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Tom hantierte an einem Knopfloch herum und sah aus wie ein Schaf. Dann wurde er rot und schlug die Augen nieder. Herrn Walters Herz sank. Zu sich selbst sagte er: Ist es nicht möglich, dass der Junge die einfachste Frage beantworten kann? Warum fragte der Richter auch nur? Er fühlte sich jedoch verpflichtet zu sagen:

„Antworte dem Herrn, Thomas, und fürchte dich nicht."

Tom hüllte sich in Schweigen.

„Aber mir wirst du es sagen", mischte sich die Dame ein. „Die Namen der ersten beiden Apostel waren..."

„David und Goliath!"

Lasst uns das Ende dieser Szene mit dem Mäntelchen der Barmherzigkeit zudecken.

Die Schule ist eine Plage!

Den Montagmorgen fand Tom scheußlich. Er fand ihn immer scheußlich, denn es begann eine neue Woche endloser Leiden in der Schule. Am Montag wünschte er meistens, es gäbe keine Feiertage, denn sie machten die Schularbeiten und die Schule überhaupt nur noch abscheulicher.

Tom dachte nach und wünschte sich plötzlich, er wäre krank, denn dann hätte er die Schule schwänzen können. Das wäre wirklich eine Möglichkeit! Er tastete seinen Körper ab. Leider aber fand er keine Krankheit und begann seine Untersuchung von neuem. Diesmal glaubte er Leibschmerzen feststellen zu können und mit großen Erwartungen versuchte er, sie zu verstärken. Leider nützte es nichts, sie wurden immer schwächer und hörten schließlich ganz auf.

Plötzlich aber entdeckte er etwas! Einer seiner oberen Zähne war locker. Das war günstig und er wollte gerade anfangen zu stöhnen, als ihm einfiel, dass ihm seine Tante, wenn sie es hörte, den Zahn erbarmungslos ziehen würde, und das tat bestimmt weh. So überlegte er, dass es besser wäre, sich den Zahn als letzte Reserve aufzuheben und vorläufig weiterzusuchen. Aber es war vergeblich.

Dann erinnerte er sich, dass der Doktor einmal von einer Krankheit erzählt hatte, an der der Patient mindestens drei Wochen lang hatte leiden müssen, schließlich hatte er sogar einen Finger an dieser Krankheit verloren. Begierig zog der Junge seinen Fuß unter der Bettdecke hervor und untersuchte seine Zehe. Aber jetzt fiel ihm nicht mehr ein, wie sich diese Krankheit geäußert hatte. Ganz gleich - die Möglichkeiten, die sich ihm durch seine verletzte Zehe boten, musste er ausnützen. Mit bemerkenswerter Anstrengung fing er an zu stöhnen.

Aber Sid schlief ruhig weiter.

Tom stöhnte lauter und bildete sich nun wirklich ein, Schmerzen in der Zehe zu haben.

Sid hörte nichts.

Tom keuchte vor Anstrengung. Er machte eine Pause, sammelte alle Kraft und stieß dann eine Anzahl sehr vernehmbarer Seufzer aus.

Sid schnarchte weiter.

Tom war wütend. Er rief: „Sid, Sid!", und schüttelte ihn.

Das wirkte und Tom begann wieder zu stöhnen. Sid gähnte, streckte sich, richtete sich dann mit einem Schnaufen auf seinen Ellbogen auf und starrte Tom an. Der stöhnte. Da sagte Sid: „Tom! Hör mal, Tom! (Keine Antwort. ) He, Tom! Tom! Was ist los, Tom?" Und er schüttelte ihn und sah ihm ängstlich ins Gesicht.

Tom ächzte: „Oh, lass mich, Sid. Schüttele mich doch nicht so!"

„Warum, was ist los, Tom? Ich muss die Tante rufen." „Nein, es ist nichts. Es wird schon vorübergehen. Ruf niemand!"

„Aber ich muss! Stöhn doch nicht so, Tom, es ist schrecklich!"

„Ich vergebe dir alles, Sid (Stöhnen), alles, was du mir jemals angetan hast. Wenn ich sterbe..."

„Oh, Tom, du wirst doch nicht sterben? Nicht, Tom -oh, nicht. Vielleicht..."

„Ich vergebe allen, Sid. (Stöhnen.) Sag es ihnen, Sid. Und, Sid, gib den Fensterrahmen und die einäugige Katze dem Mädchen, das neulich in die Stadt gekommen ist, und sag ihr..."

Aber Sid war schon in seine Kleider gefahren und die Treppe hinuntergeflogen.

Tom litt nun wirklich, seine Phantasie arbeitete heftig, und sein Stöhnen klang ganz echt.

Sid rief: „Tante Polly, komm schnell, Tom liegt im Sterben!"

„Im Sterben?"

„Ja. Komm schnell!"

„Unsinn. Ich glaube kein Wort."

Aber trotzdem flog sie die Treppe hinauf, Sid und Mary folgten ihr auf dem Fuße. Ihr Gesicht war sehr weiß, und ihre Lippen zitterten. Als sie an Toms Bett stand, keuchte sie: „Tom! Was ist los mit dir?"

„Oh, Tante, ich bin..."

„Was ist los mit dir, was ist los mit dir, Kind?" „Oh, Tante, meine wunde Zehe stirbt ab!"

Die alte Dame sank in einen Stuhl und lachte ein bisschen und weinte ein bisschen, schließlich tat sie beides zusammen. Dann erholte sie sich wieder und sagte:

„Du hast mir einen schönen Schrecken eingejagt, Tom. Jetzt höre mit dem Unsinn auf und klettere aus dem Bett."

Das Stöhnen hörte auf und der Schmerz verschwand aus der Zehe. Der Junge fühlte sich erkannt und sagte:

„Wirklich, Tante Polly, er schien abzusterben, und es hat so weh getan, dass mir meine Zahnschmerzen gar nichts mehr ausgemacht haben."

„So, so, deine Zahnschmerzen. Was ist los mit deinem Zahn?"

„Er ist locker und tut schrecklich weh."

„Nun, nun, fang mir nicht wieder mit dem Stöhnen an!

Mach den Mund auf! Ja - dein Zahn ist locker, aber gewiss wirst du nicht davon sterben. Mary, hole mir einen seidenen Faden und etwas glühende Kohle aus der Küche."

„O bitte, Tantchen, zieh ihn nicht aus, es tut auch gar nicht mehr weh! Bitte nicht! Ich will heute auch nicht mehr die Schule schwänzen."

„Ach, so ist das! Du hast diesen Zirkus also nur veranstaltet, damit du die Schule schwänzen und fischen gehen konntest? Tom, Tom, ich habe dich so lieb, und du versuchst immer wieder, mein altes Herz mit diesen Unarten zu brechen." Jetzt waren die zahnärztlichen Instrumente bereit. Mit einer Schlinge befestigte die alte Dame das eine Ende des Fadens an Toms Zahn, und das andere Ende knüpfte sie an den Bettpfosten. Dann ergriff sie mit einer Zange die glühende Kohle und fuhr dem Jungen damit beinahe ins Gesicht - da baumelte der Zahn am Bettpfosten. Nach dem Frühstück, als Tom zur Schule ging, beneideten ihn alle Jungen, die er traf, denn die Lücke in der oberen Zahnreihe ermöglichte es ihm, auf eine neue und bewundernswerte Weise zu spucken. Eine ganze Anzahl interessierter Jungen versammelte sich um ihn. Ein Junge, der sich kürzlich in den Finger geschnitten hatte und bis jetzt Mittelpunkt der Neider und Bewunderer gewesen war, fand sich plötzlich ohne Anhänger und seines Ruhmes beraubt.

Bald darauf traf Tom den jugendlichen Ausgestoßenen des Städtchens, Huckleberry Finn, den Sohn eines Trunkenboldes. Huckleberry war bei allen Müttern in der Stadt gefürchtet und gehasst, denn sie fanden ihn gewöhnlich, schlecht und unbeaufsichtigt. Alle Kinder bewunderten ihn sehr und wünschten, sie könnten sein wie er. Auch Tom fand ihn großartig und spielte mit ihm, wann immer sich Gelegenheit dazu bot.

Huckleberry kam und ging, wann er wollte. Bei schönem Wetter schlief er draußen und bei schlechtem in verlassenen Hundehütten. Er ging weder zur Schule noch in die Kirche, niemand war sein Herr und er brauchte niemand zu gehorchen. Im Frühling war er immer der Erste, der barfuß ging, und im Herbst der Letzte, der Schuhe anzog, und er konnte wundervoll fluchen. Kurz, er besaß alles, was das Leben eines Jungen lebenswert machen konnte. Tom rief den romantischen Außenseiter an: „He, Huckleberry!"