Ich schaute zu Kheti hinüber.
»Mich verwirrt schon seit langer Zeit, wie es möglich ist, eine derart große Nachfrage zu stillen. Ich meine, es werden an der Grenze nur wenige junge Leute festgenommen. Folglich schmuggeln viele den Stoff erfolgreich in die Städte und in Etablissements wie dieses hier. Das ist eine direkte und bequeme Handelsroute, die kaum Risiken birgt. Wir wissen, dass die jungen Leute, die herkommen, um hier zu arbeiten, Drogen schmuggeln. Aber selbst wenn es Tausende davon gäbe, wären die nicht in der Lage, einen derart begehrten Luxusartikel in der Menge zu transportieren, die nötig ist, um die Nachfrage zu befriedigen. Mithin ist mir das Ganze ein Rätsel.«
Sie senkte den Blick.
»Wie ich bereits sagte, habe ich mit solchen Dingen nichts zu tun.«
Ich nahm sie eingehend in Augenschein. Mir fiel auf, dass ihre Pupillen geweitet waren. Sie bekam mit, dass ich das sah.
»Es wäre ein Leichtes für mich, einen Trupp Medjai anzufordern und den Laden hier durchsuchen zu lassen«, sagte ich. »Dass das Gros deiner Kunden eine Entlarvung begrüßen würde, bezweifle ich.«
»Und ich bezweifle, dass Euch bewusst ist, wie wenige es schätzen würden, wenn Ihr so etwas Dummes tätet. Was meint Ihr denn, wer hierherkommt? Unsere Kunden gehören den höchsten Kreisen der Gesellschaft an. Sie würden einem kleinen Beamten, wie Ihr es seid, niemals gestatten, irgendwelchen Ärger zu machen.«
Sie schüttelte den Kopf, erhob sich und läutete ein winziges Glöckchen. Sofort wurde die Tür geöffnet, die beiden Schlägertypen standen parat, und sie lächelten uns nicht an.
»Die Herren möchten sich verabschieden«, sagte sie.
Leise und ruhig waren wir gegangen, aber als wir erst einmal draußen waren, tauschten die beiden Schläger einen Blick, nickten einander zu, und im nächsten Moment verpasste mir der Kerl, den ich veralbert hatte, einen sehr harten Schlag ins Gesicht. Ich gebe zu, dass es ein platzierter Schlag war, und es tat weh. Der andere boxte auf Kheti ein, weniger gemein und wohl nur, um uns beiden die gleiche Behandlung zuteilwerden zu lassen.
»Nun seid doch nicht so empfindlich«, rief ich ihnen nach, bevor sie die Tür hinter sich zuschlugen, und rieb mir dabei mein Kinn. Dann standen wir auf der düsteren und plötzlich totenstillen Straße.
»Wage nicht, mir zu erklären, das hätte ich nicht anders verdient«, sagte ich zu Kheti.
»Gut, dann verkneife ich mir das«, erwiderte er.
Wir machten uns auf den Weg durch die Dunkelheit.
»Also«, meinte Kheti, »wie kommt denn nun all dieses Zeug in die Beiden Länder? Diese Kinder können das unmöglich bewerkstelligen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, dass diese Kinder, diese Kuriere, lediglich ein Ablenkungsmanöver sind. Sie sind unwichtig. Der Transport muss in sehr viel größeren Mengen ablaufen. Aber wenn der Drogenschmuggel auf Schiffen erfolgt, werden die Hafenbeamten bestochen, und wenn sie auf dem Landweg hergeschafft werden, bekommen die Grenzposten Schmiergeld.«
»Irgendwo macht also jemand ein Vermögen«, sagte er. »Und das muss ein sehr mächtiger Mann sein, der über sehr viele gute Beziehungen verfügt.«
Ich seufzte.
»Es gibt Tage, an denen fühlt unsere Arbeit sich an, als wolle man die Wasser des Großen Flusses mit bloßen Händen aufhalten.«
»Darüber zerbreche ich mir fast jeden Morgen den Kopf«, erwiderte Kheti. »Aber dann stehe ich auf und gehe zur Arbeit. Und dadurch bekomme ich dann Gelegenheit, Zeit mit dir zu verbringen, was zumindest ein bisschen entschädigt.«
»Wie gut du doch dran bist, Kheti«, sagte ich. »Nur überleg maclass="underline" Wenigstens sehen wir jetzt die Verbindungen klarer. Es war bei jedem der Morde vonnöten, die Opfer zu betäuben, sehr wahrscheinlich mit der Droge. Das Mädchen hat hier gearbeitet. Aller Wahrscheinlichkeit nach liefern die Kuriere die Drogen hier an. Sie werden vermutlich von Etablissements wie diesem in der ganzen Stadt vertrieben. Das ist doch schon mal was.«
»Und vergiss nicht, dass der Mörder überdies dafür sorgt, dass du zwischen zwei Welten hin und her tänzelst«, sagte er und grinste mich schief an.
Wenn wir recht hatten, also ein und dieselbe Person für beide Verbrechensserien verantwortlich war, tat ich hier nur eines: Ich sprang von Indiz zu Indiz wie ein Hund, der einer Spur aus Leckerchen folgt und die Augen dabei fest auf den Boden heftet, sodass er nichts anderes mehr sieht.
Ich wünschte Kheti eine gute Nacht und machte mich zur Abwechslung mal auf den Weg zu meinem eigenen Zuhause.
21
Der starre Blick der grellen Spätvormittagssonne verschonte nichts und niemanden. Die Hitze ließ die Stadt wie gebacken wirken, hart und trocken, braun, gelb und weiß. Ich blickte nach oben und sah einen Falken, der mit dunklen, weit ausgebreiteten Schwingen durch die gleißende Helligkeit schwebte, sich elegant immer wieder neu ausrichtete und von der heißen Wüstenluft tragen ließ. Er war Horus, und sein rechtes Auge war das Sonnenauge, sein linkes das Mondauge. Was sah er, wenn er auf unsere seltsame kleine Welt niederblickte, auf diese Welt aus Statuen und Ungeheuern, Menschenmassen und Paraden, Tempeln und Bruchbuden, Villen und Schweineställen? Was hielt er von dieser Prozession winziger Gestalten, die sich im Schutz dürftiger Sonnenschirme feierlich gemessenen Schrittes ihren Weg über die von perfekt gestutzten Bäumen gesäumte Straße der Sphingen bahnte und auf den Südtempel zu bewegte? Sah er mich? Fiel ihm auf, dass ich mich wie ein Schauspieler verkleidet hatte und die weißen Gewänder eines Priesters trug? Sah er uns alle? In unserer grünen Welt aus Feldern und Bäumen, abhängig von der glitzernden Schlange des Großen Flusses und umzingelt von der Endlosigkeit des ewigen Roten Landes? Was sah er jenseits des Horizonts? Ich beobachtete, dass er sich geraume Zeit hoch über uns in der Luft hielt; dann flog er mit einer Bewegung, die aussah wie ein Schulterzucken, Richtung Fluss davon und verschwand über den Dächern.
***
Ich hatte schlecht geschlafen, wieder mal. Ich hatte von dem Jungen geträumt. Im Traum trug er das Gesicht des jungen Mädchens Neferet, und sie lächelte mich geheimnisvoll an. Dann begann ich, ihr Gesicht langsam und vorsichtig herunterzuschälen, aber sie lächelte weiter. Und als ich ihr das Gesicht schließlich über den Kopf nach hinten zog, erblickte ich darunter nichts als Schwärze und roch den süßlichen Gestank der Verwesung. Abrupt war ich aufgewacht, mit hämmerndem Schädel. Vielleicht war der derbe Wein vom Vorabend noch derber gewesen, als ich gedacht hatte. Tanefert hatte am Morgen keinerlei Mitgefühl für mich aufgebracht. Und als ich mit kahlgeschorenem Schädel vom Barbier zurückkehrte, hatte sie nur den Kopf geschüttelt.
»Wie sehe ich aus?«, hatte ich gefragt und mir dabei mit der Hand über die polierte Glatze gestrichen.
»Du siehst aus wie ein Riesenbaby«, hatte sie erwidert, was nicht gerade hilfreich war.
»Also nicht wie ein Tempelpriester?«
Sie lachte laut auf, was ich ihr zugutehielt.
»Eher nicht … Und komm erst wieder nach Hause, wenn das alles nachgewachsen ist.«
Zu beiden Seiten der Straße der Sphingen standen geordnete Menschentrauben stumm und wie aufgestellt in der sengenden Hitze, in der sich kein Lüftchen regte. Doch sobald der König und die Königin in ihrem Streitwagen an ihnen vorüberfuhren, schrien sie ihnen Lobpreisungen zu. Tutanchamun trug die Blaue Krone und war von dicht beieinanderstehenden Palastwachen umringt; die Federn ihres Kopfputzes wippten, und ihre frisch polierten Pfeile und Bögen schimmerten im Licht. Die gesamte Straße war von Soldaten der thebanischen Truppen gesäumt. Simut hatte ganze Arbeit geleistet und alle Ressourcen zum Einsatz gebracht, die seinem Kommando unterstanden. Eje folgte in seinem Streitwagen. Simut und ich fuhren zusammen. Hochkonzentriert behielt er alles im Blick, suchte nach irgendeiner Kleinigkeit, die nicht so war, wie sie hätte sein sollen, nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass es Probleme geben könnte. Das Schlusslicht bildete ein langer, schlurfender Rattenschwanz aus zahlreichen anderen Priestern und Palastbeamten, zu denen auch Khay gehörte, und die trugen alle die gleichen weißen Gewänder, und jeder von ihnen hatte seine schwitzenden Diener dabei, die Sonnenschirme über ihre Herren hielten. Mir fiel ein streunender Hund auf, der diese merkwürdig triste Kavalkade begleitete und zwischen den Schatten der Bäume und den marschierenden Soldaten umherstrich. Immerzu bellte er und fletschte die Zähne, als habe er soeben den Schatten eines Feindes oder eines Eindringlings erspäht. Da schoss plötzlich einer der thebanischen Soldaten mit einem Pfeil auf ihn und tötete das Tier. Erschrocken wandte die Menge sich um, jedoch geriet niemand in Panik, und der Zug bewegte sich weiter.