„Ich weiß. Und weiter?“
„Normalerweise stecken sie ihre Nasen nicht in unsere Angelegenheiten.“
„Das ist auch richtig so.“
„Mitunter haben sie aber etwas zu sagen. Und wenn das so ist, dann hören wir auch zu.“
„Wollen Sie mir etwa erzählen, ich verdanke meinen Doktor einer Regierungsanfrage?“
„Mit einem Wort – ja.“
„Ich glaube Ihnen nicht. Die machen so etwas einfach nicht.“
Er zuckte die Achseln. Dann wandte er sich um und sah mich wieder an.
„Es gab einmal eine Zeit, da hätte ich das auch gesagt“, sagte er zu mir. „Aber nun weiß ich es besser.“
„Warum wollten sie es denn so haben?“
„Davon habe ich keine Ahnung.“
„Das kann ich kaum glauben.“
„Man sagte mir, der Grund sei streng vertraulich. Zudem sagte man mir, die Angelegenheit sei dringend und warf mir noch das Wort Sicherheit’ hin. Mehr erfuhr ich nicht.“
Ich blieb stehen. Ich rammte meine Hände in die Taschen. Ich fand eine Zigarette, nahm sie heraus, zündete sie an. Sie hatte einen komischen Beigeschmack.
„Es war ein Mann namens Nadler“, sagte er. „Theodore Nadler. Er ist vom Innenministerium. Er war derjenige, der mit uns Kontakt aufnahm und … die Arrangements vorschlug.“
„Ich verstehe“, sagte ich. „Haben Sie vorhin versucht, ihn anzurufen, als ich mich weigerte, die Urkunde anzunehmen?“
„Ja.“
Er sah zu seinem Schreibtisch, kam herüber, nahm sich seine Pfeife und seinen Tabaksbeutel.
„Ja“, wiederholte er, während er die Pfeife stopfte. „Er bat mich, ihn zu benachrichtigen, sobald ich Kontakt mit Ihnen aufgenommen hätte. Und da ich das ja dank Ihrer tatkräftigen Unterstützung nicht kann, möchte ich Sie bitten, ihn selbst anzurufen, wenn Sie Näheres wissen wollen.“
Er nahm die Pfeife in den Mund, beugte sich nach vorne und kritzelte eine Nummer auf seinen Block. Er riß das Blatt ab und gab es mir.
Ich nahm es, betrachtete die Nummer, steckte es in meine Tasche. Wexroth zündete seine Pfeife an.
„Und Sie wissen wirklich nicht, was er von mir will?“ fragte ich ihn.
„Ich habe keine Ahnung.“
„Nun“, sagte ich, „trotzdem geht es mir besser, seit ich Ihnen eine gescheuert habe. Wir sehen uns vor Gericht.“
Ich wandte mich zum Gehen.
„Ich glaube nicht, daß schon einmal jemand eine Universität auf Zurücknahme eines Doktortitels verklagt hat“, sagte er. „Das könnte interessant werden. Aber lassen Sie mich noch sagen, es freut mich ungemein, das Ende Ihres Schmarotzerdaseins zu sehen.“
„Sparen Sie sich die Freude“, sagte ich. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Ich werde mir etwas einfallen lassen.“
„Sie und der Fliegende Holländer“, murmelte er, kurz bevor ich die Tür zuschlug.
Ich war in die Allee hinuntergegangen, den Block entlang und dann um Merimees Haus herum. Minuten später fuhr ich mit einem Taxi in die Innenstadt. Bei einem Modegeschäft stieg ich aus, ging hinein und kaufte mir einen Mantel. Es war kalt, und ich hatte meine Jacke vergessen. Von dort aus ging ich zu Fuß zu der Halle. Ich hatte genügend Zeit, zudem wollte ich herausfinden, ob mir tatsächlich jemand folgte.
Ich verbrachte fast eine Stunde in dem großen Raum, wo sie die Rhenniusmaschine aufbewahren. Ich fragte mich, ob schon etwas von meinem nächtlichen Besuch in den Morgenzeitungen zu lesen war. Egal. Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die Bewegungen der Zuschauer, auf die Positionen der vier Wachen – vorher waren es nur zwei gewesen –, auf die Entfernungen der verschiedenen Eingänge, kurz, auf alles. Ich konnte aber nicht erkennen, ob sie das Dachfenster bereits ersetzt und ein neues Gitter angebracht hatten. Aber das war sowieso einerlei. Zweimal wollte ich denselben Trick nicht ausprobieren. Ich benötigte etwas grundlegend anderes und Schnelleres.
Nachdenklich ging ich hinaus, um mir ein belegtes Brötchen und ein Bier zu kaufen letzteres für den Fall der Anwesenheit irgendwelcher Telepathen. Während ich daran kaute und schluckte, sah ich mich um und kam zu dem Ergebnis, augenblicklich nicht das Ziel argwöhnischer Blicke zu sein. Ich fand einen freien Platz, ging hin, setzte mich und aß nach Herzenslust, wobei ich angestrengt nachdachte.
Die Idee kam mir im selben Augenblick, als mir ein kalter Luftzug von der Tür entgegenwehte. Ich wandte mich wieder meinem Brötchen zu. Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
Daher arbeitete ich den Plan aus, betrachtete ihn von den unterschiedlichsten Blickwinkeln her, bemüht, ihn noch etwas zu verbessern. Ein großer Geistesblitz war es nicht gewesen, aber er mußte genügen.
Ich überlegte mir alles gründlich, hatte dabei aber plötzlich Angst, es könnte, wegen eines Nebeneffekts des Prozesses, nicht funktionieren. Nach einem Augenblick der Frustration verdrängte ich den Gedanken und fing noch einmal von vorn an. Ich ärgerte mich über die unzähligen Kleinigkeiten, die ich wegen etwas so Nebensächlichem zu bedenken hatte.
Ich ging zur Bushaltestelle, wo ich mir einen Fahrschein nach Hause kaufte. Diesen steckte ich in meine Manteltasche. Ich kaufte mir ein Magazin und einige Kaugummis, ließ mir beides in eine Tasche tun, warf das Magazin anschließend weg, kaute den Kaugummi, behielt aber die Tasche. Als nächstes sah ich mich nach einer Bank um, fand eine, ging hinein und ließ mir mein ganzes Geld in Ein-Dollar-Scheine umwechseln, die ich in die Tasche stopfte – alles in allem einhundertfünfzehn Dollar.
Ich bahnte mir meinen Weg zurück in die Umgebung der Halle, suchte eine Reinigung., ließ meinen Mantel dort und schlüpfte wieder hinaus. Mit dem Kaugummi klebte ich den Kontrollzettel für den Mantel an die Unterseite einer Parkbank, auf der ich eine Weile saß. Dann rauchte ich eine letzte Zigarette, nach der ich zur Halle zurückging, den Beutel mit dem Geld in einer Hand, einen einzelnen Schein in der anderen.
Drinnen wartete ich, bis die Menge genau die richtige Dichte und Verteilung hatte, während ich noch einmal die Luftzüge beim Öffnen der verschiedenen Türen in mein Gedächtnis zurückrief. Ich suchte mir aus diesem Informationsmaterial den geeignetsten Ort für mein Vorgehen heraus und näherte mich diesem. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Tasche bereits an einer Seite aufgerissen und hielt sie nur mit der Hand zusammen.
Etwa fünf Minuten später schien mir die Situation dem Idealzustand sehr nahe gekommen zu sein. Die Zuschauermenge war dicht gedrängt, die Wachen waren relativ weit entfernt. Ich hörte die unvermeidliche Standardfrage: „Aber was tut sie denn?“ und die übliche Antwort: „Sie sind sich noch nicht sicher“, vermischt mit einem gelegentlichen: „Es ist eine Art von Umkehrmaschine. Sie studieren sie noch.“ Plötzlich spürte ich einen scharfen Luftzug, zudem stand ein geeigneter Mann ganz in meiner Nähe.
Ich stieß dem Burschen unsanft den Ellbogen in die Rippen. Er antwortete mit einem mittelenglischen Wortschwall – den die meisten Leute für etwas Angelsächsisches halten, aber ich habe seine Bedeutung einmal während eines Sprachkurses nachschlagen müssen und weiß daher Bescheid – und dann seinerseits mit einem Stoß.
Ich übertrieb meine Reaktion, taumelte zurück gegen einen anderen Mann, während ich es so arrangierte, daß die Tragetasche hoch über meinem Kopf auseinanderplatzte.
„Mein Geld!“ kreischte ich, dann sprang ich vorwärts und stieß gegen das Absperrseil. „Mein Geld!“
Ich ignorierte die Rufe, das Flüstern und die plötzliche Unruhe hinter mir. Natürlich hatte ich den Alarm ausgelöst, aber das hatte im Augenblick nur nebensächliche Bedeutung. Schon war ich auf der Plattform und näherte mich der Stelle, wo der Gürtel in der zentralen Einheit verschwand. Ich hoffte, er konnte mein Gewicht aushalten.
Ich vernahm ein gebelltes „Gehen Sie dort herunter!“ und konterte sofort mit einem weinerlichen „Mein Geld!“, dann warf ich mich mit ausgestreckten Armen auf den Gürtel, was, wie ich hoffte, einer greifenden, geldgierigen Gebärde sehr nahe kam, und wurde kurz darauf in die dunkle Öffnung des Mobilators getragen.