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»Mich bringen lassen? Von dem Wirt hier?« fragte Warja furchtsam. »Aber das Dorf ist doch muselmanisch?«

»Ja.«

»Die würden mich an die Türken ausliefern.«

»Ich will Sie ja nicht beleidigen, Warwara Andrejewna, aber für die Türken sind Sie gänzlich uninteressant, und von ihrem B-bräutigam hätte der Wirt eine Belohnung bekommen.«

»Ich gehe lieber mit Ihnen«, flehte Warja, »bitte!«

»Ich habe nur eine alte Mähre, die schon halbtot ist. Auf der können keine zwei sitzen. An G-geld habe ich drei Kurus (*Kurus - türkisches Pfund). Für Wein und Käse reicht das, aber für mehr nicht. Wir brauchen noch ein Pferd oder wenigstens einen Esel. Das kostet mindestens hundert.«

Warjas neuer Bekannter verstummte, überlegte etwas, drehte sich nach den Würfelspielern um. Wieder holte er tief Luft.

»Warten Sie hier. Ich komme gleich wieder.«

Er ging langsam zu den Spielern, stand fünf Minuten am Tisch und sah zu. Dann sagte er etwas (Warja verstand es nicht), worauf alle das Würfeln einstellten und sich ihm zuwandten. Fandorin zeigte auf Warja, und sie rutschte auf der Bank hin und her unter den auf sie gerichteten Blicken. Plötzlich dröhnte Gelächter, es klang zotig und für Warja beleidigend, aber Fandorin dachte nicht daran, für die Ehre der Dame einzustehen. Statt dessen drückte er einem schnauzbärtigen Dickwanst die Hand und setzte sich auf die Bank. Die anderen rückten beiseite, und um den Tisch sammelte sich ein Häuflein Neugieriger.

Offenbar hatte sich der Freiwillige ein Spiel ausgedacht. Aber mit was für Geld? Mit seinen drei Kurus? Da würde er lange spielen müssen, um ein Pferd zu gewinnen. Warja war voller Unruhe, sie hatte sich einem Menschen anvertraut, den sie überhaupt nicht kannte. Er sah sonderbar aus, sprach sonderbar, handelte sonderbar. Andererseits, hatte sie eine Wahl?

Die Menge der Gaffer lärmte los - der Dicke hatte geworfen. Dann klapperte es noch einmal, und die Wände erbebten von dem allgemeinen Geheul.

»Z-zwölf«, sagte Fandorin ruhig und stand auf. »Wo ist der Esel?«

Der Dicke war auch aufgesprungen, er packte den Freiwilligen am Ärmel und redete, mit den Augen rollend, hastig auf ihn ein.

»Noch einmal, noch einmal!« rief er immer wieder.

Fandorin nickte entschlossen, aber seine Nachgiebigkeit stellte den Verlierer nicht zufrieden. Der brüllte immer lauter und fuchtelte mit den Armen. Fandorin nickte wieder, noch entschlossener, da entsann sich Warja der bulgarischen Paradoxie: Nicken bedeutete »nein«.

Nun wollte der Verlierer von Worten zu Tätlichkeiten übergehen - er holte weit aus, die Gaffer prallten auseinander, aber Fandorin rührte sich nicht, nur seine Rechte war wie von selbst in die Tasche geschlüpft. Das war ganz unauffällig geschehen, doch auf den Dicken hatte es eine magische Wirkung. Er sank in sich zusammen, schluchzte auf und brummelte kläglich. Diesmal schüttelte Fandorin den Kopf, warf dem Wirt ein paar Münzen zu und wandte sich zum Ausgang. Warja würdigte er keines Blicks, aber sie brauchte keine Einladung, sie sprang auf und war im Nu an der Seite ihres Retters.

»Der zweite von li-links«, sagte Fandorin mit konzentriertem Blick, er war auf der Vortreppe stehengeblieben.

Warja folgte seinem Blick und sah an der Anbindestange eine ganze Reihe Pferde, Esel und Maultiere, die friedlich Heu mampften.

»Da ist er, Ihr B-bukephalos.« Fandorin zeigte auf ein Eselchen mit dunklem Fell. »Schön ist er nicht, dafür fällt man nicht so tief.«

»Haben Sie den gewonnen?«

Fandorin nickte schweigend, während er seine magere graue Stute losband.

Er half seiner Begleiterin in den Holzsattel, schwang sich geschickt auf seine Schimmelstute, dann ritten sie hinaus auf die Dorfstraße, die im grellen Schein der Mittagssonne lag.

»Wie weit ist es bis Zarewizy ?« fragte Warja, die im Rhythmus der Trippelschritte ihres zottigen Transportmittels durchgerüttelt wurde.

»Wenn wir uns nicht v-verirren, sind wir zur Nacht dort«, antwortete der Reiter majestätisch von oben herab.

Die Gefangenschaft hat ihn ganz türkifiziert, dachte Warja ärgerlich. Er hätte das Pferd ja auch der Dame geben können. Typisch männlicher Narzißmus. Pfau! Enterich! Hauptsache, sich vor dem grauen Entlein dicketun. Ich sehe schon komisch genug aus, und nun soll ich auch noch den Sancho Pansa machen beim Ritter von der Traurigen Gestalt.

»Was haben Sie in der Tasche?« fragte sie in der Erinnerung an seine Handbewegung. »Eine Pistole?« Fandorin wunderte sich.

»In welcher Tasche? Ach so, in der T-tasche. Leider gar nichts.«

»Und wenn er nicht weich geworden wäre?«

»Mit einem, der nicht weich wird, hätte ich nicht gespielt.«

»Aber wie konnten Sie den Esel mit einem einzigen Spiel gewinnen?« fragte Warja neugierig. »Der Mann wird den Esel ja nicht gegen Ihre drei Kurus gesetzt haben?«

»Natürlich nicht.«

»Um was haben Sie also gespielt?«

»Um Sie«, antwortete Fandorin kaltblütig. »Mädchen gegen Esel, das ist ein vorteilhafter Einsatz. Verzeihen Sie großmütig, Warwara Andrejewna, aber es gab keinen anderen Ausweg.«

»Verzeihen?« Warja wäre fast vom Esel gerutscht. »Und wenn Sie verloren hätten?«

»Wissen Sie, Warwara Andrejewna, ich habe eine sonderbare Eigenschaft. Ich kann Glücksspiele nicht ausstehen, aber wenn ich spielen muß, gewinne ich unweigerlich. Les caprices de la fortune! (* (franz.) Die Launen des Glücks.) Ich habe ja auch meine Freiheit dem Pascha von Widin im Nardy- Spiel abgewonnen.«

Sie wußte nicht, was sie zu diesem Leichtsinn sagen sollte, und beschloß, tödlich beleidigt zu sein. Darum ritten sie schweigend weiter.

Warjas Sattel war ein Folterinstrument, das ihr eine Masse Unbequemlichkeiten bereitete, aber sie hielt tapfer aus und wechselte nur von Zeit zu Zeit ihren Schwerpunkt.

»Hart?« fragte Fandorin. »Wollen Sie meine W-weste unterlegen?«

Warja gab keine Antwort, denn erstens dünkte dieses Angebot sie nicht recht schicklich, und zweitens aus Prinzip.

Der Weg schlängelte sich zwischen flachen bewaldeten Hügeln hindurch und senkte sich dann hinunter in eine Ebene. Die ganze Zeit war den beiden Reisenden niemand entgegengekommen, und das beunruhigte Warja allmählich. Sie warf ab und an Seitenblicke auf Fandorin, aber dieser Holzklotz blieb unerschütterlich und knüpfte kein Gespräch an.

Schön würde sie aussehen, wenn sie in dieser Aufmachung nach Zarewizy käme. Nun, Petja würde es wohl egal sein, von ihm aus könnte sie Sackleinwand tragen, er würde es gar nicht wahrnehmen, aber dort war der Stab. Und sie wie eine Vogelscheuche ... Warja nahm die Schapka ab, fuhr mit der Hand durchs Haar und war nun vollends verdrossen. Ihr Haar, ohnehin nicht besonders schön, matt und mausgrau, war von der Maskerade ganz zerstrobelt und zottelig. Gewaschen hatte sie es zum letztenmal vor drei Tagen in Bukarest. Nein, dann schon lieber mit der Schapka. Diese Kleidung eines bulgarischen Bauern war gar nicht schlecht, war praktisch und auf eigene Weise wirkungsvoll. Die Pluderhose erinnerte an die berühmten »Bloomers«, in denen seinerzeit die englischen Suffragetten herumgelaufen waren, aus Protest gegen die albernen und demütigenden langen Damenunterhosen und die Unterröcke. Wenn sie einen breiten roten Gürtel um die Taille schlänge wie in der »Entführung aus dem Serail« (sie hatte die Oper im letzten Herbst mit Petja im Marientheater gesehen), sähe es sogar malerisch aus.

Plötzlich wurden Warjas Betrachtungen aufs rücksichtsloseste unterbrochen. Fandorin beugte sich herab und packte den Esel am Zügel, und das dumme Tier blieb so ruckartig stehen, daß Warja beinahe über den langohrigen Kopf hinweggeflogen wäre.

»Was soll das, sind Sie von Sinnen?«

»Schweigen Sie jetzt, was auch geschieht, sagte Fandorin halblaut und sehr ernst und blickte geradeaus.

Warja hob den Kopf und sah einen formlosen Reitertrupp, an die zwanzig Mann, in eine Staubwolke gehüllt, ihnen entgegensprengen. Sie sah zottige Schapkas, Sonnenfünkchen spielten auf den Patronenfutteralen an den Tscherkessenröcken, auf dem Zaumzeug und den Waffen. Einer ritt an der Spitze, um seine Pelzmütze war ein grünes Tuch geschlungen.