Dann, zwischen zwei Anrufen“, fuhr er fort, „wurde ich selbst angerufen. Es war ein Mann, der mich nach dem Aufenthaltsort meiner Frau fragte. Zuerst dachte ich an einen Unfall. Aber er sagte mir, sie sei wohlauf, er ließ mich sogar eine Minute mit ihr sprechen. Sie hielten sie fest. Sie hatten einen ganzen Tag gewartet, um mich weichzukochen. Nun sagten sie mir, was sie für ihre Freilassung haben wollten.“
„Natürlich den Stein.“
„Natürlich. Und natürlich glaubte er mir auch nicht, als ich ihm sagte, ich hätte ihn nicht. Sie gaben mir einen Tag Zeit zum Nachdenken, danach wollten sie wieder anrufen und mir sagen, was ich damit machen solle. Dann ließ er mich mit Mary sprechen. Sie sagte, sie sei wohlauf, doch ihre Stimme klang eingeschüchtert. Ich bat ihn, ihr nicht weh zu tun und versprach gleichzeitig, mich um den Stein zu kümmern. Dann begann ich mit der Suche. Ich durchwühlte rein alles. Kein Stein. Dann versuchte ich es bei dir. Ich habe ja noch immer den Schlüssel.“
„War jemand dort, der einen Trinkspruch auf die Queen vom Stapel ließ?“
„Nein, keine Anzeichen von deinen Besuchern. Danach suchte ich den Stein an jedem möglichen und unmöglichen Ort. Schließlich gab ich auf. Verschwunden bleibt verschwunden.“
Er schwieg. Wir folgten dem Verlauf des schmalen Gäßleins. Gelegentlich konnte ich einen flüchtigen Blick auf das Meer zu meiner Linken/seiner Rechten erhaschen.
„Und?“ fragte ich. „Was dann?“
„Er rief am nächsten Tag wieder an und fragte, ob ich ihn gefunden hätte. Ich verneinte – daraufhin drohte er, Mary zu töten. Ich flehte ihn an. Ich versprach ihm, alles zu tun …“
„Warte mal. Hast du die Polizei gerufen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Das hatte er mir schon beim ersten Gespräch verboten. Wenn ich die Polizei verständigte, hatte er gesagt, dann würde ich sie nie wiedersehen. Ich dachte natürlich daran, sie trotzdem anzurufen, aber ich hatte Angst. Wenn ich anrief und er es herausfand … dieses Risiko konnte ich einfach nicht eingehen. Was hättest du denn an meiner Stelle getan?“
„Ich weiß es nicht“, gestand ich. „Aber erzähl weiter. Was geschah dann?“
„Er fragte mich, wo du wärst, und sagte, du könntest mir möglicherweise bei der Suche helfen. .!“
„Ha! ’tschuldigung. Erzähl weiter.“
„Ich sagte ihm zum wiederholten Male, daß ich das nicht wüßte, aber auf eine Nachricht von dir wartete. Er sagte, sie wollten mir noch einen Tag Zeit geben, um entweder den Stein oder dich zu finden. Danach legte er auf. Kurz danach fielen mir die Steine in Pauls Labor ein, und ich fragte mich, ob sie noch dort sein mochten. Wenn ja, warum sollte ich dann nicht einen davon als das Original übergeben? Schließlich handelte es sich ja um ausgezeichnete Fälschungen. Der Mann, der sie gemacht hatte, war ja selbst von einer davon lange genug zum Narren gehalten worden. Später fuhr ich dann zu seinem Labor, brach das Schloß auf und ging hinein. In meiner Verzweiflung hätte ich alles versucht. Vier Stück standen noch auf dem Regal, ich nahm den mit, den du nun in Händen hältst. Ich nahm den Stein mit nach Hause. Am nächsten Morgen rief er mich wieder an – kurz vor deinem Anruf –, und ich sagte ihm, er sei in einer alten Truhe gewesen, in der ich bisher noch nicht nachgesehen hatte. Er schien mir sehr glücklich zu sein. Er ließ mich sogar mit Mary sprechen. Sie sagte, mit ihr sei immer noch alles in Ordnung. Danach erläuterte er mir, wo ich den Stein deponieren sollte und daß sie sich dort mit mir treffen und den Austausch vornehmen wollten – sie gegen den Stein.“
„Und dahin fahren wir jetzt?“
„Ja. Ich wollte dich nicht unnötig da hineinziehen, aber sie schienen der Meinung zu sein, daß du eine Kapazität bist, was den Stein angeht; daher dachte ich, nachdem du angerufen hattest, du könntest dazu beitragen, meine Geschichte glaubhafter zu machen. Sie dürfen an der Authentizität des Steins keine Zweifel hegen. Ich wollte dich wirklich nicht damit belasten, aber es geht um Leben und Tod.“
„Ja. Sie werden uns alle töten.“
Er blickte mich erstaunt an.
„Warum sollten sie? Sie bekommen, was sie wollten. Es wäre unnötig, uns zu schaden.“
„Zeugen“, sagte ich nur.
„Wovon? Ihr Wort gegen unseres, daß der Zwischenfall überhaupt je stattfand. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, keine Anzeichen oder Spuren der Entführung. Warum sollten sie diesen Status quo verletzen und eine Suchaktion starten, indem sie uns umbringen?“
„Weil die ganze Sache stinkt, darum. Wir können nicht entscheiden, was sie motivieren könnte und was nicht.“
„Was hätte ich denn sonst tun sollen? Die Polizei anrufen und das Risiko eingehen, daß sie nicht bluffen?“
„Ich sagte schon, ich weiß es nicht. Auch auf die Gefahr hin, undankbar zu klingen – aber du hättest mich aus der Sache heraushalten können.“
„Tut mir leid“, sagte er. „Das war eine spontane Entscheidung, möglicherweise die falsche. Aber ich habe dich nicht blindlings hineingezogen. Ich war dir eine Erklärung schuldig, und die habe ich dir gegeben. Wir sind noch nicht da. Noch ist Zeit, dich irgendwo abzusetzen, wenn du nicht mitkommen willst. Ich wollte dir die Wahl lassen, aber erst, nachdem ich dir die Situation erklärt hatte. Das ist nun der Fall, triff deine Entscheidung. Ich war eben in großer Eile.“
Er sah auf die Uhr.
„Wann soll denn das Treffen stattfinden?“ fragte ich.
„Es sind noch ungefähr acht Meilen, glaube ich. Ich richte mich nach den Kilometersteinen, die sie angegeben haben. Dort parken wir und warten.“
„Ich verstehe. Ich nehme an, du hast keine Stimme oder sonst etwas erkannt?“
„Nein.“
Ich sah hinab auf den Pseudostein, semiopaleszierend oder semitransparent, je nachdem, welchen Blickwinkel man einnimmt, der sehr glatt und von roten und milchigen Streifen durchzogen war. Irgendwie erinnerte er an einen fossilen Schwamm oder an einen siebenarmigen Korallenzweig, poliert und glatt wie Glas mit einer Tendenz, zu glitzern und zu funkeln. Über die ganze Oberfläche waren in unregelmäßigen Abständen schwarze und gelbe Flecken verteilt. Das Gebilde war etwa fünfzehn Zentimeter lang und maß sieben Zentimeter im Durchmesser. Es war schwerer als es aussah.
„Wirklich eine hübsche Arbeit“, gestand ich. „Ich kann ihn nicht von dem anderen unterscheiden. Ja, ich werde dich begleiten.“
„Danke.“
Wir fuhren die restlichen acht Meilen. Ich betrachtete die Landschaft und fragte mich dabei, was geschehen würde. Hal bog in eine von Reifen ausgefräste Fahrspur hinein – man konnte es beim besten Willen nicht mehr als Straße bezeichnen –, bis wir uns sehr nahe an der Küste befanden. Er parkte den Wagen an der Grenze des Marschlandes, wo er fast völlig von Bäumen verborgen wurde. Wir stiegen aus, zündeten uns Zigaretten an und warteten. Von unserem Standort konnte ich das Rauschen des Meeres hören, es riechen, schmecken. Der Boden war feucht, die Luft klamm. Ich stellte einen Fuß auf einen gefällten Baum und wandte meine ganze Aufmerksamkeit dem Tosen der Brandung und der Reflektion des Sonnenlichtes auf den Wogen zu.
Mehrere Zigaretten später sah Hal wieder auf die Uhr.
„Sie kommen zu spät“, sagte er.
Ich zuckte die Achseln.
„Wahrscheinlich beobachten sie uns irgendwo, um sicherzugehen, daß wir auch allein gekommen sind“, beruhigte ich ihn. „Das würde ich an ihrer Stelle tun. Wahrscheinlich würde ich sogar noch einen Posten bei der Straße zurücklassen.“
„Schon möglich“, sagte er. „Ich bin etwas müde. Laß uns wieder ins Auto steigen und uns hinsetzen.“
Also wandte ich mich um und sah sofort Jamie Buckler, der am Heck unseres Wagens stand und uns beobachtete. Er schien unbewaffnet zu sein, aber bisher hatte er auch noch keinen Grund, eine Waffe zu zücken. Er wußte, wir würden alles tun, was er verlangte, auch ohne zusätzliche Druckmittel. Er hatte uns in der Hand.