„Sind Sie der Anrufer?“ fragte Hal, der auf ihn zuging.
„Ja. Haben Sie ihn?“
„Geht es ihr gut?“
„Sehr gut. Haben Sie ihn dabei?“
Hal blieb stehen, wickelte den Stein aus. Er präsentierte ihn auf seiner Jacke.
„Hier.“
„Ja. Sehr schön. Bringen Sie ihn mit.“
„Wohin?“
„Nicht weit von hier. Drehen Sie sich um und wenden Sie sich in diese Richtung. Da ist ein schmaler Trampelpfad.“
Wir gingen den Weg entlang, den er uns gezeigt hatte, Jamie Buckler machte den Abschluß. Der Pfad führte durchs Unterholz weiter zum Meer hinunter. Schließlich hatte ich einen ungestörten Blick auf die nebelverhangene, schaumgekrönte See. Dann führte er wieder vom Ufer weg, schon kurz darauf hatte ich unser wahrscheinliches Ziel ausgemacht – flach, an einen niederen Hügel geschmiegt –, ein Wochenendhäuschen, das schon einmal bessere Zeiten gesehen zu haben schien.
„Die Hütte?“ fragte Hal.
„Die Hütte“, antwortete die Stimme hinter uns.
Wir gingen weiter, bis wir dort waren. Jamie ging an uns vorbei, klopfte sachte in bestimmter Folge und sagte dann: „Alles in Ordnung. Ich bin’s. Er hat ihn. Ich habe auch Cassidy mitgebracht.“
Von drinnen hörten wir ein „in Ordnung“. Danach öffnete er die Tür und wandte sich an uns. Er gestikulierte, worauf wir an ihm vorbei in die Hütte gingen.
Ich war nicht sonderlich überrascht, Morton Zeemeister zu sehen; er saß am Küchentisch, neben seiner Waffe stand eine Kaffeetasse. Am gegenüberliegenden Ende des Raumes, vor der Kochnische, saß Mary, der man anscheinend den bequemsten Stuhl überlassen hatte. Sie war zwar gefesselt, aber nur lose, eine Hand war frei; auch neben ihr stand eine Tasse Kaffee auf dem Tisch. Es gab zwei Fenster in der Eßnische und zwei im Wohnzimmer. An der Rückwand waren zwei Türen – ein Schlafzimmer und eine Toilette, nahm ich an. Das Dachgebälk war nicht durch einen Boden beziehungsweise eine Decke abgeteilt, dort oben waren Fischernetze und derlei Plunder unordentlich verstaut. Im Wohnzimmer sah ich zusätzlich noch ein Sofa, mehrere Stühle und zwei Lampen. Zudem einen offenen Kamin und einen verblichenen Wandteppich. Die Kochnische enthielt einen kleinen Ofen, einen Kühlschrank, Schränkchen und eine schwarze Katze, die sich die Pfoten leckte.
Zeemeister lächelte, als wir eintraten; erst als Hal auf Mary zurannte, hob er die Waffe.
„Kommen Sie wieder hierher“, befahl er. „Ihr geht es gut.“
„Wirklich?“ fragte Hal sie.
„Ja“, antwortete sie. „Sie haben mir nichts getan.“
Mary ist ein kleines, irgendwie flatterhaftes Mädchen, blond und unscheinbar mit für meinen Geschmack etwas zu scharf geschnittenen Zügen. Ich hatte schon befürchtet, sie mittlerweile bereits hysterisch vorzufinden. Aber abgesehen von den unvermeidbaren Streß- und Ermüdungserscheinungen schien sie eine Stabilität zu besitzen, die meine Erwartungen bei weitem übertraf. Hal hatte möglicherweise einen besseren Griff getan, als ich gedacht hatte. Ich war froh darüber.
Hal wich wieder von ihrer Seite und ging zurück zum Tisch. Ich sah hinter mich, als ich hörte, wie die Tür geschlossen wurde und das Schloß klickte. Jamie lehnte sich mit dem Rücken dagegen und starrte uns an. Er hatte seine Jacke geöffnet, ich konnte eine Pistole sehen, die er in seinem Gürtel stecken hatte.
„Geben Sie her“, sagte Zeemeister.
Hal packte den Stein aus und gab ihn hinüber.
Zeemeister schob Waffe und Tasse beiseite und stellte den Stein direkt vor sich. Er sah ihn lange an, wobei er ihn mehrmals umdrehte. Die Katze erhob sich, streckte sich und sprang vom Tisch herunter.
Danach lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, den Blick noch immer auf den Stein geheftet.
„Ihr Jungs müßt wirklich eine Menge Ärger gehabt haben …“ begann er.
„In der Tat“, stimmte Hal zu. „Wir …“
Zeemeister schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Die Tasse schepperte.
„Das ist eine Fälschung!“ brüllte er.
„Das ist der, den wir immer hatten“, versuchte ich zu widersprechen, aber Hal hatte bereits knallrote Ohren bekommen. Er war schon immer ein schlechter Lügner gewesen.
„Woher wollen Sie denn das wissen!“ tobte Hal. „Ich habe Ihnen das verdammte Ding gebracht! Es ist echt! Lassen Sie uns gehen!“
Jamie kam von der Tür herüber an Hals Seite. In diesem Augenblick sah Zeemeister auf. Er schüttelte nur einmal leicht den Kopf. Jamie blieb stehen.
„Ich bin kein Narr“, sagte er. „Ich lasse mich nicht mit einer Kopie abspeisen. Ich weiß, was ich will, und das kann ich auch erkennen. Das …“ – er machte eine fahrige Geste mit der linken Hand – „… ist es jedenfalls nicht. Und Sie wissen das ebenso gut wie ich. Die Kopie ist ausgezeichnet, daher war es kein schlechter Versuch. Aber damit haben Sie Ihren letzten Trumpf ausgespielt. Wo ist das Original?“
„Wenn es das nicht ist“, entgegnete Hal, „dann weiß ich es auch nicht.“
„Was ist mit Ihnen, Fred?“
„Das ist derjenige, den wir die ganze Zeit über hatten“, sagte ich. „Wenn das eine Fälschung ist, dann hatten wir das Original noch nie.“
„Schon gut.“
Er sprang auf die Beine.
„Gehen wir hinüber ins Wohnzimmer“, sagte er, seine Waffe aufnehmend.
Gleichzeitig zog Jamie seine eigene, also gehorchten wir.
„Ich habe keine Ahnung, wieviel Sie glauben, dafür bekommen zu können“, sagte Zeemeister. „Oder wieviel man Ihnen dafür geboten hat. Oder ob Sie ihn nicht bereits verkauft haben. Wie auch immer, Sie werden mir nun schön erzählen, wer den Stein augenblicklich hat und wer noch in diese Sache verstrickt ist. Merken Sie sich eines gut: Sie haben nichts davon, wenn Sie tot sind. Und diese Möglichkeit ist momentan ziemlich groß.“
„Sie machen einen Fehler“, sagte Hal.
„Nein. Sie haben einen gemacht, und nun müssen Unschuldige dafür leiden.“
„Was meinen Sie damit?“ fragte Hal.
„Das werden Sie gleich merken“, antwortete er. Dann: „Bleiben Sie dort stehen.“ Er deutete uns unseren Platz an. „Bewegen Sie sich nicht. Jamie, erschieß sie, sollten sie es doch tun.“
Wir blieben dort stehen, wo er hingezeigt hatte, direkt gegenüber von Mary. Er ging wieder zurück, bis er rechts neben ihr stand. Jamie ging an ihre linke Seite und blieb dort stehen.
„Was ist mit Ihnen, Fred?“ fragte Zeemeister. „Erinnern Sie sich an etwas, an das Sie sich in Australien nicht erinnerten? Vielleicht etwas, was Sie bisher nicht einmal dem armen Hal gesagt haben? Etwas, das seine Frau davor bewahren könnte, zu … Nun …“
Er holte eine Rundzange aus seiner Tasche und legte sie neben ihre Kaffeetasse. Hal sah mich an. Sie warteten darauf, daß ich etwas sagte, etwas tat. Ich sah zum Fenster hinaus und suchte weiter nach Toren in der Wüste.
Die Erscheinung kam leise aus dem dahinter liegenden Zimmer geschlichen. Hals Gesicht mußte ihnen den ersten Hinweis gegeben haben, denn ich hielt meines ganz sicher unter Kontrolle. Aber das war nebensächlich, denn sie sprach bereits, als Zeemeister den Kopf umdrehte.
„Nein!“ rief sie. Und: „Keine Bewegung! Laß das, Jamie! Eine einzige verdammte Bewegung mit der Waffe, dann werde ich dich in eine Statue von Henry Moore verwandeln! Bleibt einfach stehen!“
Es war Paul Byler. Er trug einen dunklen Mantel, sein Gesicht war hagerer und wies ein paar Kratzer mehr auf. Aber seine Hand war ruhig wie immer, er hatte eine 45er auf Zeemeister gerichtet. Der bewegte sich keinen Millimeter. Jamie wirkte unentschlossen, er sah zu Zeemeister hinüber, als erwarte er Instruktionen.
Ich seufzte, meine sämtlichen Gefühle drifteten in Richtung Erleichterung. In fairen Situationen sollte es immer einen Ausweg gegen. Den schienen wir dieses Mal wieder gefunden zu haben, wenn nur …