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Ich wollte gerade etwas sagen, als Thot im Hof zu brüllen begann. Ein plötzliches Klopfen an der Tür brachte uns alle zum Schweigen. Ich stand auf und öffnete. Draußen stand ein großgewachsener, stämmiger und unfreundlich dreinblickender Mann, der die Uniform der Palastwache trug. Hinter ihm standen Wachsoldaten mit Schwertern, die im Licht der Öllampe, die in der Nische neben der Tür stand, glänzten.

»Ich weiß, wer Ihr seid«, sagte ich ruhig, bevor er etwas sagen konnte. »Gebt mir bitte ein paar Minuten.«

Ich lief zurück in den Raum. Meine Familie starrte mich an.

Tanefert behauptet, man habe immer die Wahl. Aber manchmal stimmt das nicht. Ich bat Kheti, mich zu begleiten, und Nacht, zu bleiben und mit den anderen weiterzufeiern. Sekhmet geleitete mich durch die Küche zur Tür. Sie warf einen prüfenden Blick auf die draußen wartenden Wachen und nickte.

»Mach dir keine Sorgen, Vater. Es ist wichtig, seine Arbeit zu tun. Deine Arbeit ist wichtig. Ich verstehe das. Und wir werden alle hier sein, wenn du zurückkommst.«

Und dann grinste sie und küsste mich auf die Wange.

14

Als wir wieder einmal den Großen Fluss überquerten – Kheti saß mir gegenüber, und Thot hatte sich zu meinen Füßen auf den Boden gekauert, denn er hält Boote und Wasser für heimtückisch und traut ihnen nicht –, blickte ich empor zum schwarzen Ozean der Nacht mit seinen geheimnisvoll glitzernden Sternen. Ich erinnerte mich an etwas, was mein Großvater mir mal gesagt hatte: Das wirklich Wichtige waren nicht die zahllosen Sterne, sondern die prachtvolle Finsternis, die sie umgab. Die Tabellen und Zeichen der verblichenen alten Papyrusdokumente, die Nacht mir am Nachmittag gezeigt hatte, schienen dieses größte aller Geheimnisse nur ganz primitiv darzustellen.

Die erfahrenen Ruderer brachten uns zum Palast-Anlegesteg, wo das schwarze Wasser sacht gegen die silbern im Mondlicht glänzenden Steine plätscherte. Khay erwartete uns. Im schimmernden Licht des Feuers, das aus den gehämmerten Kupferschalen drang, war zu sehen, dass sein knochiges Gesicht von Angst gezeichnet war. Ich stellte ihm Kheti als meinen Gehilfen vor. Er hielt sich respektvoll mit gesenktem Kopf im Hintergrund. Khay beäugte ihn und nickte.

»Sein Benehmen und seine Sicherheit unterliegen Eurer Verantwortung«, sagte er.

***

Ich habe gehört, es gibt Menschen, die in ihren Träumen immer wieder in die gleichen Situationen und Zwangslagen geraten. Jede Nacht werden sie von denselben Bildern des Grauens gequält und in Angst versetzt: albtraumartige Verfolgungsjagden durch endlose Tunnel; die flinken Bewegungen von Krokodilen, die sie in dem tiefen, schwarzen Wasser zwar nicht sehen können, aber deutlich spüren, dass sie da sind; der Anblick eines geliebten Menschen, der tot ist, unerreichbar in einer gewaltigen grauen Menschenmenge. Und dann wacht der gepeinigte Träumer schwitzend auf und weint hemmungslos um das, was er immer und immer wieder an diese Visionen aus dem Jenseits verloren hat. Dieser Palast mit seinen langen Korridoren, den vielen verschlossenen Türen und den stillen Vestibülen erinnerte mich jetzt an so etwas. Ich stellte mir vor, jeder der verschlossenen Räume enthalte einen anderen Traum, einen anderen Albtraum. Und trotzdem empfand ich keine Furcht, die Erregung hielt mich wieder einmal in ihrem monströsen und prachtvollen Klammergriff. Etwas Unerwartetes war geschehen. Und deshalb war ich so glücklich, wie ein Mensch es nur sein kann.

Wir passierten die Wache und betraten die königlichen Gemächer. Irgendwo in der Dunkelheit wurde eine Tür zugeschlagen, und die helle Stimme eines jungen Mannes rief bebend einen Befehl. Gesenkte Stimmen versuchten in eindringlichem und überzeugendem Ton, ihn zu beruhigen. Ein weiteres Mal wurde eine Tür zugeschlagen, und danach kehrte wieder diese gruftartige Stille ein. Khay, der die Bedeutung dieser Zeichen und Wunder kannte, eilte auf seinen teuren und makellos sauberen Sandalen voraus, bis wir von Neuem die großartigen Flügeltüren erreichten, die in Anchesenamuns Gemächer führten. Kheti sah mich an, mit hochgezogenen Brauen und sichtlich amüsiert über die Situation, in der wir uns befanden. Dann wurden die Türen plötzlich geöffnet, und wir traten ein.

In den Gemächern sah alles so aus wie beim letzten Mal. Die Lichter brannten an den gleichen Stellen. Die Türen, die auf die Terrasse und in die Gärten führten, standen offen. Anchesenamun, die von einem Soldaten bewacht wurde, saß ganz ruhig da und starrte wie hypnotisiert auf eine kleine, verschlossene Holzkiste, die auf der gegenüberliegenden Seite des Raums auf einem niedrigen Tablett stand. Als wir eintraten, drehte sie sich langsam zu uns um. Ihre Augen glänzten, und sie klammerte sich mit einer Hand an der anderen fest.

Die Kiste war nicht größer als die, in denen man Perücken aufbewahrt. Sie war mit einer Kordel verschnürt, die raffiniert verknotet war. Interessanterweise sah das Ganze eher aus wie ein magischer und nicht wie ein praktischer Knoten. Wie mysteriös das war – die Tatsache, dass der Macher des Ganzen eine Vorliebe für frustrierende, möglicherweise geisteskranke Puzzles hatte, schien auf beängstigende Weise zu all den anderen seltsamen Mysterien der letzten Tage zu passen. Statt die Kordel aufzuknoten, schnitt ich sie durch, denn sie war ein Beweisstück, und Nacht wusste vielleicht, was es mit ihrer besonderen Machart auf sich hatte. Ich hielt meinen Kopf dicht über den Deckel der Kiste und vernahm ein schwaches Geräusch: Es kam aus dem Inneren, irgendetwas bewegte sich da, plagte sich nahezu, allerdings so leise, dass es trotz der Stille in den Gemächern kaum zu hören war. Ich schaute kurz zu Kheti und Khay hinüber und hob dann vorsichtig den Deckel. Der süßliche Gestank von verwesendem Fleisch wehte in den Raum. Alle traten schnell einen Schritt zurück und pressten sich Stoff vor die Nasen.

Ich zwang mich, in die Kiste hineinzusehen. Weiße Maden krabbelten durch die Augenhöhlen eines menschlichen Schädels, durch die Nase, die Ohren und Kieferknochen. Ich sah ein Paar Schlüsselbeine und ein paar Wirbel, die man mit einer weiteren Kordel aneinandergeknotet hatte, sowie ein paar kleinere Schädel, die Vögeln oder Nagetieren gehört hatten. Knochen in allen Variationen – eindeutig Tierknochen und menschliche – waren zusammengewürfelt worden, um diese ekelerregende Totenmaske zu kreieren. Totenmasken werden normalerweise aus kostbarem Gold gefertigt, um die Verstorbenen den Göttern vorzustellen. Aber diese hier war vorsätzlich aus Schlachtabfällen als eine Art Anti-Maske gestaltet worden. Etwas Gold gab es da aber: eine Halskette mit einer königlichen Kartusche, in die ein Name geritzt war. Mit einer Zange, die griffbereit lag, zog ich sie heraus. Die Hieroglyphen bedeuteten: Tutanchamun.

Ich untersuchte die Kiste genauer. Um den Deckel herum hatte man auf der Innen- wie auf der Außenseite seltsame Symbole, Kurven, Sicheln, Punkte und gerade Linien eingeritzt und diese dann schwarz und rot bemalt. Die Sprache erkannte ich überhaupt nicht. Sie sah aus wie ein Fluch. Ich dachte, dass ich nicht erleben wollte, wie solche Worte laut ausgesprochen wurden. Ich wollte dem Menschen nicht begegnen, der die Sprache dieser Zeichen beherrschte. Ich stellte mir ein Ungeheuer vor. Und dort, mitten auf die Innenseite des Deckels, war ein Bildnis eingeritzt, das ich sofort erkannte: ein dunkler Kreis. Die zerstörte Sonne.

Khay, der sich penibel ein Leinentuch über Nase und Mund hielt, trat widerstrebend näher, schaute auf den Inhalt der Kiste und taumelte dann nach hinten, als sei der Boden unter seinen Füßen plötzlich uneben geworden. Der Soldat trat entschlossen vor und blickte mit militärischer Selbstdisziplin auf die Bescherung. Dann trat er zur Seite, um Anchesenamun vorzulassen. Khay versuchte, sie davon abzuhalten, in das Kistchen zu blicken, aber sie bestand darauf. Sie stellte sich dicht neben mich, hatte Mühe, den Gestank zu ertragen, senkte ihren Blick aber tapfer auf das Schlachtfeld in der Kiste. Sie konnte den Anblick nur einen kurzen Moment ertragen.