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Da wurden plötzlich die großartigen Flügeltüren aufgestoßen, und mit einem frustrierten Aufschrei stürzte ein junger Mann in den Raum. Er hatte ein wunderschönes, mandelförmiges Gesicht und feine, zarte Züge. Er humpelte ein wenig und stützte sich leicht auf einen eleganten Gehstock. Von seinen schmalen Schultern hing ein funkelndes Pektorale aus Gold. Feinstes Leinen umhüllte seinen Körper, der im Grunde schlank, nur um die Taille herum breit war. Ein schwatzendes Äffchen hüpfte an einer Goldkette um seine Füße herum.

»Ich lasse nicht zu, dass man mich wie ein Kind behandelt«, brüllte Tutanchamun, Herr der Beiden Länder, Lebendes Abbild des Gottes Amun, in die Stille des Raumes.

Khay und der Soldat stellten sich vor die Kiste und versuchten, ihn dazu zu bringen, sich ihr nicht zu nähern, allerdings ohne dabei zu wagen, seinen königlichen Leib zu berühren. Er war aber trotz seines leichten Gebrechens zu schnell für sie: Tutanchamun bewegte sich mit der Verschlagenheit und Geschwindigkeit eines Skorpions. Er starrte auf die eingeritzten Zeichen und dann auf das Bild der Verwesung. Zuerst schien er wie hypnotisiert zu sein von dem, was er sah – von der Fäulnis des Ganzen. Dann, als er begann, die Bedeutung zu erfassen, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Anchesenamun umfasste seine Hände und redete ihm gut zu, sich das nicht weiter anzusehen, sprach leise und behutsam auf ihn ein, vielleicht mehr wie eine ältere Schwester denn wie eine Ehefrau. Tutanchamun hob den Blick und schaute mich an, und ich sah, dass er die Augen seines Vaters hatte, nahezu feminine Augen, die einen unschuldigen, zugleich aber potenziell bösartigen Ausdruck hatten. Er sah die Halskette mit dem königlichen Namen und riss sie mir aus der Hand. Rasch senkte ich meinen Blick, wie die Etikette es gebot.

Während ich wartete und den Blick dabei auf den Fußboden heftete, dachte ich, wie viel interessanter Tutanchamun doch aussah, wenn man ihn aus der Nähe betrachtete. Aus der Ferne hatte er so unbedeutend gewirkt wie ein Schilfrohr. Doch wenn man ihm so nah war, spürte man sein Charisma. Seine schimmernde Haut sprach für das Leben eines Menschen, der nur selten im harschen Licht der Sonne an der frischen Luft war. Er wirkte eher wie ein Mondwesen. Seine Hände waren wunderschön und makellos. Und seine sehr langen Glieder und der elegante Glanz seiner goldenen Halskette, seiner goldenen Juwelen und seiner goldenen Sandalen schienen wie aus einem Guss zu sein. In seiner Gegenwart kam ich mir plump vor. Er wirkte wie eine seltene Spezies, die nur in einem sorgfältig gesicherten Umfeld aus Schatten, Geheimnistuerei und höchstem Luxus überleben konnte. Mich hätte es nicht gewundert, wenn ich zwischen seinen Schulterblättern die Federn von Flügeln oder zwischen seinen perfekten Zähnen winzige Juwelen entdeckt hätte. Es hätte mich nicht erstaunt zu erfahren, dass er ausschließlich vom Wasser einer göttlichen Quelle nippte. Ebenso wenig hätte mich überrascht zu hören, dass er hinter fest verschlossenen Türen in einem Kinderzimmer lebte, abgeschieden von der Außenwelt, deren Anforderungen er sich verweigerte. Ich konnte sofort sehen, wie groß seine Angst war; und im gleichen Moment begriff ich, dass derjenige, der hinter den beiden ›Geschenken‹ steckte, das sehr genau wusste. Tutanchamun warf die Halskette von sich.

»Diese Scheußlichkeit muss uns aus den Augen geschafft und vom Feuer vernichtet werden.«

Obwohl seine Stimme zitterte, hatte sie vornehme Modulationen und ein zartes Timbre. Wie viele Menschen, die leise sprechen, tat er das aus Gründen der Effekthascherei, weil er wusste, dass er die anderen damit zwang, die Ohren zu spitzen, um jedes seiner Worte zu verstehen.

»Bei allem Respekt, Euer Majestät, möchte ich Euch von der Vernichtung abraten«, sagte ich. »Die Kette ist ein Beweisstück.«

Khay, der ultimative Hüter der Etikette, schnappte nach Luft, weil ich soeben gegen das Protokoll verstoßen hatte. Ich musste damit rechnen, dass der König mich jetzt anbrüllen würde. Stattdessen schien er seine Meinung zu ändern. Er nickte, und dann sank er auf eine der Liegen und saß vornübergebeugt da. Jetzt sah er aus wie ein Kind, das von bösen Geistern heimgesucht wird. Vor meinem geistigen Auge sah ich die Welt aus seiner Perspektive: Er war allein in einem Palast voller Schatten, Grauen, Bedrohungen, Geheimnisse und widerstreitender Strategien. Man war versucht, ihn zu bemitleiden. Das brachte nur nichts.

Er bedeutete mir, näher zu treten. Ich stellte mich mit gesenktem Blick vor ihn.

»Du bist also der Wahrheitssucher. Sieh mich an.«

Ich tat es. Sein Gesicht hatte ungewöhnliche, feine Züge, und die hohen Wangenknochen unterstrichen die sanfte, aber überzeugende Kraft seiner großen, dunklen Augen. Die Lippen waren voll und sinnlich, und er hatte ein schmales, leicht fliehendes Kinn.

»Du hast meinem Vater gedient.«

»Leben, Wohlstand und Gesundheit, Majestät. Ja, diese Ehre hatte ich.«

Misstrauisch beäugte er mich, als müsse er sich erst vergewissern, dass ich das nicht ironisch gemeint hatte. Dann bat er Anchesenamun mit einer Geste, sich zu ihm zu setzen. Für einen kurzen Moment sahen sie einander an mit einem Blick, der stillschweigendes Einvernehmen verriet.

»Das ist nicht das erste Mal, dass man mein Leben bedroht. Aber wenn man das Relief nimmt und dann das Blut und jetzt das hier …«

Mit argwöhnischer Miene schaute er auf die anderen im Raum und beugte sich dann weiter zu mir vor. Ich spürte seinen warmen Atem, der so süß war wie der eines Kindes, auf meinem Gesicht, als er wisperte: »Ich fürchte, ich werde von Schatten gehetzt und verfolgt …«

Just in diesem Moment wurden neuerlich die Flügeltüren geöffnet, und Eje betrat die Gemächer. Selbst die Luft schien bei seinem Eintreten eisig zu werden. Ich hatte inzwischen mitbekommen, dass alle den König wie ein großartiges Kind behandelten. Eje sah ihn indes mit einer Verachtung an, die einen Stein zum Verwittern bringen konnte. Dann untersuchte er den Inhalt der Kiste.

»Komm her«, forderte er den König leise und ruhig auf. Nur zögerlich bewegte sich der König auf Eje zu.

»Das ist nichts. Miss ihm nicht eine Macht bei, die es nicht besitzt.«

Tutanchamun nickte unsicher mit dem Kopf.

Im nächsten Moment hob Eje mit der Geschwindigkeit eines Falken den Totenschädel, auf dem es vor Maden nur so wimmelte und aus dem die Würmer krochen, aus der Kiste und kredenzte ihn dem König, der angewidert und verängstigt zurückschreckte. Anchesenamun sprang vor, als wolle sie ihren Gemahl beschützen, doch Eje hob gebieterisch die Hand.

»Nicht«, sagte sie leise.

Der alte Mann ignorierte sie und starrte weiter den König an, während er den Totenschädel auf seiner ausgestreckten Hand hielt. Der junge König nahm sich zusammen, griff langsam und widerwillig nach vorn und nahm das ekelerregende Ding selbst in die Hand.

Jeder im Raum hielt gebannt und schweigend den Atem an, als der König in die leeren Augenhöhlen und auf das verwesende Schädelfleisch starrte.

»Wenn der Tod nicht mehr ist als diese hohlen Knochen und dieses absurd hässliche Grinsen«, flüsterte er, »haben wir nichts zu befürchten. Was von uns überleben wird, ist wesentlich großartiger.«

Im nächsten Moment warf er Eje den Schädel wieder zu, so plötzlich, dass der alle Mühe hatte, das glitschige Ding zu fangen, und dabei aussah wie der einsame Junge, der nicht gut in Ballspielen ist.

Der König lachte laut auf, und plötzlich mochte ich ihn – wegen seiner Unverfrorenheit. Er gab einem Diener ein Zeichen, ihm eine Schüssel und ein Leinentuch zu bringen, damit er sich die Hände waschen konnte. Das Handtuch ließ er hinterher absichtlich vor Eje auf den Boden fallen, und dann verließ er die Gemächer, gefolgt von seinem nervösen Äffchen.