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„Becky Thatcher. Und du? Oh, ich weiß schon: Thomas Sawyer."

„So nennen sie mich nur, wenn sie mich prügeln. Tom heiße ich, wenn ich brav bin. Sag Tom zu mir, willst du?"

„Ja."

Wieder begann Tom, etwas auf die Tafel zu kritzeln, versteckte die Worte aber vor dem Mädchen. Diesmal war sie nicht schüchtern, sondern bat ihn, ihr das Geschriebene zu zeigen.

Tom sagte: „Oh, es ist nichts."

„Doch."

„Nein. Du willst es ja auch gar nicht sehen."

„Doch, wirklich! Bitte lass es mich sehen!"

„Du wirst es verraten."

„Nein, wirklich nicht, ganz bestimmt nicht."

Sie legte ihre Hand auf seine und es folgte ein kleines Handgemenge. Endlich ließ Tom, wenn auch nur widerstrebend, langsam seine Hand heruntergleiten, bis die Worte zum Vorschein kamen: „Ich liebe dich."

„Och, du Böser! Und sie versetzte ihm einen leichten Klaps auf die Hand, wurde aber jedenfalls rot und sah angenehm überrascht aus. Gerade in diesem Augenblick fühlte der Junge einen langsamen, verhängnisvollen Griff an seinem Ohr, der ihn nach oben zog. So wurde er unter dem Hohngelächter der ganzen Klasse durch das Zimmer gezogen und auf seinen alten Platz gesetzt. Einige schreckliche Minuten lang stand der Lehrer über ihn gebeugt, dann endlich schritt er langsam, ohne ein Wort zu sagen, seinem Thron zu. Obwohl es in Toms Ohren klingelte, jubelte sein Herz.

Als sich die Klasse wieder beruhigt hatte, machte Tom einen ernstlichen Versuch, aufmerksam zu sein, aber der Tumult in seinem Innern war zu groß.

In der Lesestunde wurde es noch ärger mit ihm. Und in der Erdkundestunde verwandelte er Seen in Berge, Berge in Flüsse und Flüsse in Erdteile, bis alles nur noch ein Durcheinander war. Bei der Rechtschreibung konnte er nicht einmal die einfachsten Wörter buchstabieren und musste deshalb die Medaille, die er für besondere Leistungen in diesem Fach erhalten und monatelang mit größtem Stolz getragen hatte, abgeben.

Tom ist verliebt

Je mehr Tom versuchte, seine Gedanken auf das Buch zu konzentrieren, desto weiter weg wanderten sie. Schließlich gab er es unter Seufzen und Gähnen auf. Es schien ihm, als ob der Mittag niemals kommen wollte. Die Luft stand fast still. Kein Windchen wehte. Es war der schläfrigste aller schläfrigen Tage.

Tom sehnte sich von Herzen nach Freiheit. Er wollte irgendetwas Ungewöhnliches tun, um die Zeit totzuschlagen. Seine Hand fuhr in die Tasche und sein Gesicht leuchtete plötzlich auf. Heimlich holte er die Käferschachtel heraus. Er befreite den Holzbock und setzte ihn auf das lange flache Pult. Dankbar wollte sich das Tierchen gerade davonmachen, als Tom es mit einer Nadel zwang, eine andere Richtung einzuschlagen.

Neben Tom saß sein bester Freund, der bis jetzt unter der Langeweile ebenso gelitten hatte wie Tom; jetzt war er sofort mit Leib und Seele an dem neuen Unterhaltungsspiel beteiligt. Dieser Freund hieß Joe Harper. Die beiden Jungen waren die ganze Woche über Verbündete und Freunde, aber an Sonnabenden die erbittertsten Gegner. Joe zog eine Nadel aus seinem Rockaufschlag und begann, Tom bei den Übungen mit dem Gefangenen zu unterstützen. Sofort wurde er lebhafter. Bald machte Tom ihn jedoch darauf aufmerksam, dass sie sich gegenseitig störten und um den vollen Genuss des Spiels brächten.

Deshalb legte er Joes Schiefertafel auf das Pult und zog einen Strich über die Mitte der Tafel.

„So", sagte er, „solange er auf deiner Seite ist, kannst du mit ihm spielen, und ich lasse dich zufrieden; wenn du ihn aber krabbeln lässt und er kommt auf meine Seite, musst du ihn in Ruhe lassen."

„Einverstanden! Fang an; lass ihn laufen."

Der Holzbock riss Tom aus und überquerte die Grenze.

Joe jagte ihn eine Weile hin und her, schließlich entkam er aber und kroch wiederum über die Grenze. Dies geschah jetzt oft. Während der eine den Holzbock mit größtem Interesse plagte, sah der andere mit der gleichen Anteilnahme zu. Die beiden Köpfe waren über die Tafel gebeugt und in ihrer Umgebung gab es nun nichts anderes mehr für sie. Schließlich schien das Glück zu Joes Gunsten zu entscheiden. Der Holzbock lief einmal in diese, dann in jene Richtung und wurde ebenso aufgeregt und ängstlich wie die Jungen. Und immer, wenn Tom glaubte, der Käfer werde auf seine Seite krabbeln, als es ihm schon in den Fingern juckte, mit dem Spiel anzufangen, drehte Joe den Holzbock sehr geschickt mit seiner Nadel um. Schließlich konnte Tom es nicht länger aushalten. Die Versuchung war zu groß und er langte mit der Nadel hinüber.

Sofort wurde Joe ärgerlich. Er sagte: „Tom, lass ihn zufrieden!"

„Hör zu, Joe Harper, wem gehört dieser Holzbock?"

„Interessiert mich nicht - er ist auf meiner Seite und du darfst ihn nicht berühren."

„Und ich tu's doch! Es ist mein Holzbock und ich kann damit tun und lassen, was ich will!"

Ein schwerer Schlag traf Toms Rücken, dann den von Joe, und für die nächsten beiden Minuten flog der Staub aus ihren beiden Jacken, zur Freude der ganzen Klasse. Sie waren zu vertieft in ihr Spiel gewesen, als dass sie plötzlich die Stille hätten bemerken können, als der Lehrer auf Zehenspitzen durch den Raum geschlichen war. Eine ganze Weile hatte er der Vorstellung zugesehen und erst dann seinen Beitrag zu dem Vergnügen gegeben.

Als am Nachmittag die Schule aus war, flog Tom auf Becky Thatcher zu und flüsterte ihr ins Ohr:

„Setz deine Mütze auf und tu so, als ob du nach Hause gingest; lass die anderen Mädchen an der Ecke weitergehen und komm durch die Wiese zurück. Ich gehe den anderen Weg und komme dir entgegen."

So machte sich der Junge mit einer Gruppe von Schülern davon, und das Mädchen mit ihren Freundinnen. Nach einer Weile trafen sich die beiden am Ende der Wiese. Als sie wieder bei der Schule ankamen, war niemand mehr da. Sie setzten sich zusammen auf eine Bank, jeder mit einer Schiefertafel vor sich. Tom gab Becky den Bleistift und hielt ihre Hand und führte sie. Als das Interesse an dieser Kunst ein wenig nachließ, begannen die beiden, sich zu unterhalten. Tom schwamm in Seligkeit. Er fragte: „Magst du Ratten?"

„Nein! Ich hasse sie!"

„Ich meine tote Ratten, die man an einem Faden um seinen Kopf kreisen lassen kann."

„Nein, ich mag sie trotzdem nicht. Was ich mag, ist Kaugummi."

„O ja, ich auch. Ich wollte, ich hätte jetzt ein Stück."

„Ja? Ich habe etwas. Ich lasse dich ein bisschen kauen, aber danach musst du es mir wiedergeben."

Tom war einverstanden, und sie kauten abwechselnd und ließen dabei zufrieden ihre Beine baumeln.

„Bist du schon mal im Zirkus gewesen?" fragte Tom.

„Ja, und Vater will mich noch mal mitnehmen, wenn ich brav bin."

„Ich bin schon vier- oder fünfmal im Zirkus gewesen. Da ist auch immer was los. Ich möchte mal Clown in einem Zirkus werden, wenn ich groß bin."

„Wirklich? Das wird aber hübsch. Ich finde Clowns so niedlich mit ihrem getupften Anzug."

„Ja und sie verdienen eine Masse Geld - die meisten einen Dollar am Tag, sagt Ben Rogers. Sag, Becky, bist du jemals verlobt gewesen?"

„Was ist das?"

„Nun, verlobt - und danach heiratet man."

„Nein."

„Möchtest du es gern?"

„Ich glaube schon. Ich weiß nicht. Wie ist es denn eigentlich?"

„Ich weiß auch nicht genau. Du musst nur einem Jungen sagen, dass du niemals einen anderen nehmen wirst, aber wirklich niemals, und dann küsst ihr euch, und das ist alles. Jeder kann es tun."

„Küssen? Warum küsst man sich?"

„Nun, das ist, weißt du, um - nun, man tut es nun mal so."

„Jeder?"

„Natürlich, alle, die sich lieb haben. Erinnerst du dich, was ich auf die Tafel geschrieben habe?"

„Ich will es nicht sagen."

„Soll ich es sagen?"

„J-ja, aber lieber ein anderes Mal."