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Plötzlich herrschte eine Stille in der Halle, die nur vom schluchzenden Leugnen der Apothekerin unterbrochen wurde. Alle starrten Marga an. Cruinn eilte herbei und nahm sie in den Arm.

»Willst du damit sagen, daß Marga Solin umgebracht hat?« keuchte Murgal.

»Nein«, erwiderte Fidelma sofort. »Ich habe nur erklärt, daß Solins Angriff auf Marga das auslösende Moment für seine Ermordung war.«

»Behauptest du jetzt auch, daß es nicht Orla, sondern Marga war, die du am Pferdestall gesehen hast?« wollte Colla wissen.

Fidelma verneinte mit einem Kopfschütteln.

»Es war jemand, der genauso aussieht wie Orla, und das hat mich irregeführt. Die Gestalt trug einen Mantel mit Kapuze, so daß ich nur den oberen Teil des Gesichts sah, als das Licht darauf fiel.«

Sie schaute Laisre an.

»Erst als ich gestern abend den oberen Teil deines Gesichts über dem hölzernen Wandschirm bei genau derselben Beleuchtung sah, Laisre, begriff ich, welchem Irrtum ich verfallen war. Du warst es, Laisre von Gleann Geis, der aus dem Stall kam, und nicht deine Zwillingsschwester Orla.«

Kapitel 20

Laisre sackte in seinen Sessel zurück, als habe er einen Schlag erhalten. Mit offenem Mund starrte er entgeistert vor sich hin. Er schluckte schwer, und dann sank er in sich zusammen und streckte mit einer Geste die Hände aus, die halb verteidigend und halb kapitulierend wirkte.

»Ich leugne nicht, daß du mich gesehen hast«, gestand er leise zur hörbaren Verblüffung aller Anwesenden. »Ich bestreite aber, daß ich es war, der Solin aus Armagh getötet hat.«

Alle warteten auf das, was Fidelma nun sagen würde, doch sie stellte lediglich fest: »Ich weiß, daß du ihn nicht getötet hast. Selbst wenn Bruder Solin Marga vergewaltigt hätte, die du angeblich liebst, hättest du dich bemüht, ihn am Leben zu lassen, denn allein das hätte in deinem Interesse gelegen, nicht wahr?«

Laisre gab keine Antwort. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und starrte sie gebannt an wie ein Kaninchen den Fuchs einen Moment vor dem Ende.

»Du gingst in der Nacht in den Pferdestall, weil du mit Bruder Solin aus Armagh verabredet warst, stimmt das?«

»Ich wollte mich mit ihm treffen«, gestand Laisre leise.

»Aber jemand anders war vor dir da.«

»Ich betrat den Stall durch die Seitentür. Solin lag schon erstochen am Boden. Ich ging sofort weg, als mir klar wurde, daß er nicht mehr zu retten war. Ich gebe zu, daß du gesehen hast, wie ich den Stall verließ.«

»Irrtümlicherweise hielt ich dich für deine Zwillingsschwester, weil du so gut verhüllt warst, daß ich nur den oberen Teil deines Gesichts sah. Kein Wunder, daß du zornig wurdest, als ich Orla beschuldigte. Du selbst hattest allen Grund zur Angst, denn ich könnte ja meinen Irrtum erkennen. Diese Furcht lenkte meinen Verdacht auf dich, denn plötzlich begegnetest du mir statt mit Freundlichkeit mit Haß, und das fiel auf. Deine Besorgnis war so groß, daß du, als du von Rudgal erfuhrst, ich habe Eadulf als meinen Bre-hon benannt, einen losen Stein von den Zinnen des rath auf ihn hinuntergestoßen hast, während er unten entlangging. Gott sei Dank hat er ihn nicht erschlagen.«

»Du warst das also?« Eadulf schaute Laisre kurz an, ehe er Fidelma fragte. »Aber woher weißt du, daß Laisre das getan hat? Du warst doch nicht dabei?«

»Rudgal hat dir erzählt, wer sich in dem Moment oben auf der Mauer aufhielt. Sobald mir Laisres Rolle in der gesamten Angelegenheit klar wurde, begriff ich, daß er den Stein heruntergestoßen haben mußte. Leugnest du das, Laisre?«

Der schwieg.

»Möchtest du uns nun erklären, warum du dich in jener Nacht mit Bruder Solin im Stall treffen wolltest?«

Der Fürst von Gleann Geis saß da wie aus Stein gemeißelt.

»Dann werde ich das tun«, fuhr Fidelma fort, nachdem sie keine Antwort erhalten hatte. »Du und er, ihr wart gemeinsame Verschwörer oder Verbündete, wie du willst. Du warst es, der mit Mael Düin von Ailech im Bunde stand. Du hast die verräterische Botschaft auf Pergament aus Ailech an dich genommen und vernichtet. Stimmt das nicht?«

Laisre lachte, doch es klang etwas hohl.

»Behauptest du, ich würde mein eigenes Volk verraten? Ich würde es opfern, um persönliche Macht zu erringen?«

»Genau das behaupte ich. Es hat keinen Sinn, es abzustreiten. In der ersten Ratssitzung, in der du mit mir verhandeln solltest, fiel mir auf, daß du es warst, der entschieden hatte, einen Kleriker hierher einzuladen. Ich erfuhr, daß die Mehrheit des Rates gegen diese Entscheidung war, du hattest sie willkürlich getroffen. Warum wohl solltest du, der doch am alten Glauben festhielt und der, laut Christen wie Rudgal, sich hartnäckig weigerte, hier die Kirche anzuerkennen, plötzlich gegen den Willen deines Rates handeln und solch eine Einladung aussprechen? Jetzt wird die Antwort klar. Du mußtest die Einladung absenden, um sicherzustellen, daß ein Kleriker herkam und den Ritualmord sah. Kein anderer in Gleann Geis besaß genug Macht, eine solche Entscheidung zu treffen.

Es verwirrte mich, als ich erfuhr, daß du darin allein gegen Colla, Murgal, deine Schwester und andere Ratsmitglieder standest. Warum setztest du deine Stellung als Fürst aufs Spiel, indem du dich gegen ihren Willen im Rat stelltest? Weil du den Blick bereits auf eine andere Macht gerichtet hattest. Mael Düin hatte dir offensichtlich Größeres als das Fürstentum von Gleann Geis versprochen.«

Colla, Murgal und Orla starrten Laisre entsetzt an, als ihnen die unumstößliche Logik der Anklage aufging. Laisres Miene wurde trotzig, ja verächtlich.

»Du hättest aus Ehrgeiz Gleann Geis vernichtet?« fragte Murgal entgeistert. »Bestreite es, und wir glauben dir. Du bist unser Fürst.«

»Du hast recht. Ich bin euer Fürst.« Laisre erhob sich plötzlich, und seine Stimme schwoll zu einem Grollen an. »Machen wir dies zu unserem Tag. Sie sind nur wenige, wenn wir zusammenstehen. Mael Düin kann seinen Plan immer noch zum Erfolg führen, trotz dieser Frau. Haltet zu mir, wenn ihr auf der Seite der Sieger sein wollt. Erklärt, daß ihr für Ailech einsteht und gegen Cashel. Nehmt euer Schicksal selbst in die Hand.«

Colla, bleich geworden, schaute Laisre ungläubig an.

»Ich nehme mein Schicksal in die Hand, so wie es uns die Ehre gebietet«, sagte er ruhig. »Du bist nicht länger Fürst von Gleann Geis, und Schande über dich für das, was du uns antun wolltest.«

Laisre fuhr zornig auf.

»Dann mußt du mit deiner Schande leben, weil du dich deinem rechtmäßigen Fürsten verweigert hast!«

Noch bevor er ausgeredet hatte, war er vorgesprungen und hatte einen Dolch aus dem Gürtel gezogen. Ehe jemand eingreifen konnte, hatte er Esnad von ihrem Sitz gerissen, hielt sie wie einen Schild vor sich und setzte ihr die Klinge an die Kehle. Sie kreischte auf, doch der Druck der scharfen Klinge erstickte ihren Schrei. Ein dünner Streifen Blut rann ihren weißen Hals herab. Ihre Augen waren geweitet und starr vor Angst. Laisre schob sich langsam rückwärts zur Tür der Halle.

»Rührt euch nicht von der Stelle, wenn ihr dieses Mädchen nicht sterben sehen wollt«, rief er, als Ibor und zwei seiner Krieger sich ihm unwillkürlich näherten.

Orla schrie schrill auf.

»Sie ist deine Nichte, Laisre. Sie ist meine Tochter! Dein eigen Fleisch und Blut!«

»Haltet Abstand«, warnte der Fürst. »Ich werde den rath ungehindert verlassen. Glaubt nicht, daß ich mich scheuen werde, meinen Dolch zu gebrauchen. Das Biest aus Cashel wird euch erzählen, daß ich bereit war, die Menschen in diesem Tal meinem Ehrgeiz zu opfern, und ich werde nicht zögern, auch dieses verwöhnte Gör zu opfern, ob sie nun mein eigen Fleisch und Blut ist oder nicht.«

Da sprang Marga mit einem Freudenschrei auf.

»Ich komme mit, Laisre.«

Laisre lächelte spöttisch.