Das Mädchen lachte wegwerfend.
»Vielleicht«, gab sie zu. »Aber wenn ich einen Fürsten heirate, dann sorge ich dafür, daß ich mich nicht um so etwas zu kümmern brauche, denn die Probleme des Clans wären eben seine und nicht meine. Ich hätte andere.«
»Bereitet es deiner Mutter oder deinem Vater Sorgen, daß du dich nicht für die Vorgänge in Gleann Geis interessierst?«
»Darüber spreche ich nie mit ihnen.«
Eadulf sah sie scharf an und fand, es sei Zeit, ihr die entscheidende Frage zu stellen.
»Warum verfolgt dich Rudgal so eifersüchtig?«
Esnad hob den Blick. Sie war belustigt und schaute ihn schon wieder schmollend an.
»Du stellst eine Menge Fragen, Angelsachse. Warum konzentrierst du dich nicht auf das Spiel? Der Einsatz ist hoch.«
»Ich frage nur, weil Rudgal anscheinend einen Widerwillen gegen mich gefaßt hat, seitdem du neulich ins Gästehaus kamst. Ich möchte wissen, warum?«
»Ach, vergiß ihn«, seufzte das Mädchen. »Er bildet sich ein, er wäre in mich verliebt.«
Eadulf war überrascht von der Leichtfertigkeit, mit der sie mit dem Thema umging.
»Ich dachte, das wäre klar«, erwiderte Eadulf ernst. »Und du liebst ihn natürlich nicht?«
»Nein. Er ist zu alt und hat nicht die Mittel, mir ein sicheres Leben zu bieten. Seine sogenannte Liebe ist wie die eines Hundes für die Schafe, nicht die eines Lachses für den Fluß. Wenn ich jemanden heirate, dann aus anderen Gründen. Doch bevor ich alt werde und mich binde, möchte ich meinen Spaß haben.«
»Aber Rudgal ist doch nicht viel älter als ich«, wandte Eadulf ein.
Esnad lachte.
»Aber du bist viel interessanter als Rudgal, Angelsachse. Jetzt wollen wir lieber weiterspielen.«
Eadulf schwieg. Diese Esnad war ohne Zweifel recht lebenslustig. Leben bedeutete für sie anscheinend nichts weiter als die Jagd nach Vergnügen. Das war auch schon ihr ganzes Geheimnis. Er würde das Spiel beenden und sich so gut wie möglich aus der peinlichen Situation herauswinden müssen.
In der Festhalle spielten die Musiker noch immer muntere Weisen, die Instrumente versuchten das Gelächter und die Gespräche der Gäste zu übertönen.
Fidelma steuerte auf Murgal zu. Sie sah Orla und Colla an der gegenüberliegenden Seite des Saals; auch Rudgal und Ronan waren anwesend. Von Laisre war keine Spur, auch von niemandem sonst, den sie kannte. Murgal blickte beunruhigt auf, als sie sich zu ihm setzte.
»Ich hatte nicht erwartet, daß du heute abend zum Fest kommen würdest, Fidelma von Cashel«, stellte er fest.
»Es könnte gut mein letzter Abend in Gleann Geis sein«, antwortete sie ernst.
»Glaubst du wirklich, daß du morgen früh alles aufklären kannst?« fragte Murgal zweifelnd.
Fidelma lehnte den angebotenen Met ab und ging nicht auf seine Frage ein. Er wollte noch etwas sagen, doch plötzlich hörten die Musiker auf zu spielen, und es wurde still im Saal. Ronan trat vor und sang mit einer erstaunlich guten Tenorstimme für einen Bauern, der seine Zeit lieber im Dienst von Laisres Leibgarde verbrachte, ein Lied von Kriegern und Kampf.
»Mein gerader Speer ist aus rotem Eibenholz -Der Besieger polierter Speere -Er gehört mir zu Recht, und kein Krieger wage es Ihn zu beleidigen.
Mein scharfes Schwert ist aus blankem weißem Eisen -
Spalter der Rüstung des Feindes -
Es ruht still in seiner bronzenen Scheide aus Furcht, Blut zu vergießen.
Mein harter Schild ist aus goldener Bronze -Nie traf ihn ein Tadel -
Denn er beschützt mich vor allen Angreifern und ihren Waffen.«
Er setzte sich unter donnerndem Applaus, und Murgal schaute Fidelma schmunzelnd an.
»Neulich abend hast du ein schönes Lied gesungen. Singst du heute etwas anderes zu unserer Unterhaltung?«
Fidelma lehnte ab.
»Ein Lied muß im richtigen Augenblick aus der Seele schwellen und kann nicht zur bloßen Unterhaltung aus einem müden Gehirn herausgepreßt werden, um die Zeit zu vertreiben. Vielleicht kennst du noch ein Lied über Cashel zur Erheiterung?«
Murgal kicherte entwaffnend über ihre kleine Spitze.
»Diesmal nicht«, gestand er. Nach kurzem Zögern fragte er: »Spürst du die Spannung in der Halle heute abend?«
»Spannung?« wiederholte sie.
»Die Nachricht, daß du morgen früh enthüllen willst, wer Solin und die anderen ermordet hat, hat sich im ganzen rath verbreitet. Die Leute fragen sich, welche Namen du nennen wirst. Alle sind zutiefst beunruhigt.«
»Nur die Schuldigen haben etwas zu befürchten«, erwiderte Fidelma.
»Viele meinen, du wirst Unschuldige bezichtigen, um von deiner eigenen Schuld abzulenken und deiner Strafe zu entgehen. Nach ihrer Meinung bist du ja nur aufgrund einer Klausel des Gesetzes auf freiem Fuß. Manche glauben nach wie vor, daß du Solin getötet hast, weil ihr Rivalen in eurer Religion wart. Sie haben dir noch nicht verziehen, daß du versucht hast, Orla die Schuld an Solins Tod in die Schuhe zu schieben.«
»Dann habe ich wohl auch Dianach umgebracht und Artgal verschwinden lassen? Oder habe ich gar die dreiunddreißig jungen Männer eigenhändig niedergemacht?«
Murgal behielt die Fassung.
»Man traut einem Menschen alles mögliche zu, wenn man eine Abneigung gegen ihn gefaßt hat.«
»Tust du das auch?«
»Fidelma, ich bin Druide und Brehon. Erst war ich geneigt, dich so gering zu schätzen wie die meisten deines Glaubens: Kleinliche, bigotte Leute, anderen Überzeugungen gegenüber intolerant. Sie können niemanden leiden, der nicht genauso denkt wie sie. Dann stellte ich fest, daß du anders bist als jene deines Glaubens, die ich bis dahin kannte. Dir vertraue ich. Ich glaube, daß du von jeder Schuld frei bist. Vielleicht traust du mir, so daß ich dir helfen kann?«
Einen verwegenen Augenblick lang war Fidelma versucht, ihm alles zu sagen, was sie wußte. Sie öffnete schon den Mund, da erkannte sie die Gefahr. Sie klappte den Mund wieder zu. Murgal war plötzlich zu freundlich geworden. Was steckte hinter seiner veränderten Haltung?
In diesem Moment merkte sie, daß Laisre den Raum betreten hatte. Er trug einen Mantel, denn der Abend war kühl. Er ging hinüber zum Kamin, wo man vor einem geschnitzten hölzernen Wandschirm seinen Sessel aufgestellt hatte. Der Wandschirm war schulterhoch, um vor Zugluft zu schützen. Laisre ging hinter den Schirm zu einem kleinen Tisch, auf dem man während des Festes Mäntel und Waffen ablegte.
Fidelma folgte ihm mit nachdenklichen Blicken. Als er den Mantel abnahm, schaute er sie über den Wandschirm hinweg direkt an. Den unteren Teil seines Gesichts konnte sie nicht sehen, nur seine Augen und den oberen Teil des Gesichts, so daß sie seine Miene nicht erkennen konnte. Ihre Blicke begegneten sich, und sie spürte die Feindseligkeit in seinen Augen. Ein kalter Schauder überlief sie, dann wurde sie wieder ganz ruhig. Sie wandte sich erneut Murgal zu.
»Entschuldige«, sagte sie, »was meintest du eben?«
»Ich sagte, du solltest mir vertrauen, Fidelma von Cashel, denn ich könnte dir vielleicht helfen. Morgen mußt du deinen Verdacht begründen. Wenn du nach Cashel zurückreitest, ohne eine Erklärung für die Vorgänge hier abzugeben, wirst du großes Mißtrauen hinterlassen. Man wird dir weiter die Schuld an Solins Tod zuschreiben.«
Fidelma musterte Murgal einen Moment nachdenklich.
»Du und das Volk von Gleann Geis, ihr werdet morgen vormittag die Lösung all der Rätsel hier erfahren. Das schwöre ich.«
Sie sah, daß Eadulf in die Halle kam. Ihr fiel auf, daß sein Gesicht gerötet war und er irgendwie aufgewühlt wirkte.
Sie entschuldigte sich bei Murgal, erhob sich und ging hinüber zu ihm.
»Stimmt etwas nicht, Eadulf?« fragte sie neugierig. »Du machst so ein seltsames Gesicht.«