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Sie setzte sich neben ihn, schaute ihn unverwandt aus ihren riesigen schwarzen Augen an, die stets voller Leben und geheimnisvoller Spiegelungen waren, und fragte mit leiser Stimme: »Du machst dir Sorgen wegen dieser Männer, nicht wahr?«

»Nein, nicht ihretwegen«, antwortete er nachdenklich, »sondern wegen etwas, das sie wie ein Schatten oder ein Geruch umgibt.«

»Sie kommen von weit her, und alles, was von weit her kommt, beunruhigt dich, weil meine Großmutter vorausgesagt hat, daß du nicht in der Wüste sterben wirst.«

Mit einer scheuen Gebärde streckte sie ihre Hand aus und berührte leicht die seine.

»Meine Großmutter hat sich oft getäuscht«, fuhr sie fort. »Bei meiner Geburt prophezeite sie mir eine düstere Zukunft, aber dann wurde ich die Frau eines Edlen, fast eines Fürsten.«

Gacel lächelte sie zärtlich an. »Ich erinnere mich an deine Geburt«, sagte er. »Es kann nicht viel länger als fünfzehn Jahre her sein… Deine Zukunft hat kaum begonnen…«

Es schmerzte ihn, sie traurig gemacht zu haben, denn er liebte sie. Als amahar durfte er sich zwar Frauen gegenüber nicht allzu weich zeigen, aber immerhin war sie die Mutter des letzten seiner Söhne. Deshalb öffnete er jetzt die Faust und umschloß ihre Hand mit der seinen.

»Vielleicht hast du recht, und die alte Khaltoum hat sich geirrt«, meinte er. »Niemand kann mich zwingen, die Wüste zu verlassen und in der Ferne zu sterben.«

Sie schwiegen lange und ließen die Stille der Nacht auf sich wirken. Gacel fühlte, wie ihn erneut ein Gefühl des Friedens durchströmte.

Gewiß, die dunkelhäutige Khaltoum hatte ein Jahr im voraus die Krankheit prophezeit, die dann seinen Vater unter die Erde brachte. Sie hatte auch die große Dürre vorausgesagt, die die Brunnen versiegen und jeden Grashalm in der Wüste verdorren ließ, so daß Hunderte von Tieren starben, obwohl sie von Anbeginn an Durst und Trockenheit gewöhnt waren. Die alte Sklavin redete aber auch oftmals um des Redens willen, und ihre Visionen schienen häufig eher die Ausgeburt eines greisen Gehirns als echte Vorahnungen zu sein.

»Wer lebt am anderen Ende der Wüste?« brach Laila schließlich das lange Schweigen. »Ich bin noch nie über die Berge von Huaila hinausgekommen.«

»Menschen, viele Menschen«, antwortete Gacel. Er dachte über seine Erlebnisse in El-Akab und in den Oasen des Nordens nach. Kopfschüttelnd fuhr er fort: »Dort gefällt es den Menschen, sich auf engstem Raum zusammenzuscharen oder in engen, übelriechenden Häusern zu wohnen. Sie machen viel Lärm und schreien sich grundlos an, sie bestehlen und betrügen sich und sind wie Tiere, die nur in einer Herde leben können.«

»Warum?«

Gern hätte er eine Antwort darauf gegeben, denn Lailas Bewunderung für ihn erfüllte ihn mit Stolz. Aber er wußte keine. Er war ein amahar, geboren und aufgewachsen in der Einsamkeit dieses großen, leeren Landes. Mochte er sich noch so sehr den Kopf zerbrechen, so konnte er dennoch nicht begreifen, was die vielen Menschen zueinandertrieb und was es mit jenem Herdentrieb auf sich hatte, dem die Männer und Frauen anderer Stämme offenbar so bereitwillig nachgaben.

Gacel bewirtete mit Freuden alle seine Besucher und liebte es, mit anderen Menschen rund um ein Feuer zu sitzen, alte Geschichten zu erzählen und die kleinen Vorkommnisse des Alltags zu besprechen. Doch später, wenn die Glut langsam erlosch und das schwarze Kamel, das auf seinem Rücken den Schlaf herbeibrachte, lautlos und unsichtbar durch das Zeltlager schritt, begab sich ein jeder zu seinem abseits gelegenen Zelt, um mit sich allein zu sein, in tiefen Zügen zu atmen und sich an der Stille zu erfreuen.

In der Sahara hatte jeder Mensch die Zeit, den Frieden und die geeigneten Lebensumstände, um zu sich selbst finden zu können. Er konnte den Blick auf die Ferne, aber auch auf sein Inneres richten, die ihn umgebende Natur betrachten und über all die Dinge nachdenken, die er nur aus den heiligen Büchern kannte. In den fernen Städten hingegen, in den Dörfern und sogar in den winzigen Berbersiedlungen gab es keinen Frieden, keine Zeit und keine Weite. Dort betäubten sich die Menschen mit Lärm und unnötigen Problemen, sie zankten sich untereinander und stritten mit Fremden, so daß man immer den Eindruck hatte, daß es im Leben jener Menschen viel bedeutsamere Dinge gab als alles, was einem selbst wichtig war.

»Ich weiß es nicht«, gab Gacel schließlich widerwillig zu. »Ich habe nie herausgefunden, warum sich die Menschen so verhalten, warum sie so eng beieinander leben und voneinander abhängig sind… Ich weiß es nicht…«, sagte er noch einmal. »Und ich habe auch noch niemanden getroffen, der es mir genau erklären konnte.«

Das Mädchen betrachtete ihn lange. Vielleicht staunte sie darüber, daß der Mann, der ihr ganzes Leben bestimmte und von dem sie alles gelernt hatte, was sich im Leben zu wissen lohnte, auf eine ihrer Fragen keine Antwort wußte. Soweit sie zurückdenken konnte, war Gacel immer alles für sie gewesen: zuerst der Herr, der für sie, das Kind von iklan-Sklaven, fast so etwas wie ein Gott war, und dem nicht nur sie mit Leib und Leben gehörte, sondern auch ihre Eltern, ihre Brüder, deren Vieh und alles andere, woraus ihre Welt bestand. Später, als sie heranwuchs und zum ersten Mal ihre Regel hatte, war er es gewesen, der sie eines Tages zur Frau machte. Er hatte sie zu sich in sein Zelt gerufen und sie genommen, bis sie vor Lust stöhnte, ähnlich wie die anderen Sklavinnen, wenn nachts der Ostwind wehte. Bald war er ihr Geliebter geworden, der ihr wie im Flug das Paradies eröffnete. Nun war er wirklich ihr Herr, dem sie nicht nur als Sklavin gehörte, denn jetzt besaß er auch ihre Seele und wohnte in ihren Gedanken. Er erweckte in ihr geheime Wünsche und nie gekannte Instinkte.

Sie sagte lange nichts, aber als sie gerade sprechen wollte, wurde sie durch das Erscheinen des ältesten Sohnes ihres Gatten daran gehindert. Er kam von der am weitest entfernten seriba auf sie zugelaufen.

»Die Kamelstute wird bald werfen, Vater!« rief er. »Und die Schakale machen die Runde…«

4. Kapitel

Er begriff sofort, daß das Gespenst seiner Furcht greifbare Formen annahm, als er am Horizont eine Staubwolke erblickte, die wie eine Säule in den Himmel ragte und dort lange reglos verharrte, denn um diese mittägliche Stunde strich nicht der leiseste Windhauch über die endlose Ebene. Die Fahrzeuge — denn um mechanische Fahrzeuge mußte es sich handeln, sonst wären sie nicht so schnell näher gekommen — zogen in der glasklaren Luft der Wüste einen schmutzigen Schweif aus Qualm und Staub hinter sich her.

Bald wurde aus dem entfernten Brummen der Motoren ein lautes Dröhnen, das die Skorpione, die Wüstenfüchse und die Schlangen erschreckte. Schließlich war auch das Kreischen von Bremsen zu hören, und wütende Stimmen bellten Befehle, nachdem die Fahrzeuge fünfzehn Schritte vom Zeltlager entfernt in einer Wolke aus Schmutz und Staub zum Stehen gekommen waren. Bei ihrem Anblick erstarrte alles, was lebte und sich bewegte, zur Reglosigkeit. Die Augen des Targi, seiner Frau, seiner Söhne, seiner Sklaven und sogar seiner Tiere waren unverwandt auf die Säule aus Staub und auf die mechanischen, dunkelbraunen Monster gerichtet.

Furchtsam wichen die Kinder und die Tiere davor zurück, während die Sklavinnen sich eilig im hintersten Winkel ihrer Zelte verkrochen, um sich den Blicken der Fremdlinge zu entziehen.

Gacel trat ohne Hast vor. Er zog den Schleier vors Gesicht, wie es ihm als edlem Targi, der die Überlieferungen achtete, geziemte. Auf halbem Weg zwischen den Ankömmlingen und der größten khaima blieb er stehen und machte dadurch wortlos klar, daß die Fremdlinge erst näher treten durften, wenn er es ihnen gestattete und sie als seine Gäste aufnahm.

Als erstes fiel ihm das schmutzige Grau der staubigen, verschwitzten Umformen auf, dann die stählerne Feindseligkeit der Karabiner und Maschinengewehre und schließlich der widerwärtige Geruch, der den Stiefeln und Lederriemen entströmte.