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Und in der Ehe ist es genauso. Wir führen eine gute Ehe. Sollte ich Tanefert mit meinem ausbleibenden beruflichen Erfolg enttäuscht haben, so hat sie das bisher geschickt für sich behalten. Sie sagt, sie habe mich nicht meines Vermögens wegen geheiratet. Und dabei bedenkt sie mich dann immer mit einem wissenden Lächeln. Ich weiß aber, dass es auch Dinge zwischen uns beiden gibt, über die kein völliges Einvernehmen besteht und über die wir Stillschweigen bewahren, als würden Worte sie irgendwie zu schmerzlich real machen. Vielleicht ist das bei allen Paaren so, deren Beziehungen über viele Jahre hinweg gehalten haben; bei denen sich die Gewohnheit und die damit einhergehende Gefahr häuslicher Langeweile eingeschlichen haben. Selbst der Körper des anderen, der einem so vertraut ist und nach dem man sich einstmals so zwanghaft verzehrt hat, löst ein nicht zu leugnendes Verlangen nach der aufregenden Schönheit eines fremden Körpers aus. Zu viel Vertrautheit war eben nicht nur schön, sondern schadete auch … Will ich dem vielleicht entkommen, wenn ich mich an meiner erregenden Arbeit ergötze? Die Vorstellung erfüllt mich nicht gerade mit Stolz. Ich bin jetzt ein Mann, der seine Lebensmitte erreicht hat, und ich habe bei allem Angst vor dem Mittelweg … Warum kann ich nicht mit alledem zufrieden sein, was mir der Hausgott über mir geschenkt hat?

Wenn das schon für normale Leute wie uns so ist, wie viel seltsamer muss es dann erst einmal sein, wenn man in eine Familie hineingeboren wurde, die ein öffentliches Leben führt und deren Privatleben geschützt und immerzu wie ein entsetzliches Geheimnis gehütet werden muss? Trotz all ihres Reichtums und ihrer Macht werden die Kinder der königlichen Familie und der meisten führenden Familien in einer Atmosphäre groß, der es gänzlich an menschlicher Wärme fehlt. Worüber reden diese Menschen beim Abendessen? Über Staatsaffären? Über die Benimmregeln bei einem Bankett? Müssen sie sich immer und immer wieder die Geschichten über die Heldentaten ihres Großvaters, Amenophis des Großen, anhören, obwohl sie genau wissen, dass dessen Fußstapfen viel zu groß für sie sind? Und wenn meine Töchter sich schon um einen Kamm streiten, wie muss es da erst zugehen, wenn Geschwister einander um Schätze, Macht und die Beiden Kronen bekämpfen?

Ich hatte allerdings ein Geschwisterpaar erlebt, das nicht um Macht zu kämpfen schien. Sie machten den Eindruck, als hätten sie ein enges Verhältnis zueinander und würden einander unterstützen, vielleicht, weil das elende Dasein unter Eje sie miteinander verschweißt hatte. Die Zuneigung, die sie füreinander hegten, hatte aufrichtig gewirkt. Anchesenamuns Plan hatte nur einen Haken. Tutanchamun war kein Kriegerkönig. Er mochte geistige Tugenden besitzen, verfügte aber eindeutig nicht über körperlichen Heldenmut. Unseligerweise wollte die Welt aber, dass ihre Könige ihre Kraft und ihre Männlichkeit mit Paraden, Protestaktionen und gefährlichen Abenteuern unter Beweis stellten. Ja, Helden-Skulpturen konnte man aus Stein meißeln lassen, und beeindruckende Reliefs, die von Tutanchamuns wundersamen Taten, seinen Feldzügen und davon kündeten, wie er die alten Traditionen und Machtverhältnisse wiederhergestellt hatte, ließen sich in Tempeln aufstellen. Und Anchesenamuns Herkunft war auch hilfreich, denn obwohl sie noch jung war, hatte sie vieles von ihrer Mutter – die Schönheit, die Popularität, die geistige Unabhängigkeit. Und sie hatte heute Abend eine bemerkenswerte Standhaftigkeit bewiesen, indem sie sich mit Eje angelegt hatte. Tatsache blieb aber nichtsdestotrotz, dass das Drama um die Macht im Staat einen Haken hatte: Das Lebende Abbild des Gottes war ein gescheiter, aber verängstigter und nicht gerade heldenhafter junger Mann. Das machte sowohl ihn als auch die Königin verletzbar. Und derjenige, der den König mit Angst quälte, wusste das.

Tanefert stand in der Dunkelheit des Türrahmens und beobachtete mich. Ich rutschte zur Seite, damit sie sich zu mir setzen konnte. Sie tat es und knabberte an einer Mandel.

»Wird es jemals einen Abend geben, an dem ich sicher weiß, dass niemand an die Tür klopfen wird, um dich zu bitten, mit ihm zu gehen?«

Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und presste sie fest an mich, aber das war nicht, was sie wollte.

»Das wird nie so sein«, sagte sie. »Niemals.«

Mir fiel nichts Hilfreiches ein, was ich hätte sagen können.

»Ich glaube, ich habe mich daran gewöhnt. Ich nehme es hin. Ich weiß, dass du diesen Beruf hast. Aber manchmal, so wie heute Abend, wenn wir feiern, will ich, dass du hier bist, und ich will wissen, dass du nicht fort musst. Und das ist nicht möglich. Weil Verbrechen und Grausamkeit und Blutvergießen ein Teil dessen sind, was Menschen einander antun, und deshalb wird es immer Arbeit für dich geben. Es werden immer wieder Leute mitten in der Nacht an die Tür klopfen.«

Sie drehte den Kopf zur Seite.

»Ich will immer hier bei euch sein«, stammelte ich. »Immer.«

Sie drehte sich wieder zu mir und sah mir in die Augen.

»Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass du eines Tages nicht zu mir zurückkehrst. Und das könnte ich nicht ertragen.«

Traurig küsste sie mich, erhob sich und verschwand in der Finsternis des Korridors.

16

Als das Königspaar und das königliche Gefolge den großen Ratssaal von Karnak betraten, verstummten sämtlicher Lärm und alles Geschrei – wie zu Beginn eines dramatischen Theaterstücks. Das glühende Licht der Morgensonne brannte durch die Obergadenfenster in den steinernen Saal, und ein letztes lang gezogenes Raunen der Versammelten hallte von den großartigen Säulen wider. Dann war es endgültig still.

Seite an Seite bestiegen Tutanchamun und Anchesenamun das Podest und trampelten dabei mit ihren kleinen königlichen Füßen auf den Feinden des Königreiches herum, deren Darstellungen auf die Stufen gemalt waren. Sie drehten sich um und setzten sich auf die Throne, die in einem Kegel aus gleißendem Licht standen. Einerseits sahen sie aus wie kleine Götter, andererseits wirkten sie noch so unglaublich jung. Mit ihren makellosen Händchen umschlangen sie die Löwenklauen, in denen die Armlehnen der geschnitzten Throne endeten, als herrschten sie sogar über die Natur. Mir fiel auf, dass Anchesenamun flüchtig die Hand ihres Gemahls berührte, als wolle sie ihm damit Mut machen. In ihren weißen Leinengewändern und mit den prunkvollen Halsketten, die jeweils der Kopf und die gespreizten Flügel eines Geiers zierten, strahlten sie förmlich in all ihrer Pracht.

Die Männer des Rats sahen aus wie eine Galerie mit Gemälden grotesker Gestalten: uralte, von Dienern gestützte Knaben mit krummen Rücken, die ihre beste Zeit schon viel zu lange hinter sich hatten. Fette Gesichter, aus denen der ausschweifende Luxus und die Bestechlichkeit ihrer Klasse trieften. Züge, in die sich überheblicher Spott gegraben hatte, in die Falten der Alten ebenso wie in die faden Milchgesichter der Jungen. Weiche Hände und schlabbernde Bäuche. Hängebacken, die beinahe unmännliche Münder umwackelten, in denen sich mit Sicherheit Stümpfe verrottender Zähne aneinanderreihten. Ratsmitglieder, die mit raschem, schlauem Blick die sich ständig verändernden politischen Strömungen einschätzten und daraus die möglichen Züge des vieldimensionierten Spiels ableiteten, das sie spielten. Und die Tyrannen: diese stämmigen, wütenden Fieslinge, die immerzu auf der Jagd nach einem Opfer waren, nach jemandem, den sie angreifen und dem sie die Schuld zuschieben konnten. Mir fiel plötzlich auf, dass einer der Letztgenannten mich anstarrte. Es war Nebamun, der Chef der städtischen Medjai. Er sah wunderbar zornig aus, weil ich dieser Versammlung der Führungsschicht beiwohnte. Freundlich, als wolle ich ihm damit meinen Respekt bekunden, nickte ich ihm zu. Ich hoffte, dass er die Ironie, mit der ich das tat, in ihrer gesamten Tragweite zu schätzen wusste. Dann wandte ich den Kopf, um den König anzusehen. Endlich, als völlige Stille eingetreten war, ergriff Tutanchamun das Wort. Seine Stimme klang hell und leicht, war aber dank der Stille in dem großen Saal klar zu verstehen.