

»Auch wenn es das Gesetz ist, es macht die Wahrheit nicht weniger wahr«, entgegnete Eadulf fest.

»Dura lex sed lex«, sagte Fidelma seufzend und wiederholte auf lateinisch fast dieselben Worte, die Murgal ihm einmal entgegengehalten hatte. »Das Gesetz ist hart, aber es ist das Gesetz ... Jedenfalls zur gegenwärtigen Zeit. Ich habe gehört, Abt Laisran von Durrow will einen Zusatz zu diesem Gesetz vorschlagen, wenn der Große Rat das nächste Mal zusammentritt .«

»Er hat keine Chance, einen Zusatz durchzubringen, der Prostituierten das Recht gibt, vor Gericht auszusagen«, meinte Orla verächtlich.

»Das hängt von dem Großen Rat ab, der im nächsten Jahr in Uisneach tagt.«