Выбрать главу

Jim wurde unschlüssig.

„Eine weiße Murmel, Jim! Ist sie nicht wundervoll?"

„Oh, das sein prächtige Murmel, sag ich dir! Aber Master Tom, ich hab schreckliche Angst vor alte Missis... "

„Übrigens: ich zeige dir auch meine wunde Zehe, wenn du tünchst."

Jim war auch nur ein Mensch und dieses Angebot war zu viel für ihn. Er stellte seinen Eimer nieder, nahm die weiße Murmel und bückte sich mit höchstem Interesse über die Zehe, während Tom den Verband entfernte. Im nächsten Augenblick jedoch flog Jim die Straße hinunter, den Eimer in der Hand; Tom tünchte wie besessen und Tante Polly zog sich mit Triumph in den Augen und einem Pantoffel in der Hand von der Veranda zurück.

Aber Toms Eifer hielt nicht lange an. Er dachte daran, wie schön dieser Tag hätte sein können und sein Kummer vervielfachte sich. Bald würden seine Kameraden kommen und ihm von ihren Plänen für den Tag erzählen - und natürlich würden sie sich furchtbar lustig über ihn machen, dass er arbeiten musste. Schon der Gedanke daran brachte ihn in Zorn. Er kramte seine kleinen Schätze aus der Tasche und prüfte sie - kleine Gegenstände, Spielsachen, Murmeln und Blechstücke; genug, um damit bei jemand eine leichte Arbeit einzutauschen, aber nicht genug, um eine halbe Stunde Freiheit zu erkaufen. Er gab den Gedanken auf, die Jungen zu bestechen.

In diesem hoffnungslos dunklen Augenblick kam ihm eine Idee! Eine großartige, wundervolle Idee!

Er nahm seinen Quast wieder in die Hand und machte sich gelassen an die Arbeit. Bald tauchte auch Ben Rogers auf - ausgerechnet der Junge, dessen Spott er am meisten gefürchtet hatte. Ben ging nicht, er hüpfte und sprang ausgelassen - Beweis genug dafür, dass er gute Laune hatte und seine Erwartungen hoch waren. Er aß einen Apfel, und zwischen den einzelnen Bissen stieß er lange, melodische Pfiffe aus, denen ein tiefes Dingdong, Dingdong, Dingdong folgte: Er spielte Dampfer.

Als er näher kam, setzte er die Geschwindigkeit herab, steuerte in die Mitte der Straße, lehnte weit über nach Steuerbord, und dann - er war ganz bei der Sache und gab sich alle Mühe - drehte er bei, denn er stellte den großen Dampfer „Big Missouri" vor. Er war Schiff, Kapitän, Maschine, alles zugleich und so bildete er sich ein, er stehe auf seinem eigenen Sturmdeck. Er gab die Befehle und führte sie selbst aus.

„Stopp! Klingelingling!"

Der Hauptweg war fast zu Ende, deshalb wandte er sich jetzt langsam dem Seitenweg zu. „Jetzt achteraus! Klingelingling!" Er legte seine Arme steif an die Seiten.

„Steuerbord achteraus! Klingelingling!"

Währenddessen beschrieb seine rechte Hand gewaltige Kreise - sie musste ein vierzig Fuß hohes Rad vorstellen. „Backbord stopp! Klingelingling! Backbord stopp! Halt!"

Tom beachtete den Dampfer nicht und tünchte ruhig weiter.

Einen Augenblick war Ben erstaunt, dann sagte er: „Hihi! Hamse dich reingelegt?"

Keine Antwort. Tom betrachtete seinen letzten Quaststrich mit dem Auge eines Künstlers. Dann strich er noch einmal zart mit dem Pinsel darüber und musterte das Ergebnis kritisch. Ben kam näher. Tom lief bei dem Duft des Apfels das Wasser im Munde zusammen, er ließ sich aber nichts anmerken und hielt sich an die Arbeit.

Ben sagte: „Hallo, alter Junge, hast zu arbeiten, was?"

Tom drehte sich um und sagte: „Nanu, du bist es, Ben! Ich hab dich gar nicht gesehen."

„Du, ich geh schwimmen - wirklich! Hast du nicht auch Lust? Oder möchtest du vielleicht lieber arbeiten?"

Tom betrachtete den Jungen nachdenklich und sagte dann: „Was nennst du eigentlich Arbeit?"

„Na, ist das etwa keine Arbeit?"

Tom begann wieder mit seiner Arbeit und antwortete herablassend: „Nun, vielleicht ist es Arbeit und vielleicht ist es keine.

Ich kann nur sagen, dass es genau das Richtige ist für Tom Sawyer."

„Ach, sieh mal an, du willst doch nicht behaupten, dass du es gern tust?"

Der Quast strich ohne Unterbrechung über die Bretter.

„Ob ich es gern tue? Nun, ich sehe nicht ein, warum ich es nicht gern tun sollte. Lange nicht jedem Jungen wird die Möglichkeit geboten, einen Zaun zu tünchen."

Das warf natürlich ein völlig neues Licht auf die Sache! Ben hörte auf, an seinem Apfel zu knabbern. Sehr zierlich bewegte Tom seinen Quast hin und her -dann trat er einen Schritt zurück, um seine Arbeit zu betrachten. Er fügte hier und da noch einen Strich hinzu und begutachtete anschließend den Zaun von neuem.

Ben beobachtete jede Bewegung. Die Sache interessierte und fesselte ihn immer mehr. Schließlich sagte er: „Du, Tom, lass mich mal ein bisschen tünchen."

Tom wollte zustimmen; aber - dann überlegte er es sich. „Nein, nein, ich schätze, es würde kaum was draus werden, Ben. Weißt du, Tante Polly nimmt es schrecklich genau mit diesem Zaun. Natürlich, wenn es der hintere Zaun wäre, hätte sie bestimmt nichts dagegen, wenn du ihn streichen würdest, aber so? Ja, sie nimmt es furchtbar genau mit diesem Zaun - er musswirklich sehr sorgfältig gestrichen werden. Ich schätze, es gibt keinen Jungen unter tausend, vielleicht auch unter zweitausend, der es so machen kann, wie es gemacht werden muss."

„Ist das wirklich so? Och, lass mich doch mal versuchen! Nur ein ganz kleines bisschen - ich würde dich versuchen lassen, wenn ich an deiner Stelle wäre, Tom!"

„Ben, ich tat's gerne, ehrlich; aber Tante Polly - nun, Jim wollte es so gern tun, aber sie wollte es nicht. Sid wollte es tun, aber der durfte es auch nicht. Siehst du denn nicht, wie ich in der Klemme sitze? Wenn du diesen Zaun bearbeitest und es geht etwas schief..."

„Ach was, ich werd mich in Acht nehmen. Jetzt lass mich versuchen. Hier, ich geb dir auch das Gehäuse von meinem Apfel."

„Nun ja, dann... Nein, Ben, nicht. Ich habe Angst." „Ich geb dir auch den ganzen Apfel!"

Tom gab ihm den Quast scheinbar widerwillig -innerlich aber jubelte er. Und während der frühere Dampfer „Big Missouri" schwitzend in der Sonne arbeitete, setzte sich der pensionierte Künstler im Schatten auf eine Tonne, ließ die Beine baumeln, aß seinen Apfel und sann darüber nach, wie er noch mehr Unschuldige einfangen könnte.

Arbeitskräfte gab es genug; die Jungen kamen, um ihn zu verhöhnen, und blieben, um zu tünchen. Bevor Ben völlig ermüdet war, hatte Tom schon Billy Fisher für die nächste halbe Stunde gewonnen — natürlich nicht ohne dessen Drachen zu verlangen, der noch sehr gut in Ordnung war. Als Billy aufhörte, war Tom schon Besitzer einer toten Ratte; die hatte eine Schnur um den Hals, mit der man sie durch die Luft wirbeln konnte. Johnny Miller hatte sie ihm verkauft. So ging es weiter, Stunde um Stunde.

Und als der Nachmittag kam, war aus dem morgens noch ausgesprochen armen Jungen ein Tom geworden, der sich fast im Wohlstand baden konnte. Zu dem Drachen und der toten Ratte waren noch folgende Dinge gekommen: zwölf Murmeln, ein kleines Stück von einer Mundharmonika, eine Scherbe aus blauem Flaschenglas zum Durchgucken, eine Kanone, ein Schlüssel, mit dem man nichts aufschließen konnte, ein Stückchen Kreide, ein Zinnsoldat, zwei Kaulquappen, sechs Knallbonbons, ein Kätzchen mit nur einem Auge, eine Messingtürklinke, ein Hundehalsband natürlich ohne Hund, ein Messergriff, vier Stückchen Apfelsinenschale und ein brüchiger alter Fensterrahmen.

Die ganze Zeit über war Tom glücklich und zufrieden - er hatte Gesellschaft und außerdem wurde der Zaun dreimal völlig übergepinselt. Wäre ihm die Farbe nicht ausgegangen, so hätte er jeden Jungen des Städtchens arm gemacht.

Manchmal war das Leben gar nicht so schwer. Tom hatte, ohne es zu wissen, das große Gesetz menschlichen Handelns entdeckt - wenn man nämlich einem Menschen eine Sache schmackhaft machen will, so muss man sie nur als schwer erreichbar hinstellen. Wäre er ein großer und berühmter Philosoph gewesen -wie zum Beispiel der Verfasser dieses Buches -, so hätte Tom jetzt begriffen, dass Arbeit das ist, was man tun muss, und Spiel das, was man freiwillig tut. Und damit hätte er auch verstanden, dass man es zum Beispiel „Arbeit" nennt, künstliche Blumen herzustellen, während es als Vergnügen gilt, den Montblanc zu ersteigen.