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Jetzt tauchte Joe Harper auf, ebenso luftig gekleidet und vollendet bewaffnet wie Tom.

Tom rief: „Halt! Wer wagt es, ohne meine Erlaubnis Sherwood zu betreten?" „Guy von Guisborne braucht keines Menschen Erlaubnis. Wer bist du, dass - dass..."

„... du es wagst, so zu sprechen", vollendete Tom, denn die beiden Jungen sprachen Sätze nach, die sie in einem bestimmten Buch gelesen hatten.

„Wer bist du, dass du es wagst, so zu sprechen?"

„Ich bin es, Robin Hood, und dein erbärmliches Gerippe wird es bald erfahren."

„Wie, so bist du also jener berühmte Geächtete? Freudig will ich mit dir um die Herrschaft dieses schönen Waldes streiten. Aufgepasst!"

Sie packten ihre hölzernen Schwerter und begannen einen scharfen Kampf, dabei führten sie immer sorgfältig „zwei Streiche oben und zwei Streiche unten" aus, bis Tom sagte: „Schneller! Lebendiger!"

Und so kämpften sie „lebendiger" und keuchten und schwitzten bei der Arbeit. Schließlich schrie Tom:

„Fallen! So fall doch endlich! Warum fällst du nicht?"

„Ich werde nicht fallen. Warum fällst du nicht? Du wirst doch geschlagen."

„Aber ich kann doch nicht fallen. Das ist doch dann nicht so, wie es im Buch geschrieben steht. Das Buch sagt: >Und mit einem mächtigen Hieb in den Rücken schlug er den armen Guy von Guisborne zu Boden. < Du bist es also, der sich umdrehen und den ich mit einem Schlag in den Rücken sterben lassen muss."

Joe sah das ein und so drehte er sich herum, erhielt seinen Schlag und fiel.

„So", sagte Joe, als er wieder hochkam, „jetzt musst du es auch zulassen, dass ich dich töte. Sonst ist's nicht fair."

„Aber das kann ich nicht tun, es steht doch nicht im Buch."

„Ist doch egal - nun mach schon!"

„Hör mal, Joe, du könntest doch der Bruder Tuck oder Much der Müllerssohn sein und mich mit einem Stock durchprügeln; aber nein, ich kann ja der Sheriff von Nottingham sein und du der Robin Hood."

Joe war zufrieden und der Mord wurde ausgeführt. Dann wurde Tom wieder Robin Hood, er starb an seinen unheilbaren Wunden und wurde bald darauf von Joe, der jetzt eine ganze Schar von weinenden Gesetzlosen verkörperte, fortgezerrt. Joe gab ihm seinen Bogen in die zitternden Hände und Tom sagte mit schwacher Stimme: „Wo dieser Pfeil niederfallen wird, dort begrabt den armen Robin Hood unter den Bäumen."

Dann schwirrte der Pfeil durch die Luft, Tom fiel zurück und wäre gestorben, wenn er nicht in eine Brennnessel gefallen wäre, die ihn, etwas zu lebhaft für einen Sterbenden, wieder aufspringen ließ.

Die beiden Jungen zogen sich wieder an, versteckten ihre Waffen und machten sich auf den Heimweg, verdrießlich darüber, dass es keine Geächteten mehr gab. Sie fragten sich, was die moderne Zivilisation wohl tun könne, um diesen Verlust auszugleichen, und stimmten darin überein, dass sie lieber ein Jahr lang Geächtete in Sherwood wären als auf Lebenszeit Präsident der Vereinigten Staaten.

Ein unheimliches Erlebnis

Wie üblich wurden Tom und Sid um halb zehn zu Bett geschickt. Sie sprachen ihr Gebet und bald war Sid eingeschlafen. Tom lag wach und wartete mit Ungeduld. Ihm schien es, als würde es schon Morgen, als er endlich die Uhr schlagen hörte. Erst zehn! Er bemühte sich wach zu bleiben, aber nach einer Weile schlief er doch ein; es schlug elf, er hörte es nicht.

In seine verworrenen Träume mischte sich Katzengeschrei, ein Fenster wurde geöffnet und eine zornige Stimme rief: „Verdammtes Katzenvolk!" Das Splittern einer Flasche, die am Holzschuppen der Tante zerbarst, weckte Tom schließlich ganz auf. Er fuhr aus dem Bett, und innerhalb einer Minute war er angezogen und kletterte aus dem Fenster.

Auf allen vieren kroch er über das Dach, miaute ein paarmal vorsichtig, sprang auf das Dach des Holzschuppens und von dort auf die Erde. Huckleberry Finn erwartete ihn mit seiner toten Katze. Die Jungen setzten sich in Trab und verschwanden in der Dunkelheit. Eine halbe Stunde später wateten sie durch das hohe Gras des Friedhofes.

Ein schwacher Wind strich durch die Bäume, und Tom fürchtete, es seien die Geister der Toten, die sich über die Störung beklagten. Die Jungen sprachen selten und dann nur im Flüsterton, denn die nächtliche Stille bedrückte sie. Sie erreichten den frischen Erdhügel, den sie gesucht hatten, und verbargen sich im Schütze dreier Ulmen, die nur einen Schritt vom Grabe entfernt standen.

Schweigend warteten sie. Nur der Schrei einer Eule unterbrach die Grabesstille. Das Schweigen wurde bedrückend. Tom fühlte, dass er etwas sagen musste. Deshalb flüsterte er ganz leise:

„Hucky, glaubst du, dass die toten Leute es gern haben, wenn wir hier sind?"

Huckleberry erwiderte: „Möcht ich auch gern wissen. Ist alles so feierlich, nicht?"

„Hm."

Wieder schwiegen sie. Dann flüsterte Tom: „Sag, Hucky glaubst du, dass Ross Williams uns reden hört?"

„Natürlich! Sein Geist bestimmt."

Tom, nach einer Weile: „Ich wollte, ich hätte Herr Williams gesagt. Aber ich habe es nicht böse gemeint. Jeder nennt ihn Ross."

„Man kann gar nicht vorsichtig genug sein, wenn man von toten Leuten spricht, Tom."

Das war ein Dämpfer und die Unterhaltung erstarb wieder.

Plötzlich ergriff Tom den Arm seines Freundes und zischelte: „Pst!"

„Was gibt's, Tom?" Und mit klopfenden Herzen rückten sie näher aneinander.

„Pst! Da war's wieder! Haste's nicht gehört?"

„Ich... " „Jetzt! Jetzt kannst du's doch hören."

„O Gott, Tom, sie kommen! Sie kommen! Was sollen wir tun?"

„Weiß ich nicht. Glaubst du, sie werden uns sehen?"

„O Tom, sie können im Dunkeln sehen, genau wie Katzen. Ich wollte, ich wäre nicht gekommen."

„Ach sei doch nicht so bange. Ich glaube nicht, dass sie uns suchen. Wir tun doch nichts Böses. Wenn wir ganz still sitzen, bemerken sie uns vielleicht gar nicht."

„Ich versuch ja still zu sitzen, Tom, aber - mein Gott! - ich bebe nur so."

„Hör mal!"

Die Jungen steckten die Köpfe zusammen und wagten kaum zu atmen. Vom anderen Ende des Friedhofs hörten sie gedämpfte Stimmen.

„Was ist das?", wisperte Tom.

„Es sind die Geister. O Tom, es ist schrecklich!"

Ein paar undeutliche Gestalten näherten sich in der Dunkelheit; eine davon trug eine altmodische Blechlaterne, deren Licht unzählige kleine Pünktchen auf den Boden warf.

Huckleberry flüsterte zitternd: „Es sind die Geister, ich weiß es genau. Drei sogar! O Gott, Tom, wir sind verloren! Kannst du beten?"

„Ich will's versuchen. Aber sei doch nicht so bange, sie tun uns bestimmt nichts. Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe... "

„Pst!"

„Was?"

„Das sind ja Menschen! Einer von ihnen ganz bestimmt. Ich kenne doch Muff Potters Stimme!"

„Nee - bist du ganz sicher?"

„Ja, bestimmt! Beweg dich nicht und mach kein Geräusch. Der kann uns bestimmt nicht bemerken -betrunken wie üblich, der alte Esel!"

„Ja, ja, ich halt mich schon ruhig. Jetzt wissen sie nicht, wohin. Können's wohl nicht finden. Jetzt kommen sie wieder. Jetzt ist's heiß. Jetzt wieder kalt. Heiß! Glühend heiß!! Jetzt haben sie's. Du, Huck, ich kenne noch eine Stimme; es ist die Stimme vom Indianer-Joe."

„Oh, verdammt, ausgerechnet dieses Halbblut! Lieber war mir gewesen, es wären Geister. Was können sie bloß vorhaben?"

Das Geflüster der Jungen erstarb, denn die drei Männer waren am Grabe angekommen und standen nicht weit vom Versteck der beiden entfernt.