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Gemächer über Gemächer mit Wänden, die mit grandiosen Szenen höchster Wonne und Muße bemalt waren – Vögel in den Schilfsümpfen, Fische in den klaren Wassern –, tauchten im Licht der Lampe auf und verschwanden wieder. Es wäre mir schwergefallen, hier wieder herauszufinden. Meine Schritte passten auch überhaupt nicht hierher – sie störten die enorme Stille. Khay lief auf seinen teuren, leisen Sandalen voraus. Ich beschloss, mehr Lärm zu machen, einfach nur, um ihm damit auf die Nerven zu gehen. Er weigerte sich, mein Benehmen auch nur mit einem Blick nach hinten zu kommentieren. Doch so seltsam es auch ist: Es stimmt, dass wir den Gesichtsausdruck eines Menschen an seinem Hinterkopf ablesen können.

Rasch passierten wir einen Kontrollpunkt, indem Khay die Elite-Einheiten, die vor den königlichen Gemächern Wache standen, einfach wegwedelte, und dann führte er mich durch einen weiteren Korridor ins Allerheiligste, wo wir schließlich vor einer riesengroßen Doppeltür stehen blieben. Darüber war ein Relief, das einen geflügelten Skarabäus zeigte, und die Tür selbst war aus dunklem Holz gefertigt und mit Intarsien aus Silber und Gold verziert. Er klopfte, und nach einem Moment der Stille schwangen die Türen auf, und wir wurden in ein großes Gemach geführt.

Prachtvolle Flächen und Möbel wurden von großen gehämmerten Schalen illuminiert, die überall an den Wänden standen und deren Flammen sehr leise brannten und ein klares Licht verströmten. Die Einrichtung und die Dekoration waren auf perfekte Weise zurückhaltend. Hier, schien der Raum zu sagen, konnte man in Ruhe sein Leben leben und sich wohlfühlen. Trotzdem hatte das Ganze aber auch etwas von einem Bühnenbild: Als müsse man damit rechnen, hinter den spektakulären Fassaden Schutt, Anstreicherpinsel und unfertige Arbeiten zu entdecken.

Durch die offenstehenden Türen, die nach draußen auf die Terrasse führten, trat leise eine junge Frau in den Raum und blieb auf der Türschwelle stehen – zwischen dem Licht des Feuers aus den großen Schalen und der Dunkelheit, die alles umgab. Sie schien von beidem ein wenig in sich zu tragen. Im nächsten Moment trat Anchesenamun ins Licht und kam näher. Ihre Züge hatten trotz ihrer jugendlichen Schönheit etwas bezaubernd Selbstbewusstes. Sie trug eine modische geflochtene Perücke, die glänzte und ihr Gesicht umrahmte, ein plissiertes Leinengewand, das unter der rechten Brust geknotet war und dessen fließender Schnitt ihre elegante und hübsche Figur unterstrich, und eine breite Goldkette aus mehreren Reihen mit Anhängern und Perlen. Bei jeder Bewegung klimperten die Reifen und Bänder, die an ihren Hand- und Fußgelenken baumelten. Ringe aus Gold und Elektron blitzten an ihren zarten Fingern. Ohrringe, die die Form goldener Scheiben hatten, funkelten im Lampenschein. Sie hatte sich die Augen sorgfältig mit Kajalstift ummalt und die schwarzen Linien auf etwas altmodische Weise weit nach außen gezogen. Als sie mich ansah, legte sich der Anflug eines Lächelns auf ihre Lippen, und ich begriff, dass sie sich bewusst so zurechtgemacht hatte, um ihrer Mutter ähnlich zu sehen.

Khay verneigte sich, und ich tat es ihm gleich und wartete dann, wie die Etikette es gebot, bis sie das Gespräch begann.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an dich erinnere oder ob das, woran ich mich erinnere, aus Geschichten stammt, die man mir erzählt hat.«

Selbstbeherrschung und Neugier schwangen in ihrer Stimme.

»Leben, Wohlstand und Gesundheit. Ihr wart noch sehr jung, Euer Majestät.«

»In einem anderen Leben. Einer anderen Welt. Vielleicht.«

»Vieles hat sich verändert«, sagte ich.

»Schau auf«, sagte sie ruhig, und dann schlug sie geheimnisvoll ihre dunklen Augen nieder, drehte sich um und erwartete, dass ich ihr nach draußen folgte.

Wir gingen auf die Terrasse. Khay entfernte sich nicht, sondern folgte uns in diskretem Abstand, sodass er uns zwar immer noch hören, aber auch vorgeben konnte, er würde genau das nicht tun. Irgendwo in der Dunkelheit plätscherte ein Brunnen. Die Luft war kühl und duftete. Über einen Zierweg, der von weiteren flackernden Lampen erleuchtet wurde, lief sie immer tiefer in die mondhelle Dunkelheit.

Ich erinnerte mich an das Mädchen, dem ich vor Jahren begegnet war: ein launisches und frustriertes kleines Ding. Und hier stand jetzt eine elegante, makellose, junge Frau. Die Zeit schien mich zu verhöhnen. Wo waren die Jahre geblieben? Vielleicht war sie sehr schnell erwachsen geworden, allzu plötzlich, wie es Menschen widerfährt, die in der Jugend verheerende Veränderungen durchmachen müssen. Ich dachte an meine eigenen Töchter, daran, wie ungezwungen sie mit den Veränderungen in ihrem Leben umgingen. Dank der Gnade der Schicksalsgötter brauchten sie weder eine Taktik noch ein bestimmtes Auftreten. Aber auch sie wurden erwachsen, wuchsen in ihre eigene Zukunft hinein.

»Du erinnerst dich also an mich«, sagte sie leise, während wir dahinschritten.

»Damals hattet Ihr einen anderen Namen«, erwiderte ich vorsichtig.

Sie drehte den Kopf zur Seite.

»Was das anging, hatte ich nur wenig Mitspracherecht. Ich war ein tollpatschiges, unzufriedenes Kind, keine richtige Prinzessin. Im Gegensatz zu meinen Schwestern. Doch da die nun alle tot sind, muss ich jetzt noch sehr viel mehr sein. Man hat mir ein völlig neues Ansehen verschafft, nur habe ich mich bisher vielleicht noch nie so richtig würdig gefühlt, die Rolle zu füllen, die man mir – zugeteilt hat. Ist das das richtige Wort? Oder ist das die Rolle, die mir bestimmt war?«

Es hörte sich an, als spreche sie über eine fremde Person und nicht über sich selbst.

Wir erreichten ein langes Wasserbecken in der Mitte des Innenhofes. An den vier Ecken hatte man Öllampen aufgestellt, und der Mond spiegelte sich in dem schwarzen Wasser, das wie im Traum säuselte. Der Ort hatte etwas Romantisches und Geheimnisvolles. Wir schlenderten am Rand des Beckens entlang. Und dabei hatte ich irgendwie das Gefühl, als bewegten wir uns auf den Kern der Sache zu.

»Meine Mutter hat immer gesagt, dass ich nach dir schicken soll, falls ich mich je in ernster Gefahr befinde. Sie versprach mir, dass du dann kommen würdest.«

»Und hier bin ich«, antwortete ich ruhig. Die Erinnerung an ihre Mutter hatte ich in einer Kiste im hintersten Winkel meines Hirns versteckt. Sie war zu gewaltig und zu hoffnungslos, als dass ich etwas anderes damit hätte tun können. Und die Tatsache, dass sie jetzt tot war, änderte nichts daran, denn die Frau lebte an einem Ort weiter, an dem ich keine Kontrolle über sie hatte: in meinen Träumen.

»Und da Ihr jetzt nach mir geschickt habt und ich hier bin, müsst Ihr Euch in ernster Gefahr befinden.«

Ein Fisch durchbrach die spiegelglatte Wasserfläche, und es bildeten sich konzentrische Ringe, die das Wasser leise an den Rand des Beckens plätschern ließen. Das Bild des Mondes zersplitterte und fügte sich langsam wieder zusammen.

»Mich beunruhigen Zeichen. Böse Omen …«

»Ich glaube nicht groß an Zeichen und böse Omen.«

»Das habe ich gehört, und das ist wichtig. Wir sind allzu leicht verängstigt, mein Gemahl und ich. Wir brauchen jemanden, der nicht so abergläubisch und furchtsam ist. Ich sehe mich selbst als einen modernen Menschen, der sich nicht so schnell vor Dingen fürchtet, die nicht da sind. Nur muss ich feststellen, dass ich das gar nicht bin. Dieser Palast hier ist da vielleicht nicht gerade hilfreich. Er ist dermaßen riesig und hat so überhaupt kein Leben, dass die Fantasie ihn mit allem bevölkert, wovor sie sich fürchtet. Da braucht bloß ein Windzug aus der verkehrten Richtung zu wehen, von unten aus dem Roten Land herein, und schon spüre ich hinterhältige Geister, die sich in den Vorhängen winden. Diese Zimmer hier sind zu groß, um ohne Angst darin schlafen zu können. Ich lasse die Lampen die ganze Nacht über brennen, vertraue der Zauberei, umklammere Glücksbringer wie ein Kind … Das ist lächerlich, denn ich bin kein Kind mehr. Ich kann mir nicht erlauben, mich den Ängsten eines Kindes zu ergeben.«