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»Und wenn ich mich weigere?«

»Oh … Das wäre recht schwierig …« Er sprach nicht weiter.

Dann griff er in sein Gewand und zog aus einem Lederbeutel einen Gegenstand heraus.

»Mein Auftraggeber bat mich, Euch das hier zu zeigen.«

Es war ein Spielzeug. Ein Mann aus Holz und ein riesiger Hund mit weit aufgerissenen roten Augen, die mit Schnüren und Rollen bedient wurden. Sie waren an einem Holzstift befestigt, einem Aufhänger. Ich wusste, wenn man den drehte, hob der Mann die Arme, um sich gegen den hölzernen Hund zu wehren, der sich zeitgleich erhob, um ihn anzugreifen. Ich wusste das, weil ich dieses Spielzeug schon einmal gesehen hatte, vor vielen Jahren, im Kinderzimmer der königlichen Familie. Als die junge Königin, die man heute mit Blut besudelt hatte, noch ein kleines Mädchen gewesen war.

In der Küche erklärte ich Tanefert das Ganze. Sofort krochen die Mädchen aus ihrem Zimmer und versammelten sich im sicheren Kreis des Lampenscheins.

»Wer ist dieser Mann?«, wollte Thuju wissen.

»Er ist ein hoher Beamter.«

»Ein hoher Beamter von was?«, wisperte Sekhmet, die begeistert davon war, dass ein echter Spitzenmann der Elite in unser Haus gekommen war.

Tanefert brachte sie alle mit einem Sch! zum Schweigen und überredete sie, wieder in ihr Zimmer zu gehen. Nedjmet, die Süße, stand da und sah mich kaum einmal an. Ich hob sie hoch, küsste sie und versprach ihr, rechtzeitig zum Frühstück zurück zu sein.

»Wohin gehst du denn? Es ist dunkel draußen.«

»Ich treffe mich mit jemandem.«

»Musst du arbeiten?«

»Ja. Ich muss arbeiten.«

Ernst nickte sie, und ich reichte sie an Tanefert weiter, die mich neuerlich mit einem ihrer tadelnden Blicke bedachte.

»Ich werde Thot hierlassen, damit er euch bewacht.«

Sanft küsste sie mich und zog sich in unsere Schlafkammer zurück.

Wir erreichten den Hafen, die Stelle, an der die Fähren an- und ablegen. Tagsüber ist hier alles voller Boote und Schiffe jedweder Größe, von kleinen Schilfbooten und Passagierfähren bis hin zu den großen Handelsschiffen des Königreiches und den Steintransportern. Die Wirtschaft, die dafür sorgt, dass die Stadt blüht und gedeiht, reich bleibt und stets mit Luxusgütern, Baumaterialien und Lebensmitteln versorgt ist, hat hier ihre zentrale Basis. Hier werden geschäftliche Transaktionen besiegelt oder zerschlagen sich, hier werden Waren importiert oder eingeschmuggelt. In der Nacht herrscht indes Ruhe. Während der Nachtstunden wird kein Handel getrieben, weil es so gefährlich ist, nach Einbruch der Dunkelheit über den Großen Fluss zu segeln. Krokodile schwimmen unsichtbar umher und greifen im Schutz der Strömung und Strudel des schwarzen Wassers an.

Um das technisch hochentwickelte und elegante Boot, das wir bestiegen, zum Kentern zu bringen, hätte es allerdings eines ganzes Rudels von Krokodilen bedurft. Wir ließen uns in der von einem Vorhang abgeteilten Kabine nieder und brachten die kurze Überfahrt hinter uns, ohne ein Wort zu wechseln. Khay offerierte mir weiteren Wein, den ich ablehnte. Er zuckte mit den Achseln, goss sich selbst welchen ein und setzte sich, um ihn zu trinken. Ich beschäftigte mich mit dem Spielzeug, drehte an dem Aufhänger, damit der Hund mit den roten Reißzähnen und den gezackten Nackenhaaren aus grob ausgesägtem Holz den Mann immer und immer wieder ansprang. Und ich erinnerte mich an das kleine Mädchen, das vor vielen Jahren zu mir gesagt hatte: Guck mal! Das bist du …! Ich hatte allerdings nicht vor, die verschlossene Kiste zu öffnen, die diese Erinnerungen enthielt. Noch nicht. Während wir auf das Westufer zufuhren, schaute ich auf die flachen Dächer und weißen Mauern von Theben, die im Mondlicht leuchteten. Das Gros der vielen Menschen, die in der Stadt lebten, schlief um diese Uhrzeit, um am Morgen zu ihrer niemals endenden körperlichen Schwerstarbeit zurückkehren zu können. Nur die Reichen und Freien waren jetzt noch wach und feierten ihre privaten Feste, bei denen sie ihren Wein tranken und sich amüsierten, über die Ereignisse des vergangenen Tages tratschten, über Politik und deren Konsequenzen.

Wir legten nicht direkt am Westufer an. Stattdessen fuhren wir weiter, vorüber an den Wachposten am Ufer und dann hinein in einen langen, dunklen Kanal, der zwischen den Bäumen und Feldern verlief, in denen sich jetzt die Tiere der Nacht tummelten. Der Kanal, der in einer so schnurgeraden Linie gebaut worden war, wie Ingenieure das lieben, öffnete sich plötzlich in das gewaltige T-förmige Becken des Birket Habu. Schwärme von Nachtvögeln kabbelten sich auf seiner glatten, reglosen Oberfläche. In den Fels gehauene Rampen, die den angrenzenden Gebäudekomplex vor Überflutung schützten, versperrten die Sicht auf die Landschaft. Ich wusste aber, was sich hinter diesen Wällen verbarg: Malqata, eine gewaltige Palastanlage, in der die königliche Familie ihre streng bewachten königlichen Gemächer bewohnte und zu Tausenden Beamte, Soldaten und Diener lebten und arbeiteten, um dieser ihr seltsames Leben zu ermöglichen. Der Palast war bekannt unter dem Namen »Haus des Jubels«, nur hatte das finstere Gemäuer, das sich allmählich vor uns auftat, wenig an sich, was einen derart optimistischen Namen gerechtfertigt hätte. Der Palast war berühmt für seine Ausschmückung und das viele Geld, das seine Erbauung unter Tutanchamuns Großvater gekostet hatte, sowie für sein beeindruckendes Bewässerungssystem, das, wie gemunkelt wurde, sogar Badezimmer, künstliche Teiche und Gärten im Herzen des Palastgeländes mit Wasser versorgte. Es hieß, die Betten seien mit Ebenholz, Gold und Silber intarsiert. Es hieß, die Türrahmen seien aus purem Gold. Die Leute, die derartige Dinge über Traumpaläste behaupten, sind Menschen, die diese Paläste niemals von innen sehen werden.

Wir legten an dem riesigen Anlegesteg an, der sich an der gesamten Frontseite des Sees entlangzog. In Kupferschalen, die auf schmiedeeisernen Ständern ruhten, brannte Öl und verbreitete ein düsteres, unheilvoll gelb-orangefarbenes Licht. Die Palastwachen verbeugten sich tief, als Khay und ich vom Boot stiegen. Die Tiefe der Verbeugung war ein deutlicher Hinweis darauf, welches Ansehen dieser Mann hier genoss. Und wie es hochrangigen Männern seiner Art eigen ist, ignorierte er ihrer aller Anwesenheit völlig.

Über einen langen Prozessionsweg, der von Lampen und dem angenehm vertrauten Mond erleuchtet wurde, liefen wir auf die lang gezogenen und flachen Umrisse des Palastkomplexes zu, und dann – mein Herz wurde getrieben von dem Rätsel, das mich erwartete, meine Füße trieb die Unumgänglichkeit voran – traten wir ein in große Düsternis.

6

Der Vorsteher des Königlichen Haushalts hob eine brennende Öllampe aus einer der Wandnischen. Das gesamte Umfeld wirkte gedämpft, edel geschmückt und abgeschieden von der Außenwelt. Überall auf dem Korridor, durch den wir schnellen Schrittes gingen, standen auf Sockeln wunderschöne Statuen und Reliefs. Ich fragte mich, was sich in den vielen abgehenden Zimmern abspielte: Welche Treffen fanden dort statt? Welche Unterredungen? Welche Beschlüsse wurden dort getroffen, und wie weitreichend waren die Folgen dieser Beschlüsse der Führungsschicht für die ahnungslose und machtlose Welt da draußen? Wir liefen weiter, bogen immer mal wieder nach rechts oder nach links ab und kamen durch hohe, hallende Hallen, wo hie und da Höflinge in Grüppchen beieinanderstanden und sich beratschlagten sowie Wachen aufgestellt waren. Tiefer und tiefer führte uns unser Weg in den Palast. Er war ein Labyrinth aus Schatten. Manchmal kam uns ein Diener oder ein Wachsoldat entgegen. Alle hielten sie die Köpfe tief gesenkt, taten so, als würde es sie überhaupt nicht geben, und kümmerten sich um das Licht der Öllampen.