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Sie drehte den Kopf zur Seite.

»Angst ist ein mächtiger Feind, aber auch ein nützlicher Freund.«

»Das klingt wie etwas, das nur ein Mann sagen kann«, erwiderte sie amüsiert.

»Vielleicht solltet Ihr mir sagen, warum Ihr Euch fürchtet«, sagte ich.

»Ich höre, dass Ihr gut zuhören könnt.«

»Meine Töchter behaupten etwas anderes.«

»Ach ja, Ihr habt Töchter. Eine glückliche Familie …«

»So einfach, wie sich das anhört, ist es nicht immer.«

Sie nickte. »Keine Familie ist einfach.«

Sie schwieg eine Weile, dachte nach.

»Mein Gemahl und ich wurden miteinander verheiratet, als wir beide noch sehr jung waren«, sagte sie dann. »Ich bin zwar ein paar Jahre älter als er, aber wir waren beide noch Kinder, die der Staat zum Zwecke eines Machtbündnisses miteinander vermählte. Uns hat keiner gefragt, ob wir das wollten. Jetzt werden wir für Staatsakte hervorgeholt wie Statuen. Wir vollziehen Rituale. Wir machen Gesten. Wir wiederholen die Gebete. Und dann stopft man uns wieder zurück in diesen Palast. Als Gegenleistung für diesen Gehorsam überschüttet man uns mit Luxus, Gefälligkeiten und Privilegien. Ich beklage mich nicht. Ich kenne nichts anderes. Dieser wunderschöne Schrein ist das einzige Zuhause, das ich seit vielen Jahren habe. Er ist ein Gefängnis, und trotzdem hat er sich immer wie ein Heim angefühlt. Ist es komisch, dass ich es so empfinde?«

Ich schüttelte den Kopf.

Wieder legte sie eine Pause ein und dachte nach.

»Nur, in letzter Zeit«, fuhr sie schließlich fort, »fühle ich mich nicht einmal hier mehr sicher.«

»Warum?«

»Das hat verschiedene Gründe! Zum einen vielleicht, weil ich spüre, dass sich die Atmosphäre irgendwie verändert. Dieser Palast ist eine sehr beherrschte, hochdisziplinierte Welt. Wenn sich hier etwas verändert, merke ich das sofort: Wenn Dinge beispielsweise nicht da sind, wo sie eigentlich sein sollten, oder plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen. Dinge, die keinerlei Bedeutung haben könnten, wenn man sie allerdings aus einer anderen Perspektive betrachten würde, etwas Mysteriöses bedeuten könnten, etwas … Und dann heute …«

Plötzlich fehlten ihr die Worte. Sie zuckte mit den Achseln. Ich wartete darauf, dass sie weitersprach.

»Meint Ihr die Vorkommnisse beim Fest? Das Blut …?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Etwas anderes.«

»Könnt Ihr mir zeigen, was Ihr meint?«

»Ja. Aber vorher muss ich dir erst noch etwas anderes erzählen.«

Sie zog mich auf eine Bank, die in der Dunkelheit stand, und sprach auf einmal mit der verhalten leisen Stimme einer Verschwörerin.

»Was ich dir jetzt erzählen werde, ist ein Geheimnis, von dem nur ich selbst und ein paar wenige Männer meines Vertrauens wissen. Du musst mir dein Wort geben, dass du Stillschweigen darüber wahrst. Worte sind Macht, und Schweigen ist ebenfalls Macht. Diese Mächte gehören mir, und das muss respektiert und dem muss Folge geleistet werden. Wenn du das nicht tust, werde ich es erfahren und dich bestrafen.«

Ernst sah sie mich an.

»Ihr habt mein Wort.«

Zufrieden nickte sie und atmete tief durch.

»Tutanchamun wird in Kürze bekannt geben, dass er zum König gekrönt wird und den Thron seines Königreiches besteigt. Das hätte heute geschehen sollen, nachdem er sich mit den Göttern ausgetauscht hatte. Aber dazu konnte es ja dann nicht kommen. Aus den offensichtlichen Gründen. Heute hat man unseren Plan vereitelt. Aber aufhalten wird man uns nicht. Die Zukunft des Königreiches steht auf dem Spiel.«

Sie schaute mich an, um zu sehen, wie ich darauf reagierte.

»Er ist bereits der König«, gab ich vorsichtig von mir.

»Aber nur dem Namen nach, denn Regent ist Eje, und der hat in Wahrheit alle Macht. Er regiert das Reich. Er hält sich unsichtbar im Hintergrund, und unter diesem Deckmäntelchen tut er, was ihm beliebt. Wir sind lediglich seine Marionetten. Also müssen wir jetzt die Macht ergreifen. Solange noch Zeit ist.«

»Das wird sehr schwierig sein. Und sehr gefährlich.«

»Offenkundig. Also verstehst du jetzt, warum ich nach dir habe schicken lassen.«

Ich spürte, wie die Schatten des Palasts um mich her mit jedem Wort, das sie sprach, dunkler wurden.

»Darf ich Euch etwas fragen?«

Sie nickte.

»Seid Ihr überzeugt, dass Eje den König bei seinem Vorhaben nicht unterstützen würde?«

Mit einem Schlag sah Anchesenamun aus wie die einsamste Frau, die ich je erlebt hatte. Es war, als habe eine Windböe die Tür ihres Herzens aufgestoßen. In diesem Moment wusste ich, dass es kein Zurück gab aus dieser seltsamen Nacht und keinen Fluchtweg aus dem trostlosen Labyrinth dieses Palasts.

»Wenn er es wüsste, würde er uns beide vernichten.«

In ihrem Blick lag Entschlossenheit, aber auch Angst.

»Und Ihr wisst sicher, dass er es nicht weiß?«

»Ganz sicher wissen kann ich das nicht«, erwiderte sie. »Aus seinem Verhalten deutet aber nichts darauf hin. Er behandelt den König mit Verachtung und wie ein abhängiges Kind, obwohl dieser dem längst entwachsen sein müsste. Ejes Macht hängt von unserer Unterwürfigkeit ab. Nur tut er das Gefährlichste, was ein Mensch überhaupt tun kann: Er unterschätzt uns. Er unterschätzt mich. Aber ich werde das nicht länger dulden. Wir sind die Kinder unseres Vaters. Ich bin die Tochter meiner Mutter. Sie ist in mir, ruft nach mir, macht mir Mut und redet mir zu, meine Angst zu überwinden. Die Zeit ist gekommen, dass wir unsere Autorität und die Rechte unserer Dynastie geltend machen. Und ich glaube, ich stehe nicht allein mit dem Wunsch, nicht länger in einer Welt leben zu müssen, die von einem derart kaltherzigen Mann regiert wird.«

Ich musste gut nachdenken.

»Eje ist sehr mächtig«, erwiderte ich schließlich. »Überdies ist er äußerst clever und extrem skrupellos. Ihr werdet eine schlagkräftige und ungewöhnliche Strategie benötigen, um ihn zu überlisten.«

»Ich hatte sehr viel Zeit, ihn zu studieren, auch die Listigkeit seines Verstandes. Ich habe ihn beobachtet, glaube aber, dass er das nicht bemerkt hat. Ich bin ja eine Frau, und deshalb unter seiner Würde. Ich bin nahezu unsichtbar für ihn. Und – da kam mir eine Idee.«

Für einen kurzen Moment wagte sie auszusehen, als sei sie stolz auf sich.

»Ich bin überzeugt, dass Euch bewusst ist, was auf dem Spiel steht«, sagte ich vorsichtig. »Selbst wenn es Euch gelingt zu proklamieren, dass der König die Macht ergreift, wird Eje mit ziemlicher Sicherheit weiterhin die Zügel in der Hand behalten. Er hat viele einflussreiche Gruppierungen und Kräfte hinter sich.«

»Eje ist für seine Skrupellosigkeit berüchtigt. Wir verfügen aber ebenfalls über Verbündete, auch hat er große Feinde. Und dann ist da seine zwanghafte Ordnungsliebe. Er würde sich eher in zwei Teile zerhacken, als das Risiko einzugehen, dass die Welt neuerlich in Unordnung gerät.«

»Ich glaube, dass er eher tausend andere zerhacken würde, bevor er das mit sich selbst täte.«

Zum ersten Mal lächelte sie.

»Eje befasst sich mehr mit anderen, die seine Vormachtstellung bedrohen. Haremhab, der General, wartet nur auf seine Chance. Das weiß jeder. Und vergiss nicht, dass wir Eje gegenüber einen weiteren großen Vorteil haben. Den vielleicht größten überhaupt …«

»Und welcher ist das?«

»Die Zeit. Eje ist alt. Seine Knochen tun ihm weh. Seine Zähne tun ihm weh. Die Zerstörerin Zeit hat ihn aufgespürt und nimmt Rache an ihm. Wir hingegen, wir sind jung. Die Zeit ist unsere Verbündete.«

Sie saß da in der schlichten Schönheit ihrer Jugend, gewandet in das Gold des Sonnengottes, und lächelte bei dem Gedanken.