»Das ist ein fabelhafter Kompromiss«, meinte Khay sogleich. »So etwas lässt sich schnell organisieren. Wenn wir einen Löwen in die Einzäunung des Jagdparks schaffen und vielleicht auch noch ein paar wilde Hirsche …«, sprach er hoffnungsvoll weiter.
Aber die Miene des Königs verfinsterte sich.
»Nein. Eine rituelle Jagd ist nicht genug. Tapferkeit und Können müssen unter Beweis gestellt werden. Welche Würde liegt darin, einen Löwen zu töten, der bereits gefangen wurde und nicht mehr fliehen kann? Man muss mich dabei erleben, wie ich einen Löwen töte. Und das muss in der Wildnis geschehen, in seinem Lebensraum. Man muss mich dabei erleben, wie ich in einem Land des Chaos meine königliche Autorität geltend mache. Daran darf nichts Symbolisches sein«, erklärte er.
Das brachte uns alle zum Schweigen.
Jetzt war es an Simut, etwas zu sagen. Er war weniger diplomatisch.
»Im Jagdpark können wir das Umfeld sichern. Und damit Eure Sicherheit garantieren. Aber die Wüste birgt große Gefahren.«
»Damit hat er recht«, pflichtete Anchesenamun ihm bei. »Geht es nicht hauptsächlich um das Spektakel?«
Tutanchamun schüttelte den Kopf.
»Jeder wird wissen, dass ich ein Tier getötet habe, das in der Falle saß; mehr nicht. Das ist nicht die richtige Geste, um mit ihr meine königliche Herrschaft zu beginnen. Ich bin ein guter Jäger. Ich werde mich beweisen. Wir werden in die Wüste gehen.«
Khay versuchte es noch einmal.
»Hat Euer Majestät berücksichtigt, dass wir, um die Jagdgefilde im Nordwesten oder Nordosten zu erreichen, Memphis passieren müssen? Das ist vielleicht nicht gerade … wünschenswert. Schließlich ist das Haremhabs Stadt«, murmelte er weiter, »und der Stützpunkt seiner Armee.« Er schien nicht so recht zu wissen, wie er es ausdrücken sollte.
Wieder stand Tutanchamun auf, wobei er sich elegant auf seinen goldenen Gehstock stützte.
»Ein Besuch des Königs in Memphis ist zu diesem Zeitpunkt höchst wünschenswert. Wir beabsichtigen, ein engeres Verhältnis zu Haremhab aufzubauen. Er ist ein alter Verbündeter, und für den Fall, dass ihr das vergessen haben solltet: Er war in Memphis mein Lehrer. Er ist schon zu lange in die Hethiter-Kriege verwickelt. Wir werden mit allem zu Gebote stehenden Prunk reisen. Es ist erforderlich, dass ich dort erscheine, jetzt mehr denn je, gerade weil es Haremhabs Stadt ist. Mein Besuch muss meine neue Autorität unter Beweis stellen. Und wenn das vollbracht ist, werde ich in einem Triumphzug nach Theben zurückkehren und durch die Straßen der Stadt paradieren, sodass jeder wissen und anerkennen wird, dass Tutanchamun der König ist, nicht nur dem Namen nach, sondern auch aufgrund seiner Taten.«
Das Ganze hatte eine solche Tragweite und so viele mögliche Auswirkungen, dass uns die Köpfe schwirrten. Wieder ergriff Anchesenamun das Wort:
»Der König hat recht. Er muss dabei gesehen werden, wie er König ist und Dinge tut, die Könige tun. Das ist zwingend erforderlich und muss getan werden. Um eine wichtige Sache müssen wir allerdings bitten. Das ist meine persönliche Bitte …«
Sie sah mich unverwandt an.
»Rahotep, wirst du den König begleiten? Du und Simut wäret gemeinsam für seine Sicherheit verantwortlich.«
Wie war das denn jetzt passiert? Warum hatte ich nach allem die Arschkarte gezogen? Wie hatte ich mich so tief in diese Situation hineinmanövriert, dass ich jetzt nur noch die Wahl hatte weiterzulaufen? Ich erinnerte mich an Anchesenamuns erste Bitte, an ihr Flehen, das Not und Furcht verursacht hatten. Ich beschloss, jetzt noch nicht über die Konsequenzen nachzudenken, die das hier zu Hause für mich haben würde, oder über die Schuldzuweisungen, die auf mich niedergehen würden.
Ich neigte den Kopf. Simut sah mich an und nickte zustimmend.
»Wir werden ein gut geschultes und absolut vertrauenswürdiges Team brauchen. Aber lasst uns nur wenige Leute mitnehmen, ohne Aufwand und überflüssigen Prunk: einen Koch, Fährtenleser, Diener und eine Hand voll Wachen. Alle müssen sowohl vom Palast als auch vom Schatzamt auf ihren Leumund überprüft werden. Das heißt: von Eje persönlich«, sagte ich.
»Das ist ein gescheiter Vorschlag«, erwiderte Anchesenamun, »so beziehen wir den Regenten in die Vorbereitungen mit ein, statt ihn auszuschließen; denn wenn er ausgeschlossen wird, ist er gefährlicher.«
Khay begriff, dass ihm keine andere Wahl blieb als zuzustimmen.
»Ich werde mit Simut alle erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen für den Besuch in Memphis treffen«, sagte er.
»Großartig«, meinte Tutanchamun und klatschte in die Hände. Mir fiel auf, dass er zum ersten Mal glücklich aussah.
23
Das Haus wirkte wie ausgestorben, als ich dort eintraf. Mir wurde bewusst, wie selten ich tagsüber hier war. Ich fühlte mich wie ein Fremder, ganz so, wie Männer sich häufig schon mal in ihrem eigenen Heim fühlen. Ich rief laut einen Gruß, aber nur Thot reagierte auf meine Stimme und trabte mit erhobenem Schwanz zu mir.
Tanefert war auf dem Dach und goss die Pflanzen. Eine Weile blieb ich schweigend auf der obersten Treppenstufe unter dem Dachvorsprung stehen und beobachtete sie einfach nur dabei, wie sie selbstbewusst und gedankenverloren von einem Topf zum nächsten ging. Sie hat inzwischen ein paar silberne Strähnen in ihrem nachtschwarzen Haar, und sie weigert sich – zu Recht –, die zu färben oder herauszurupfen. Wir sind schon so viele Jahre zusammen, mehr als die Hälfte meines Lebens. Ich weiß, was für ein Glück ich gehabt habe. Das Leben, bevor ich ihr begegnete, ist nur noch wie der verschwommene Traum von einer anderen Welt; und das Leben seither ist eine neue Geschichte – mit unseren Mädchen, die jetzt schon fast junge Frauen sind, und mit meinem Sohn, der späten Überraschung.
Sie stellte die Gießkanne auf den Boden und streckte ihren Rücken durch. Ihre vielen Armreife rutschten glitzernd und klimpernd über ihre zarte Haut. Einen Moment kamen sie mir vor wie die Jahre, die wir jetzt zusammen sind, denn ich hatte ihr jedes Jahr zu unserem Hochzeitstag einen neuen Reif geschenkt.
Da entdeckte sie mich. Da es äußerst merkwürdig war, dass ich um diese Uhrzeit hier auftauchte, sah sie mich fragend an. Ich lief zu ihr, legte meinen Arm um ihre Schulter, und dann standen wir schweigend nebeneinander und blickten nieder auf die Stadt. Es war Spätnachmittag, und die Sonne hatte sich zur anderen Seite des Großen Flusses begeben, wo sie jetzt über dem Westufer hing. Wir hatten einen unverstellten Blick auf sämtliche Dächer unseres Viertels, die voller Wäsche waren, die man in die Hitze gehängt hatte, voller Gemüse, das auf Gestellen trocknete, voller ausrangierter oder recycelter Möbelstücke und Vogelkäfige.
»Deine Pflanzen blühen und gedeihen«, hob ich zaghaft an, um dem Schweigen ein Ende zu machen.
»Sie brauchen nicht viel, nur Wasser, Sonne und ein wenig Aufmerksamkeit …«
Mehr sagte sie nicht, bedachte mich aber mit einem ihrer vielsagenden Blicke. Wie immer hatte sie meinen Gesichtsausdruck sofort richtig gedeutet. Leicht würde sie es mir hier nicht machen. Sie wartete, spielte mit einem braunen vertrockneten Blatt.
Ich überlegte, wie ich das Thema wohl am besten anschnitt.
»Ich muss für ein paar Tage fort.«
Sie starrte weiter auf den Horizont und genoss die frische, leichte Brise aus dem Norden. Sie schüttelte ihr feines schwarzes Haar, und für einen Moment fiel es ihr ins Gesicht. Dann strich sie es wieder glatt und steckte es zu einem glänzenden Knoten zusammen.
Sacht drehte ich sie zu mir und nahm sie in die Arme. Aber sie verspannte sich unter der Berührung.
»Versuch nicht, es damit in Ordnung zu bringen. Ich habe Angst.«
Ich presste sie noch fester an mich, und sie entspannte sich ein wenig.