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Wütend blitzte er mich an, jetzt machte er keinen Hehl mehr aus seinem Zorn.

»Du erwartest zu viel von unserer Freundschaft.«

Wir standen einander gegenüber in diesem befremdlichen Moment und sahen einander an. Um die Spannung zu lösen, neigte ich den Kopf.

»Dafür entschuldige ich mich. Berufliche Dinge sollten sich niemals zwischen alte Freunde stellen.«

Er nickte, beinahe zufrieden. Ich wusste, dass ich in dieser emotional aufgeladenen Situation nur noch sehr wenig von ihm erfahren würde.

»Sekhmet hat heute Geburtstag«, erinnerte er mich. »Oder hast du dir so viel über Sonnenfinsternisse und geheime Bücher den Kopf zerbrochen, dass du das vergessen hast? Ich werde heute mit dir und der Familie zu Abend essen.«

Ich griff mir mit der Hand an die Stirn. Vergessen hatte ich es nicht, denn bevor ich das Haus verließ, hatte Tanefert mich noch einmal daran erinnert. Ich hatte aber noch einer heiligen Familienpflicht nachzukommen.

»Und ich bin verantwortlich für das Festmahl, also mache ich mich besser auf den Weg, um die geheimen Zutaten einzukaufen, die ich niemals jemandem verraten darf, weil mir sonst die Todesstrafe droht. Bevor die heiligen, nur Eingeweihten bekannten Händler des Marktes ihre Stände schließen.«

Endlich gelang es ihm zu lächeln, und gemeinsam schritten wir durch das gewaltige Tor, das uns wieder dem Leben der Stadt zuführte. Danach trennten wir uns. Er ging nach Hause, und ich lief auf den Markt, um Fleisch, Gewürze und Wein zu besorgen.

13

Wir haben alle unsere Stammplätze, wo wir auf Stühlen an dem niedrigen, runden Tisch sitzen: mein Vater am Kopfende, Sekhmet und Thuju auf der einen Seite zusammen mit Kheti und seiner Frau, Tanefert und Amenmose auf der anderen mit Nacht und Nedjmet, der Süßen, die gern neben ihm sitzt und ihm die Arme um den Hals schlingt. Während sie ihre Liebesbekundungen inszeniert, beobachtet sie ihr Publikum. Wo hat sie diese Schöntuerei gelernt? Ich hatte unser Lieblingsessen gekocht – Gazelle in Rotwein. Das gibt es nur zu festlichen Anlässen.

Sekhmet wirkte entspannt und selbstbewusst. Sie trug ein neues plissiertes Gewand und die Ohrringe, die wir ihr zum Geburtstag geschenkt haben. Die Unsicherheit ihrer Teenagerjahre weicht allmählich einem neuen Selbstbewusstsein. Sie hat mehr gelesen als ich und erinnert sich an alles. Sie kann immer noch die unsinnigen Gedichte rezitieren, die wir uns ausgedacht haben, als sie noch ein Kind war. Bildung bedeutet ihr alles. Sie hat einmal ganz ernsthaft zu mir gesagt: »Ich kann nicht Athletin und Gelehrte sein.« Und so hat sie ihre Entscheidung getroffen.

Wenn ich an Abenden wie diesem im Kreise meiner Familie und meiner Freunde sitze, die Speisen vor uns auf dem Tisch stehen und die Lampen aus den Wandnischen leuchten, frage ich mich immer, was ich getan habe, dass ich solches Glück verdiene. Und in dunkleren Momenten mache ich mir Sorgen, dass meine Arbeit all das in Gefahr bringen könnte – denn wie sollten sie leben, wenn mir etwas passieren würde? Außerdem muss ich mich fragen: Warum reicht dieses Leben nicht? Und wie werde ich zurechtkommen, wenn mein Vater nicht mehr am Leben ist, die Mädchen verheiratet sind und in anderen Häusern leben und Amenmose irgendwo studiert, vielleicht in Memphis, und Tanefert und ich in der fremden neuen Stille unserer späten Jahre nur noch einander haben?

»Vater, ich frage mich die ganze Zeit, warum Mädchen in unserer Gesellschaft nicht die Möglichkeit bekommen, sich Bildung anzueignen und Karriere zu machen?«

Sekhmet beobachtete, welche Wirkung ihre Bemerkung erzielte, und schaufelte sich dabei ein großes Stück Gazelle in den Mund.

»Und so ganz nebenbei«, murmelte sie, »das hier ist köstlich.«

Nacht, Kheti und mein Vater sahen mich amüsiert an.

»Du hattest aber doch schon viele Möglichkeiten.«

»Nur weil Nacht mir Dinge beigebracht hat, die mir sonst niemand beibringen wollte …«

»Und sie ist eine brillante Schülerin«, fügte er stolz hinzu.

»Es kommt mir aber so vor, als hätte ich weniger Möglichkeiten, weil ich ein Mädchen bin und es in unserer Gesellschaft bei allem um die Überlegenheit des Mannes über die Frau geht. Und das ist lächerlich. Wir leben in einer modernen Welt. Dass mir inzwischen Brüste gewachsen sind, heißt doch nicht, dass ich den Verstand verloren habe.«

Mein Vater begann zu hüsteln, als habe er sich verschluckt. Nacht klopfte ihm auf den Rücken, aber der alte Herr hustete weiter, mit Tränen in den Augen. Ich wusste, dass es sich dabei um Tränen der Erheiterung handelte, doch ich wollte Sekhmet nicht beschämen. Ich zwinkerte ihm zu.

»In gewisser Weise hast du damit recht«, sagte ich. »Wenn du vorhast, etwas zu erreichen, musst du entschlossen sein.«

»Das habe ich vor. Ich will noch nicht heiraten. Ich möchte mehr lernen. Ich will Ärztin werden.«

Sie schaute über den Tisch hinweg auf ihre Mutter. Ich wusste sofort, dass sie bereits darüber gesprochen hatten. Ich sah Tanefert an, und sie erwiderte meinen Blick mit einem wortlosen Flehen, bitte rücksichtsvoll vorzugehen.

»Aber meine innig geliebte Tochter …«, hob ich an und hoffte, Nacht würde etwas beisteuern, das mir in meiner misslichen Lage half.

»Ja, mein innig geliebter Vater?«

Es fiel mir schwer, die besten Worte zu finden.

»Frauen werden nicht Ärztinnen.«

»Das stimmt nicht«, warf Nacht ein, was nun gerade nicht hilfreich war.

»Welchen Unterschied macht es, ob sie das in der Vergangenheit nicht geworden sind? Das ist es, was ich machen will. Es gibt so viel Leiden in dieser Welt, und das will ich ändern. Und es gibt auch viel zu viel Ignoranz. Wissen kann das Leiden und die Ignoranz mildern. Und überhaupt: Warum habt ihr mich Sekhmet genannt, wenn ihr nicht wolltet, dass eine Ärztin aus mir wird?«

»Warum habt ihr sie Sekhmet genannt?«, wollte Nedjmet wissen, die eine Chance witterte, sich an der Unterhaltung zu beteiligen.

»Weil der Name die Mächtige bedeutet«, erwiderte Tanefert.

»Die löwengestaltige Göttin Sekhmet kann Krankheiten schicken, kann sie aber auch zurückrufen«, führte Sekhmet selbst weiter aus.

»Wie ich sehe, hast du von deinem gescheiten Patenonkel eine Menge gelernt«, sagte ich.

»Ich habe Dinge mit ihm diskutiert

Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich wie die einzige Figur auf dem Brett, die immer noch auf dem ersten Spielfeld stand.

Plötzlich ergriff am anderen Ende des Tisches mein Vater das Wort.

»Sie wird eine großartige Ärztin werden. Sie ist ruhig, geht bei allem methodisch vor, und sie ist wunderschön anzusehen. Ganz im Gegensatz zu diesen übelriechenden und streitsüchtigen alten Männern, die ein paar brennende Kräuter in die Luft werfen und unsereinen den eigenen Urin trinken lassen. Ich würde sie mit Sicherheit mit meiner Versorgung betrauen, wenn ich mal alt und krank werde.«

Mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen sah Sekhmet mich an.

»Dein erster Patient ist dir also schon mal sicher«, sagte ich. »Aber ist dir bewusst, was das bedeutet?«

Klug nickte sie.

»Es bedeutet jahrelanges Studium, und ich werde doppelt so gut sein müssen wie alle anderen, weil ich das einzige Mädchen unter all den Jungen sein werde. Und ich werde die Opposition der Elite ertragen müssen und die engstirnigen, kleingeistigen Beleidigungen der altmodischen Lehrer. Das werde ich aber überleben.«

Ich hatte keine Vorstellung, wie ich mich ihrem Wunsch widersetzen sollte, und in Wahrheit war ich stolz auf ihre Entschlossenheit. Das Einzige, was mich davon abhielt, sie von ganzem Herzen zu unterstützen, war das Wissen um den Kampf, der ihr bevorstand – das und die Wahrscheinlichkeit, dass sie versagte –, nicht aufgrund irgendeiner persönlichen Schwäche, sondern weil die in der Oberschicht sich weigerten, sie zu akzeptieren.