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„Glaubst du?" „Ich weiß es genau."

Nach einer Weile fragte Tom: „Wer soll's sagen? Wir?" „Bist du verrückt? Angenommen, es kommt anders und Indianer-Joe baumelt nicht? Eines Tages wird er dann auch uns kaltmachen, so sicher, wie wir hier liegen."

„Genau dasselbe habe ich auch gedacht, Huck." „Wenn es unbedingt jemand erzählen soll, lass es doch Muff Potter tun, wenn er so dumm ist. Besoffen genug dazu ist er ja meistens."

Tom sagte nichts und dachte weiter nach. Schließlich sagte er: „Huck, Muff Potter weiß es nicht! Wie kann er es dann anzeigen?"

„Wieso weiß er es nicht?"

„Er hatte doch gerade den Schlag gekriegt, als Indianer-Joe es tat. Glaubst du, er hätte etwas gesehen? Glaubst du, er wüsste irgendwas?"

„Donnerwetter, du hast recht, Tom!"

„Und außerdem - vielleicht ist der auch hinüber von dem Schlag."

„Nee, ist unwahrscheinlich. Der war doch voll, das konnte man sehen; und außerdem ist er doch immer so. Na, wenn Vater voll ist, könnte man ihm mit 'nem Kirchturm eins über den Kopf geben, und er würde sich nicht rühren. Er sagt das selbst. Und natürlich ist es mit Muff Potter genauso. Aber einen völlig Nüchternen hätte so'n Schlag vielleicht um die Ecke gebracht."

Nach einer gedankenvollen Pause fragte Tom: „Huck, kannst du auch bestimmt den Mund halten?"

„Tom, wir müssen den Mund halten. Du weißt es doch. Dieser Indianerteufel wird uns ersäufen wie die Katzen, wenn wir was sagen und sie ihn nicht hängen. Hör zu, Tom, wir wollen uns gegenseitig schwören - ja das müssen wir tun - schwören, dass wir den Mund halten."

„Einverstanden! Das ist wohl das Beste. Lass uns die Hand heben und schwören, dass wir..."

„Nee, nee, das genügt nicht für so 'ne wichtige Sache. Das genügt für so alltägliche Sachen - zum Beispiel bei Mädchen, denn die verpetzen dich eines Tages sowieso, wenn sie gerade Lust dazu haben. Nein, wir wollen es aufschreiben. Mit Blut."

Natürlich war dieser Vorschlag Tom aus der Seele gesprochen. Er war düster, unheimlich und schrecklich und passte so gut zu den Ereignissen dieses Tages. Er hob eine saubere Kiefern-Schindel vom Boden auf, holte ein abgebrochenes Stück Rotstift aus der Tasche, setzte sich so, dass der Mond seine Arbeit beschien, und kritzelte mühsam mehrere Zeilen. Bei jedem Abstrich, den er machte, drückte er die Zunge krampfhaft gegen seine Zähne, bei jedem Aufstrich verminderte er diesen Druck. Er schrieb:

Huckleberry war voller Bewunderung über Toms Schreibkunst und über die Erhabenheit seiner Sprache. Sofort zog er eine Stecknadel aus seinem Rockaufschlag und wollte sich damit in die Haut stechen, als Tom sagte:

„Halt, so geht das nicht, Huck! 'ne Stecknadel ist doch Messing. Vielleicht ist Grünspan dran."

„Was ist denn Grünspan?"

„Gift! Das ist es. Schluck mal 'n bisschen, du wirst's schon merken."

Tom wickelte den Faden von einer seiner Nähnadeln. Dann stachen die beiden Jungen sich in den Daumen und quetschten einen Tropfen Blut heraus. Allmählich, nach mehrmaligem Drücken, gelang es Tom, seine Anfangsbuchstaben zu malen, indem er den kleinen Finger als Feder benutzte. Dann zeigte er Hucklebery, wie man ein H und ein F macht, und damit war der Schwur vollständig. Sie begruben die Schindel nahe der Mauer mit viel Zeremonien und düsteren Zaubersprüchen. Dann trennten sie sich nachdenklich.

Kurz vor Mittag ging die schreckliche Neuigkeit wie ein Lauffeuer durch die ganze Ortschaft. Sie traf alle wie ein elektrischer Schlag. Die Nachricht flog von Haus zu Haus und von Mund zu Mund. Der Lehrer gab den Kindern für den Nachmittag frei; die Eltern hätten ihn nicht für normal gehalten, wenn er es nicht getan hätte.

Ein blutiges Messer war neben dem ermordeten Mann gefunden worden, und irgendjemand hatte es als Muff Potters Messer erkannt - so erzählte man sich. Man sagte auch, ein Bürger, der sich auf dem Heimweg verspätet hätte, habe gesehen, wie Potter sich im Bach gewaschen und dann heimlich davongestohlen habe. Dies war verdächtig, besonders das Waschen, das durchaus nicht zu Potters Gewohnheiten gehörte. Die ganze Ortschaft sei schon nach dem „Mörder" (sie nannten ihn schon so, obgleich sie keine Beweise hatten) durchsucht worden - erzählte man sich -, aber man habe ihn nicht finden können. Reiter hatten die Straßen nach allen Richtungen hin abgesucht, und der Sheriff war überzeugt, man würde ihn vor Einbruch der Nacht finden.

Die ganze Stadt strömte zum Friedhof. Tom schloss sich dem Zuge an; tausendmal lieber hätte er einen anderen Weg eingeschlagen, aber der Friedhof zog ihn unwiderstehlich an. An dem schrecklichen Ort angekommen, schlüpfte er durch die Menge und sah das grässliche Bild. Jahre schienen ihm vergangen zu sein, seit er es zuletzt gesehen hatte. Jemand kniff ihn in den Arm. Er fuhr herum und er schaute in das Gesicht Huckleberrys. Sofort sahen beide in eine andere Richtung, voller Angst, jemand könne den heimlichen Blick bemerkt haben, den sie sich zugeworfen hatten. Aber die Umstehenden unterhielten sich miteinander und waren in den schrecklichen Anblick vertieft.

„Armer Bursche!" „Armer junger Kerl!" „Das sollte jedem Grabräuber eine Lehre sein!" „Muff Potter wird baumeln, wenn sie ihn erwischen!" So und ähnlich lauteten die Bemerkungen, und der Pfarrer sagte: „Gott hat gerichtet; seine Hand hat ihn bestraft."

Tom spürte plötzlich ein Zittern an seinem ganzen Körper; sein Blick war auf das unbewegliche Gesicht Indianer-Joes gefallen. In diesem Augenblick wurde die Menge unruhig. Ein paar Stimmen riefen: „Er ist es! Er kommt selbst!"

„Wer? Wer?", fragten zwanzig Stimmen.

„Muff Potter!"

„Oho, er bleibt stehen! Seht, er dreht sich um. Lasst ihn nicht entwischen!"

Die Leute, die in den Ästen der Bäume über Toms Kopf saßen, erklärten, er versuche gar nicht fortzulaufen - er sehe nur unschlüssig und verwirrt aus.

„Das ist wirklich eine unverschämte Frechheit!", sagte ein Zuschauer. „Kommt hierher, um sich seine Arbeit in Ruhe anzusehen - hat wohl nicht erwartet, Gesellschaft zu finden."

Die Menge teilte sich und ließ den Sheriff durch, der Potter am Arm führte. Das Gesicht des armen Burschen war ganz verstört und in seinen Augen flackerte die Furcht. Als er vor dem Ermordeten stand, schüttelte er sich, als ob er fröre, schlug die Hände vor das Gesicht und brach in Tränen aus. „Ich hab's nicht getan, Freunde", schluchzte er, „auf Ehre und Gewissen, ich hab's nicht getan."

„Wer hat dich denn angeklagt?" rief eine Stimme.

Das schlug ein. Potter hob das Gesicht und sah um sich, mitleiderregende Hoffnungslosigkeit in den Augen. Er erblickte Indianer-Joe und rief aus:

„Oh, Joe, du hast mir versprochen, du würdest nie..."

„Ist das dein Messer?", fragte der Sheriff und hielt ihm die Waffe unter die Nase.

Potter wäre gefallen, wenn ihn nicht jemand aufgefangen und ihm geholfen hätte, sich hinzusetzen. Er sagte:

„Ich wusste es ja, dass ich es holen..." Er schauderte und machte mit zitternder Hand eine hoffnungslose Gebärde. Dann brachte er mühsam hervor: „Sag's ihnen, Joe, sag's ihnen - es hat doch keinen Zweck mehr."

Und nun hörten Huckleberry und Tom mit offenem Munde zu, wie der herzlose Mischling seine verlogene Geschichte erzählte. Sie erwarteten, dass jeden Augenblick Gottes Blitze aus heiterem Himmel herabkämen, um dies Haupt zu spalten, und wunderten sich, dass diese Blitze so lange auf sich warten ließen. Und als er geendet hatte und immer noch lebte, verließ sie der Mut. Sie hatten kein Verlangen mehr, ihren Eid zu brechen und das Leben des armen betrogenen Gefangenen zu retten, denn ohne Zweifel hatte dieser Bösewicht sich dem Teufel verschrieben und es schien sehr unvorsichtig, Sich mit solchen Mächten einzulassen.

„Warum bist du nicht fortgelaufen? Weshalb bist du noch einmal hergekommen?", fragte einer.

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