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Cato lacht nur: »Wenn du auf mich schießt, fällt er mit mir.«

Das ist wahr. Wenn ich ihn erledige und er nach unten zu den Mutationen fällt, wird Peeta mit ihm sterben. Wir sind in einer Pattsituation. Ich kann Cato nicht erschießen, ohne nicht auch Peeta zu töten. Er kann Peeta nicht töten, ohne zu verhindern, dass ein Pfeil sein Gehirn durchbohrt. Wir stehen da wie Statuen und suchen beide nach einem Ausweg.

Meine Muskeln sind so gespannt, als wollten sie jeden Moment reißen. Ich presse die Zähne so fest aufeinander, dass sie beinahe brechen. Die Mutationen sind verstummt, ich höre nur noch das Pochen des Blutes in meinem guten Ohr.

Peetas Lippen werden blau. Wenn ich nicht schnell etwas unternehme, erstickt er, dann habe ich ihn verloren und Cato wird vermutlich seinen Körper als Waffe gegen mich einsetzen. Plötzlich bin ich mir sicher, dass Cato genau das vorhat, denn er lacht zwar nicht mehr, aber um seine Lippen spielt ein triumphierendes Lächeln.

Wie in einem allerletzten Versuch hebt Peeta die Finger, von denen das Blut aus seinem Bein tropft, und zeigt auf Catos Arm. Doch versucht er nicht etwa, Catos Griff zu lockern, sondern er zeichnet ein X auf Catos Handrücken. Genau einen Wimpernschlag nach mir merkt auch Cato, was das bedeutet, denn das Lächeln auf seinen Lippen erstirbt. Aber diese eine Sekunde ist entscheidend, schon durchbohrt mein Pfeil seine Hand. Er schreit auf und lässt Peeta reflexartig los, der rückwärts gegen ihn stößt. Einen schrecklichen Moment lang denke ich, jetzt stürzen sie beide. Ich hechte nach vorn und bekomme Peeta zu packen, während Cato auf dem blutbeschmierten Füllhorn ausrutscht und hinabfällt.

Wir hören, wie er aufschlägt und die Luft aus seinem Körper entweicht, dann sind die Mutationen über ihm. Peeta und ich klammern uns aneinander und warten auf die Kanone, warten darauf, dass der Wettkampf vorbei ist, dass wir frei sind. Aber es passiert nicht. Noch nicht. Denn dies ist der Höhepunkt der Hungerspiele und die Zuschauer erwarten eine Show.

Ich sehe nicht hin, aber ich höre das Knurren, das Fauchen und das Schmerzgeheul von Mensch und Tier, als Cato es mit dem Rudel aufnimmt. Ich begreife nicht, wie er so lange überleben kann, bis mir der Panzer einfällt, der ihn vom Hals bis zu den Knöcheln schützt, und mir klar wird, dass es eine lange Nacht werden könnte. Cato muss ein Messer oder ein Schwert in seinen Kleidern versteckt haben, denn ab und zu dringt der Todesschrei einer Bestie oder das Geräusch von Metall auf Metall zu uns herauf, wenn die Klinge an das goldene Horn stößt. Der Kampf verlagert sich zur Rückseite des Füllhorns. Offenbar versucht Cato das einzige Manöver, das ihm das Leben retten kann: ans hintere Ende des Horns zu gelangen und zu uns heraufzuklettern. Aber schließlich wird er trotz seiner bemerkenswerten Kräfte und seiner Geschicklichkeit schlicht überwältigt.

Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, vielleicht eine Stunde, als Cato zu Boden geht und wir hören, wie die Bestien ihn zurück nach vorn zum Füllhorn zerren. Jetzt machen sie ihn fertig, denke ich. Aber noch immer ist die Kanone nicht zu hören.

Die Nacht bricht herein, die Hymne erklingt, aber kein Bild von Cato am Himmel, nur ein mattes Stöhnen, das durch das Metall unter uns dringt. Eiskalte Luft weht über die Ebene und erinnert mich daran, dass die Spiele nicht vorbei sind und vielleicht noch wer weiß wie lange weitergehen, und unser Sieg ist immer noch ungewiss.

Ich wende mich Peeta zu und sehe, dass sein Bein noch genauso stark blutet wie vorher. Unsere Vorräte und unser Gepäck sind unten am See, wo wir sie bei unserer Flucht vor den Mutationen zurückgelassen haben. Ich habe keinen Verband, nichts, womit ich den Blutstrom aus seiner Wade stillen könnte. Obwohl ich im beißenden Wind bibbere, ziehe ich erst die Jacke und dann das Hemd aus und schlüpfe dann so rasch wie möglich wieder in die Jacke. Die kurze Zeit ohne Jacke genügt, um meine Zähne wie wild losklappern zu lassen.

Peetas Gesicht wirkt im fahlen Mondlicht grau. Ich sage ihm, er soll sich hinlegen, und untersuche seine Wunde. Warmes, glitschiges Blut rinnt mir über die Finger. Ein Verband wird nicht genügen. Ich habe meiner Mutter ein paarmal dabei zugesehen, wie sie einen Druckverband angelegt hat, und versuche es nachzumachen. Von meinem Hemd schneide ich einen Ärmel ab, wickele ihn zweimal unterhalb des Knies um das Bein und verknote ihn. Weil ich keinen Stock habe, nehme ich den letzten verbliebenen Pfeil, stecke ihn in den Knoten und drehe ihn möglichst oft herum. Es ist riskant - Peeta könnte das Bein dabei verlieren -, aber wenn ich es dagegen abwäge, dass er vielleicht sein Leben verliert, hab ich da eine Wahl? Ich verbinde die Wunde mit dem Rest meines Hemds und lege mich neben ihn.

»Schlaf nicht ein«, sage ich. Ich weiß nicht genau, ob das den Regeln der Heilkunst entspricht, aber ich befürchte, dass er nie mehr aufwachen würde, wenn er einnickt.

»Ist dir kalt?«, fragt er. Er macht seine Jacke auf, ich schmiege mich an ihn, und er schließt die Jacke um uns beide. Es ist ein bisschen wärmer, unsere Körperwärme in einer doppelten Jackenschicht, aber die Nacht ist noch jung. Die Temperatur wird noch weiter fallen. Schon jetzt merke ich, wie das Füllhorn, das glühend heiß war, als ich hinaufgeklettert bin, langsam eiskalt wird.

»Cato kann immer noch gewinnen«, flüstere ich Peeta zu.

»Das glaubst du doch selbst nicht«, sagt Peeta und zieht mir die Kapuze hoch, aber er zittert sogar noch mehr als ich.

Die nächsten Stunden sind die schlimmsten meines Lebens und das will was heißen. Die Kälte wäre schon quälend genug, aber noch schlimmer ist es, Cato zuzuhören, wie er stöhnt und bettelt und schließlich nur noch winselt, während die Bestien sich über ihn hermachen. Schon bald ist mir egal, wer er ist oder was er getan hat, und ich will nur noch, dass sein Leiden ein Ende hat.

»Warum töten sie ihn nicht einfach?«, frage ich Peeta. »Du weißt, warum«, sagt er und zieht mich noch enger an sich.

Ja, ich weiß es. Kein Zuschauer kann jetzt weggucken. Für die Spielmacher ist es Topunterhaltung, der absolute Höhepunkt.

Immer weiter geht das so und irgendwann kann ich an nichts anderes mehr denken, es überlagert alle Erinnerungen und Hoffnungen, löscht alles aus bis auf das Hier und Jetzt, und ich kann mir kaum noch vorstellen, dass es sich jemals ändern wird. Es wird nie mehr etwas anderes geben als Kälte und Angst und die qualvollen Laute des Jungen, der hier unter dem Horn stirbt.

Peeta nickt nun doch langsam ein und jedes Mal brülle ich seinen Namen, immer lauter, denn wenn er jetzt stirbt, werde ich völlig wahnsinnig. Er kämpft dagegen an, wahrscheinlich mehr um meinetwillen als um seinetwillen, aber es fällt ihm schwer, denn wenn er das Bewusstsein verlöre, könnte er alldem entfliehen. Doch das Adrenalin, das durch meinen Körper gepumpt wird, würde mich davon abhalten, ihm zu folgen, deshalb kann ich ihn nicht gehen lassen. Ich kann einfach nicht.

Nur am Himmel, wo sich der Mond langsam vorwärtsschiebt, können wir ablesen, dass die Zeit vergeht. Immer wieder zeigt Peeta auf den Mond, damit ich sehe, wie er wandert, und manchmal keimt kurz ein Funken Hoffnung in mir auf, bevor die Pein dieser Nacht mich wieder verschlingt.

Endlich höre ich ihn flüstern, dass die Sonne aufgeht. Ich öffne die Augen und sehe, wie die Sterne im fahlen Licht der Dämmerung verblassen. Ich sehe auch, wie blutleer Peetas Gesicht geworden ist. Wie wenig Zeit ihm noch bleibt. Und ich weiß, dass ich ihn zurück ins Kapitol bringen muss.

Die Kanone ist immer noch nicht abgefeuert worden. Ich lege mein gutes Ohr an das Füllhorn und höre Catos Stimme.