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Das zeigte Wirkung.

»Es tut mir leid, Euch derartige Unannehmlichkeiten zu bereiten«, sprach ich weiter. »Mir ist bewusst, dass Ihr alle vielbeschäftigte Menschen seid, äußerst bedeutsame Stellungen innehabt und zu Hause sicher besorgte Familien auf Euch warten …«

»Wenigstens das ist mir erspart geblieben«, schnaubte einer in der Runde.

»Und ich würde Euch jetzt liebend gern sagen, dass alles erledigt ist, Euch danken und die Tür öffnen, damit Ihr gehen könnt. Das geht aber leider nicht. Bedauerlicherweise werde ich mit jedem Einzelnen von Euch separat sprechen müssen, und darüber hinaus muss ich jeden Beamten und Bediensteten befragen, der in irgendeiner Form mit Eurer Arbeit in diesem Palast zu tun hat …«

Das wurde wieder mit entrüstetem Getöse quittiert, das noch in vollem Gange war, als plötzlich laut gegen die Tür geklopft wurde. Ich war der Erste, dem das auffiel, die anderen brachte es erst peu à peu zum Schweigen. Mit großen Schritten ging ich zur Tür, wütend, weil man mich störte. Zu meinem Entsetzen sah ich Anchesenamun draußen stehen. In der Hand hielt sie einen kleinen Gegenstand.

***

Das magische Figürchen war kaum größer als meine Handspanne. Eingewickelt in ein Leinentuch hatte man es vor das Schlafgemach des Königs gelegt. Wenn es nicht so widerwärtig niederträchtiger Natur gewesen wäre, hätte man es für ein Spielzeug halten können. Die aus dunklem Wachs gefertigte Figur hatte eine menschliche Gestalt, der es jedoch an Ausdruck und Detail mangelte; sie sah aus wie ein halbentwickelter Fötus aus dem Jenseits. Man hatte Kupfernadeln durch den Kopf getrieben, seitlich durch die Ohren, durch die Augen und den Mund in den Hinterkopf sowie vom Scheitelpunkt des Schädels senkrecht nach unten. Keine davon traf den Körper, ganz so, als gelte der Fluch ausschließlich dem Kopf, der Heimstatt allen Denkens, aller Fantasie und aller Furcht. In den Bauchnabel hatte man schwarze Menschenhaare gedrückt, als wolle man der reglosen Masse der Figur auf diese Weise die Seele des erwählten Opfers einflößen. Ich fragte mich, ob es sich bei den Haaren um die des Königs handelte, denn sonst wäre es magisch gesehen nicht effektiv gewesen. Auf der Rückseite hatte man sorgfältig die Namen und Titel des Königs ins Wachs geritzt. Die Verwünschung würde den Tod der Person und seiner Namen zur Folge haben und seine Seele damit auch für das Leben nach dem Tod zerstören. Menschen, die an die Wirksamkeit solcher Figürchen glaubten, hielten sie für mächtige, alte Zaubermittel. Es war ein weiterer Versuch, Angst und Schrecken zu verbreiten. Allerdings war diese Drohung wesentlich persönlicher als die anderen, sogar noch persönlicher als die Totenmaske; denn mit der Figur wurde die unsterbliche Seele des Königs verflucht.

Auf der Rückseite des Figürchens hatte man eine kleine Schriftrolle in das Wachs gedrückt. Ich zog sie heraus und rollte sie vorsichtig auseinander. Mit roter Tinte hatte man winzige Zeichen auf den Papyrus geschrieben, die genau so aussahen wie die Zeichen, die man in den Innen- und Außenrand des Deckels der Kiste mit der Totenmaske geritzt hatte. Unter Umständen bedeuteten sie nur Blödsinn, denn bei Verwünschungen wird oft nur Blödsinn geredet, doch sie konnten natürlich auch in einer verbürgten Zaubersprache abgefasst sein.

Während ich meine Untersuchung des Objekts fortsetzte, standen Anchesenamun, Khay und Simut ungeduldig neben mir.

»So kann das nicht weitergehen«, tönte Khay, als reiche es, das auszusprechen, um zu erwirken, dass es auch so kam. »Das ist eine absolute Katastrophe …«

Ich schwieg.

»Drei Mal ist man in die Privatgemächer des Königs eingedrungen«, blökte er im Ton einer Ziege weiter. »Drei Mal hat man ihn verängstigt und –«

»Wo ist er jetzt?«, fiel ich ihm ins Wort.

»Er hat sich in andere Gemächer zurückgezogen«, erwiderte Anchesenamun. »Sein Leibarzt kümmert sich um ihn.«

»Und wie hat er auf das hier reagiert?«

»Er ist – aufgewühlt.« Sie sah mich an, seufzte und sprach dann weiter. »Als wir die Todesfigur fanden, bekam er plötzlich kaum noch Luft, und sein Herz krampfte sich zusammen wie ein Knoten in einem Seil. Ich hatte Sorge, er würde an dem Grauen sterben. Und morgen ist die Einweihung der Säulenhalle. Der muss er beiwohnen. Das hier hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt passieren können.«

»Der Zeitpunkt wurde mit Absicht so gewählt«, erwiderte ich.

Wieder schaute ich auf das Figürchen.

»Wer immer das getan hat, scheint in der Lage gewesen zu sein, echte Haare des Königs dort anzubringen.«

Ich zeigte es Khay. Voller Abscheu schaute er auf das Figürchen.

»Doch scheint bisher niemandem aufgefallen zu sein«, erklärte Simut mit seiner langsamen Sprechweise und überlauten Stimme, »dass all die sogenannten Verdächtigen genau zu der Zeit, da das hier aufgefunden wurde, in einem Raum zusammensaßen. Es ist nicht möglich, dass einer von denen das abgelegt hat.«

Damit hatte er natürlich recht.

»Geht bitte zu den Herren«, bat ich Khay, »entschuldigt Euch in meinem Namen bei ihnen und lasst sie gehen. Dankt ihnen, dass sie mir ihre Zeit geopfert haben.«

»Aber was genau soll ich ihnen sagen?«, stöhnte Khay.

»Sagt ihnen, dass wir eine neue Spur haben. Eine vielversprechende neue Spur.«

»Wenn das doch bloß wahr wäre«, erwiderte er in bitterem Ton. »Mir kommt es so vor, als stünden wir dieser Gefahr völlig machtlos gegenüber. Die Zeit läuft uns davon, Rahotep.«

Er schüttelte den Kopf und ging, und Simut begleitete ihn, vorsichtshalber.

Ich wickelte die Todesfigur in ein Leinentuch und steckte sie in meine Tasche, weil ich wollte, dass Nacht sich die Zeichen ansah; vielleicht konnte der mit der Sprache etwas anfangen. Anchesenamun und ich standen immer noch auf dem Korridor. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich plötzlich wie ein Tier, das in der Falle sitzt und geduldig sein Schicksal erwartet. Dann fiel mir auf, dass die Türen, die ins Schlafgemach des Königs führten, einen Spaltbreit offen standen.

»Darf ich?«, fragte ich. Sie nickte.

Das Zimmer erinnerte mich an den Traum, den ein Kind von dem Raum hat, in dem es spielen und seiner Fantasie freien Lauf lassen möchte. Hunderte Spielzeuge waren darin, wurden in Holzkisten, auf Regalen oder in geflochtenen Körben aufbewahrt. Einige waren alt und morsch, als hätten sie bereits vielen Generationen von Kindern gehört, aber die meisten waren noch recht neu und bestimmt auf persönlichen Auftrag hin angefertigt worden: mit Intarsien verzierte Kreisel; Murmel-Kollektionen; eine Schatulle, in deren Oberseite ein elegantes Senet-Brett eingearbeitet war; darunter befand sich eine Schublade für die Spielfiguren aus Ebenholz und Elfenbein, und das Ganze stand auf eleganten Füßchen aus Ebenholz. Es gab auch massenhaft Tiere aus Holz und Ton, deren Kiefer und Gliedmaßen man bewegen konnte. Unter anderem waren da eine Katze, deren Kiefer sich mit einem Strick öffnen ließ, geschnitzte Heuschrecken, deren Flügel so lebensecht flatterten wie die ihrer lebendigen Vorlagen, ein Pferd auf Rädern und ein Vogel mit einem breiten Schwanz, der wunderschön bemalt war und picken konnte. Ich erblickte dickliche Elfenbeinzwerge, die auf einem breiten Stück Holz saßen und an Fäden hingen, an denen man sie von der einen Seite zur anderen tanzen lassen konnte. Und neben dem vergoldeten Bett, dessen Kopfteil aus blauem Glas gefertigt war, in das ein Schutzspruch eingeritzt war, saß ein einzelner aus Holz geschnitzter Affe mit rundem, grinsendem, beinahe menschlichem Gesicht und langen, beweglichen Gliedmaßen, mit denen er sich von einem imaginären Baum zum anderen schwingen konnte. Es gab auch Malpaletten mit Vertiefungen voller Farben. Zwischen den Spielzeugtieren steckten Jagdstöcke und Bögen und Pfeile und eine Silbertrompete mit goldenem Mundstück. Und an der gegenüberliegenden Wand des Zimmers waren überall Käfige, in denen winzige Vögel flatterten und dabei ab und an gegen die dünnen Stangen ihrer prächtigen hölzernen Paläste stießen, in denen es an nichts fehlte, nicht einmal an winzigen Schlafkammern, Wachtürmen und Schwimmbecken.