Выбрать главу

Als wir endlich den Eingang zum Tempel erreichten, lief mir der Schweiß bereits den Rücken hinunter. Man hatte ein Sonnensegel aus Leinen vor den gewaltigen, mit Gold und Silber geschmückten Doppeltüren angebracht, die in die neue Säulenhalle führten. Als ich selbst noch ein Junge gewesen war, hatte der Großvater des Königs mit der Erbauung der Halle begonnen, ein ehrgeiziger Plan, bei dessen Umsetzung ein Gewirr aus kleinen, uralten Schreinen einem gewaltigen, düster-modernen Bau weichen sollte, dessen Steinsäulen in den Himmel ragten und deren jede einen Umfang hatte, dass eine Menschentraube Platz darauf fand. Das Wunder der Welt sollte es werden, und mir wurde nun heute das außerordentliche Privileg zuteil, es mit eigenen Augen sehen zu dürfen.

Das Gelände vor dem Tempel war übersät mit Tausenden weiß gewandeter Priester – so vielen, dass der weite offene Platz, als sie auf die Knie sanken, aussah wie ein gewaltiger weißer See. Die Tempelmusikanten stimmten ein neues Stück an. Simuts dunkle Augen waren überall. Vorbereitet auf sämtliche Eventualitäten überprüften sie die Stellungen seiner Bogenschützen auf den Tempelmauern, die exakte Formation seiner Wachsoldaten, die den König und die Königin zum Schutz flankierten, und auch sonst alles und jeden. Dieses Mal durften keine Fehler passieren, durfte es keine Überraschungen geben, kein Blut und keine Massenpanik.

Endlich wurden die Tempeltrompeten angehoben. Sie strahlten im hellen Licht, und dann erklang eine Fanfare, und wir schritten durch die prächtigen Türen und die mit Schnitzereien verzierten, gewaltigen Steinblöcke der Außenmauern in die grandiose Säulenhalle. Im ersten Moment erinnerte mich das Ganze an ein Schattenreich. Perfekt gemeißelte Säulen, die einen wesentlich größeren Umfang hatten als jede Palme – jede war so dick wie mindestens zehn Palmen –, ragten in die kühle, dunkle und geheimnisvolle Luft. Vierzehn dieser jeweils etwa dreißig Ellen hohen Säulen, die in zwei imposanten Reihen standen, trugen das gewaltige Dach wie eine kolossale Arkade aus Stein einen Nachthimmel aus Granit. Gleißend helles Licht schoss in dünnen Strahlen aus den hohen, schmalen Obergadenfenstern nieder, und darin schwebten und tanzten für einen kurzen Moment kleinste Staubpartikel. An jeder Stelle, an der das intensive Licht den Stein berührte, illuminierte es die bemalten Reliefs, die alle Flächen zierten.

Der lange Rattenschwanz aus Würdenträgern und Beamten schlurfte hinter uns herein. Sie versammelten sich, indem sie einander drückten und schoben und klagten, weil sie alle einen Platz unter den gewaltigen Säulen finden wollten. In der atemberaubenden Architektur der Halle wirkten sie mickrig und unbedeutend. Sie klangen wie eine Herde Ziegen, die keuchend, hustend und schlurfend beim Anblick dieses neuen Wunders erstaunt ihre kurzen Kommentare wisperten. Doch waren das hier die Männer, von denen Ruhm und Macht des Königreiches abhingen. Die hohen Beamten des Palastes, die hohen Beamten der Ministerien, die hohen Beamten der Tempel; all jene, die ihre Macht und ihren Wohlstand unter Echnaton, dem Vater des Königs, verloren und jetzt zurückbekommen hatten und behaupteten, in den Beiden Ländern wieder die maat hergestellt zu haben. Was sie natürlich in Wahrheit wiederhergestellt hatten, war ihre eigene unerbittliche Autorität und das Recht, die unendlichen Ressourcen und Geschäftsmöglichkeiten der Beiden Länder zum Wohle ihrer eigenen Schatzkammern zu verwalten und weiterzuentwickeln. Und der König war trotz seiner Passivität die Ikone dieser Restauration. In einem anderen heiligen Bezirk, im Tempel von Karnak, war zu Beginn seiner Regenschaft auf seine Anordnung hin – oder besser gesagt, auf Anordnung Ejes, die in seinem Namen erfolgte – eine Steinstele aufgestellt worden, in die man Worte gemeißelt hatte, die für die Ewigkeit gedacht und sehr berühmt geworden waren: »Es ging drunter und drüber im Land, und die Götter hatten sich vom ganzen Land abgewandt. Aber nach vielen Tagen bestieg meine Majestät den Thron des Vaters und herrschte über das Reich des Horus, und jetzt unterstanden sowohl das Schwarze wie auch das Rote Land seiner Macht.« Folglich sah es so aus, als sei das, was der Großvater nicht fertiggestellt hatte, jetzt unter der Herrschaft des Enkels vollendet worden. Und das kurze Intermezzo unter Echnaton versuchte man einfach zu vergessen. Man kümmerte sich nicht um die Bauwerke aus jener Zeit, ignorierte Echnatons Bildnisse, sprach seinen Namen nicht aus, gedachte seiner nicht, ganz so, als habe es ihn nie gegeben. Das Einzige, was vielen noch lebhaft im Gedächtnis war, obwohl sie es verdrängten, war die Erinnerung an seine religiöse Aufklärung und an seinen Versuch, den traditionellen Priestern alle Macht zu entziehen.

Der König und seine Entourage wurden gebeten, die Wanddekoration in Augenschein zu nehmen, mit der die gesamte neuen Außenmauer verziert war. Priester hielten Fackeln hoch oder stellten sich in Gruppen zusammen, damit ihre weißen Gewänder das einfallende Licht reflektierten und dadurch die Details der farbenfroh bemalten Reliefarbeiten auch an den Stellen sichtbar wurden, an denen sie in der Dunkelheit verborgen lagen. Durch das Flackern der Flammen sahen die bunten Darstellungen aus, als würden sie sich bewegen. Ich war sehr bemüht, ganz in der Nähe des Königs und der Königin zu stehen, auch, weil ich mir diese Wunder ansehen wollte. Zunächst einmal illuminierte gleich am Eingang ein gleißender Sonnenstrahl – durch Zufall oder weil man es gezielt so eingerichtet hatte – die in Stein gemeißelten Gesichtszüge des Königs. Ich beobachtete, wie er sich vor sein steinernes Bildnis stellte und den Tempelgott begrüßte. Der leibhaftige Tutanchamun, ein Wesen aus Fleisch und Blut mit kindischen Ängsten und einem zarten Gesichtchen, begutachtete sein steinernes Ebenbild, das die breiten Schultern und die entschlossenen, gebieterischen Züge eines Königs hatte. Ich muss gestehen, dass sie einander überhaupt nicht glichen, wenn man vom Profil und den Ohren absah, die sorgfältig nachempfunden waren.

Alle liefen sie weiter und schlurften an der langen Westmauer entlang. Hier waren Steingravuren, auf denen die während des Opet-Festes stattfindende rituelle Schiffsprozession der Götter nach Karnak zu sehen war. In minutiösem Detail waren die gelenkigen Akrobaten, die Barken mit ihren Takelagen und die blinden Musikanten mit ihren Instrumenten dargestellt. Jedes einzelne Gesicht sah aus wie das Porträt eines Menschen, den ich in einer Menge hätte wiedererkennen können. Ich fragte mich, ob mein eigenes Gesicht und die Gesichter meiner Familie vielleicht auch darunter waren.

Als Nächstes bewegte sich die Gruppe um den König, gespannt und unter großem Geschubse, in Begleitung sämtlicher Beamten und Diener quer durch die Halle zur gegenüberliegenden Mauer, auf der die Geschichte des Festes weitererzählt wurde. Tutanchamun und die Königin schritten langsam daran vorüber, sahen sich die Darstellungen aufmerksam an und lauschten dem Hohepriester und seinen Messdienern, die sich respektvoll zu ihnen herabbeugten, Lobpreisungen und Informationen wisperten und ohne jeden Zweifel die frappanten Kosten erwähnten und die bemerkenswerten Fakten auflisteten, die bewiesen, welch großartige Arbeit der Tempel leistete, wenn er die Darstellungen des Königs und der Götter glorifizierte. Das Ganze ging seinen vorgezeichneten Gang.