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Wortlos, wohl aber vor Wut keuchend, starrte Eje ihm nach, ließ den Schädel zurück in die Kiste fallen und wusch sich dann seinerseits die Hände. Anchesenamun trat vor.

»Warum behandelst du den König in Gegenwart anderer mit derartiger Respektlosigkeit?«

Jetzt fuhr Eje sie an.

»Er muss Mut lernen. Was für ein König kann den Anblick von Verwesung und Tod nicht ertragen? Er muss lernen, diese Dinge auszuhalten, ohne sich vor ihnen zu fürchten.«

»Es gibt viele Möglichkeiten, Mut zu lernen, und Angst ist gewiss nicht der beste Lehrmeister. Vielleicht ist sie der schlechteste.«

Eje lächelte und bleckte die schlechten Zähne hinter seinen schmalen Lippen.

»Angst ist ein großes und merkwürdiges Thema.«

»Ich habe in den letzten Jahren eine Menge darüber gelernt«, erwiderte sie. »Ich hatte einen äußerst fähigen Lehrer.«

Eine ganze Weile starrten sie einander an wie rivalisierende Katzen.

»Die Hirne der Schwachen und Verletzbaren dürfen diesem Unfug keine Bedeutung beimessen. Vielmehr muss er mit der Verachtung gestraft werden, die er verdient.«

»Da pflichte ich dir bei, und genau deshalb habe ich Rahotep beauftragt, entsprechende Ermittlungen anzustellen. Ich werde jetzt zum König gehen und überlasse es Euch, einen Schlachtplan zu erstellen, mit dem derartige Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern sind.«

Sie verließ die Gemächer. Ich verneigte mich vor Eje und folgte ihr. Draußen, auf dem dunklen Korridor, zeigte ich ihr das Anch-Kreuz, das ich bei der Leiche des toten Mädchens gefunden hatte.

»Vergebt mir, dass ich Euch das hier zeige. Aber gestattet mir bitte die Frage: Erkennt Ihr dieses Stück?«

»Ob ich es erkenne? Es gehört mir. Meine Mutter hat es mir geschenkt. Wegen meines Namens und zu meinem Schutz.«

Das Anch-Kreuz – Anchesenamun … mein Bauchgefühl, das mir gesagt hatte, dass da eine Verbindung bestand, war richtig gewesen. Und selbst dieser Moment, da ich das Schmuckstück seiner rechtmäßigen Besitzerin zurückgab, schien plötzlich Teil des Plans zu sein, den der Mörder verfolgte.

»Woher hast du das?« Sie war plötzlich wütend und riss mir das Amulett aus der Hand.

Ich suchte nach einer Erklärung, die sie nicht beunruhigen würde.

»Es wurde gefunden. In der Stadt.«

Mit festem Blick sah sie mich an.

»Verheimliche mir die Wahrheit nicht. Ich will die Wahrheit erfahren. Ich bin kein Kind.«

»Es wurde an einer Leiche gefunden. An einer jungen Frau, einem Mordopfer.«

»Wie wurde sie ermordet?«

Zunächst antwortete ich nicht.

»Man hat sie skalpiert«, sagte ich schließlich widerstrebend. »Ihr das Gesicht vom Schädel geschnitten. Ihr die Augen entfernt. Darüber lag eine goldene Maske. Und sie trug das da.«

Sie schnappte nach Luft und schaute schweigend auf das Schmuckstück in ihrer Hand.

»Wer war sie?«, fragte sie leise.

»Ihr Name war Neferet. Ich nehme an, dass sie in einem Bordell gearbeitet hat. Sie war in Eurem Alter. Ich persönlich glaube, dass sie nicht gelitten hat. Und ich werde herausfinden, warum man Euer Amulett bei ihrer Leiche gefunden hat.«

»Irgendjemand muss es aus meinen Privatgemächern gestohlen haben. Wer könnte das getan haben? Und warum?«

Ängstlich lief sie auf dem Korridor auf und ab. »Ich habe recht. Es ist nirgendwo sicher. Schau dir diesen Ort hier an. Er besteht nur aus Schatten. Glaubst du mir jetzt?«

Sie hielt das Amulett hoch, das sich daraufhin drehte und in der Dunkelheit des Korridors schimmerte. Ich sah, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.

»Ich werde das niemals wieder tragen können«, sagte sie, und dann lief sie ohne ein weiteres Wort davon.

Ich begab mich wieder in die Gemächer, und sofort ging Eje auf mich los.

»Bildet Euch ja nicht ein, diese Sache würde Eure Anwesenheit rechtfertigen. Das hat rein gar nichts zu bedeuten. Das ist reiner Unfug.«

»Es mag Unfug sein, hat aber genau so funktioniert, wie es von demjenigen, der sich den ausgedacht hat, beabsichtigt war.«

Er schnaubte.

»Und was hat der beabsichtigt?«

»Er hat aus dem Klima der Angst Kapital geschlagen.«

»Dem Klima der Angst. Wie poetisch.«

Am liebsten hätte ich ihn totgeschlagen wie eine Fliege.

»Und auch dieser ›Gabe‹ ist es gelungen, zum König persönlich vorzudringen. Wie konnte das passieren?«, fuhr er fort.

Jetzt richteten sich aller Augen auf den Soldaten.

»Man hat die Kiste in den Privatgemächern der Königin gefunden«, gab er widerwillig zu.

Das verblüffte selbst Eje.

»Wie ist das möglich?«, fragte er angespannt. »Was ist mit den Sicherheitsvorkehrungen in den königlichen Gemächern?«

»Ich habe keine Erklärung dafür«, sagte der Soldat beschämt.

Eje wollte ihn gerade anschreien, als sein Gesicht ganz plötzlich mürrische Züge annahm und er sich an den Kiefer griff, da ihn offenbar ein plötzlicher Anfall von Zahnschmerzen ereilte.

»Und wer hat die Kiste entdeckt?«, fuhr er fort, als der Anfall nachließ.

»Anchesenamun persönlich«, mischte Khay sich ein.

Eje sah sich die Kiste eine Weile nachdenklich an.

»So etwas wird nie wieder passieren. Ist dir klar, welche Strafe dir droht, wenn du versagst?«

Der Soldat salutierte.

»Und ich schlage vor, dass du und der großartige Wahrheitssucher euch miteinander bekannt macht. Vielleicht sind zwei Idioten zusammen besser als einer allein, obwohl die Erfahrung dagegen spricht.«

Er hielt inne.

»Es darf zu keinen weiteren Vorkommnissen dieser Art kommen. Die Sicherheit im Palast muss gewährleistet sein. Ihr werdet mir beide morgen vor der Zeremonie zur Eröffnung der Säulenhalle Bericht erstatten und mir Eure Vorschläge im Hinblick auf die Sicherheit des Königs unterbreiten.«

Und so zog er von dannen. Die Spannung im Raum ließ etwas nach. Der Soldat stellte sich mir als Simut vor, Kommandeur der Palastwache. Pflichtbewusst bekundeten wir einander Respekt und droschen artig unsere Phrasen, doch er sah mich an wie ein Mann, der sich an meinem Ruin weiden würde. Immerhin steckte ich meine Nase in seine Angelegenheiten.

»Wer hat Zugang zu den Privatgemächern der Königin?«, fragte ich.

»Die Zofen der Königin … der König, seine Dienerschaft, ihre Dienerschaft, sonst niemand …«, antwortete Khay.

»Vor jeder Tür, durch die man in die königlichen Gemächer gelangt, sind Wachen stationiert«, sagte Simut. »Um passieren zu dürfen, bedarf es einer entsprechenden Vollmacht.«

»Deshalb muss die Kiste von jemandem eingeschmuggelt worden sein, der über höchste Vollmachten verfügt und sich mit Leichtigkeit innerhalb der königlichen Gemächer bewegen kann«, antwortete ich. »Ich schätze mal, dass es innerhalb der königlichen Gemächer, hinter den einzelnen Kontrollstellen, weder Wachen noch Leibesvisitationen gibt, um der Familie ein wenig Intimsphäre einzuräumen. Richtig?«

Khay nickte, doch schien der Gedanke ihm Unbehagen zu bereiten.

»Die Kompetenz der Königlichen Wachen steht außer Frage, nur gibt es zweifelsfrei irgendwo eine große Schwachstelle, durch die es möglich war, dieses Objekt und das Relief hier einzuschmuggeln. Ihr werdet mir sicher beipflichten, dass es unerlässlich ist, die Sicherheitsmaßnahmen für den König und die Königin zu verschärfen, sowohl innerhalb der königlichen Gemächer als auch in der Öffentlichkeit. Wann soll die Säulenhalle eröffnet werden?«, fragte ich.

»In zwei Tagen«, erwiderte Khay. »Der Priesterrat von Karnak tritt aber schon morgen zusammen, und der Versammlung muss der König beiwohnen.«