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»Du und die Kinder bedeuten mir mehr als alles andere auf der Welt. Kheti hat den Auftrag, auf euch alle aufzupassen und zu helfen, wenn ihr irgendetwas braucht.«

Sie nickte.

»Wie lange wirst du fort sein?«

»Zehn Tage etwa … höchstens zwei Wochen.«

»Das Gleiche hast du beim letzten Mal behauptet. Und du hast versprochen, so etwas nie wieder zu tun.«

»Es tut mir leid. Glaub mir, ich hatte keine andere Wahl.«

Sie bedachte mich mit einem Blick, wie er finsterer nicht hätte sein können.

»Man hat immer die Wahl.«

»Nein, das ist nicht wahr. Ich habe nie den Eindruck, dass ich mich frei entscheiden kann. Ich fühle mich immer, als säße ich in einer Falle, in der ich von Umständen abhängig bin, auf die ich keinerlei Einfluss habe. Und mit jedem Schritt, den ich gehe, egal in welche Richtung, gerate ich nur tiefer in die Falle.«

»Und ich habe Angst davor, dass es an der Tür klopft«, erwiderte sie. »Dass ich sie öffnen muss und draußen ein grimmiger Medjai steht, der sich mit formeller Miene darauf vorbereitet, mir die schlechten Nachrichten zu überbringen.«

»Das wird nicht passieren. Ich kann auf mich aufpassen.«

»Sicher kannst du da nie sein. Dazu ist diese Welt viel zu gefährlich. Und ich weiß, dass du dich nie so lebendig fühlst wie in Augenblicken größter Gefahr.«

Dazu konnte ich nichts sagen.

»Wohin gehst du?«

»Auf die Jagd.«

Obwohl ihr nicht danach zumute war, lachte sie.

»Das ist kein Witz. Ich begleite den König in die Jagdgefilde im Norden von Memphis.«

Ihre Miene verfinsterte sich wieder.

»Warum?«

Ich führte sie über die Treppe nach unten, und wir setzten uns in die schattige Stille unseres kleinen Vorgartens. Thot beobachtete uns aus seiner Ecke. Der Lärm der Welt – die Straßenverkäufer, die schreienden Kinder, die zurückschreienden Mütter – war nur in der Ferne zu hören. Ich erzählte ihr alles.

»Anchesenamun …«

»Ja?«

»Vertraust du ihr?«

Ich zögerte, und das fiel ihr auf.

»Sei vorsichtig«, sagte sie und wollte das gerade weiter ausführen, als das Tor zur Straße mit einem Knall aufflog und Thuju und Nedjmet in den Hof stürzten. Sie stritten über etwas, was offenbar von enormer Wichtigkeit war. Nedjmet warf sich auf den dösenden Thot, der inzwischen gelernt hatte, ihre plumpen Liebesbekundungen zu tolerieren. Thuju schloss Tanefert und mich in die Arme, aß ein wenig Obst und lehnte sich dabei gegen meine Knie. Ich bewunderte ihre geschmeidige Anmut und ihr schimmerndes Haar.

Tanefert ging ins Haus, um ihnen Wasser zu holen. Meine zweitälteste Tochter erzählte mir derweil, was ihr gerade durch den Kopf ging.

»Ich weiß nicht, ob ich heiraten werde.«

»Warum nicht?«

»Weil ich schreiben und denken und selbst für mich sorgen kann.«

»Das schließt aber nicht aus, dass du jemandem begegnest, den du lieben kannst …«

»Nur warum sollte man sich damit begnügen, nur einen einzigen Menschen zu lieben, wo es doch so viele Menschen gibt?«

Ich strich ihr über die Haare.

»Weil Liebe eine Entscheidung ist, mein Schatz.«

Sie ließ sich das durch den Kopf gehen.

»Alle sagen, dass sie sich gar nicht dagegen wehren können.«

»So fühlt sich das an, wenn man sich verliebt. Bei wahrer Liebe ist es anders.«

Zweifelnd verzog sie das Gesicht.

»Warum ist es dabei anders?«

Im gleichen Moment kam Tanefert mit dem Wasserkrug zurück. Sie füllte vier Becher und wartete dabei auf meine Antwort.

»Wenn man sich verliebt, ist das romantisch und wundervoll, und das ist eine ganz besondere Zeit. Eine Phase, die sich anfühlt, als würde sonst nichts eine Rolle spielen. Aber Liebe zu leben, jahrein, jahraus, in einer wahrhaftigen Partnerschaft, das ist ein echtes Geschenk.«

Thuju sah uns beide an, und im nächsten Moment hob sie den Blick gen Himmel und meinte: »Das klingt so alt.« Und dann lachte sie und trank ihr Wasser.

Kurz darauf brachte das Kindermädchen Amenmose nach draußen in die Kühle des frühen Abends. Er war gerade von seinem Nachmittagsschläfchen aufgewacht und streckte verschlafen und quengelig die Ärmchen aus, damit man ihn auf den Arm nahm. Ich schwang ihn auf meine Schultern, damit er mit seinem kleinen Stock an den Vogelkäfigen rütteln konnte. Nicht lange, und er hatte sämtliche Tiere in helle Aufregung versetzt, sodass sie empört sangen. Daraufhin hob ich ihn wieder von meinen Schultern und gab ihm ein wenig Honigkuchen und Wasser. Sekhmet kam ebenfalls nach Hause und gesellte sich zu uns, hob ihren kleinen Bruder auf den Schoß und spielte mit ihm.

Mein Vater kam zurück von seiner nachmittäglichen Partie Senet, die er mit seinen alten Kumpanen spielt. Wir begrüßten einander, und dann setzte er sich auf seinen Stammplatz auf die Bank und beobachtete uns mit seinem faltigen Gesicht aus der schattigen Ecke. Die Mädchen setzten sich zu ihm und begannen zu plappern. Tanefert fing an, sich Gedanken über das Abendessen zu machen, und gab dem Kindermädchen ein paar Anweisungen, woraufhin die sich verneigte und in die Vorratskammer entschwand. Ich stellte eine Platte mit Feigen auf den Tisch und goss meinem Vater und mir einen kleinen Becher Wein ein; er kam aus der Oase Dachla.

»Ein Trankopfer an die Götter«, meinte er, hob das Glas und lächelte mit seinen weisen, goldfarbenen Augen, während er Taneferts stille Traurigkeit beobachtete.

Ich schaute auf meine Familie, die sich an diesem normalen Abend hier im Hof meines Hauses versammelt hatte, und hob meinerseits das Glas, um den Göttern, die mir solches Glück beschert hatten, ein Trankopfer zu bringen. Meine Frau hatte zweifelsohne recht. Warum sollte ich dieses Leben, dieses Hier und Jetzt, für das Unbekannte aufs Spiel setzen? Und trotzdem rief es nach mir, und ich konnte nicht nein sagen.

ZWEITER TEIL

Das Gestern gehört mir, ich kenne das Morgen

Sargtexte

Spruch 17

24

Die Sonne war hinter den flachen Dächern des Malqata-Palastes versunken, und aus den Tälern schwand das letzte Tageslicht. Rot und golden erglühte hinter uns die lange, flache Hochebene der Westlichen Wüste. Die schwarzen Wasser des Großen Sees waren so träge, dass es unheimlich wirkte. Sie hatten den silbernen Schimmer geschliffenen Obsidians. Und der dunkle Himmel spiegelte sich in der glatten Oberfläche, es sei denn, ein unsichtbarer Katzenfisch regte sich und verursachte damit ein sachtes Kräuseln. Über dem Ganzen hing wie der gewölbte Rumpf eines weißen Bootes der abnehmende Mond im immer dunkler werdenden Indigoblau des Himmels, an dem gerade die ersten Sterne aufgingen. Auf der gesamten Länge des Anlegestegs entzündeten Diener Lampen und Fackeln, sodass er von geheimnisvoll orangefarbenem Licht erleuchtet wurde.

Alles, was für eine königliche Reise lebensnotwendig war, wurde langsam und unter Mühen auf das großartige königliche Staatsschiff geladen, die Geliebte des Amun. Es hatte eine lange, elegante Form und wundervolle Proportionen, mit einem hohen, ausgeschmückten Bug und Schnitzereien am Heck; die detailgetreuen Szenen, mit denen die Aufbauten auf dem Oberdeck bemalt waren, zeigten den König, wie er in der Schlacht seine Feinde vernichtete. Die großen Segel waren eingeholt, die langen Ruder noch hochgeklappt und gegen die Kabinen gelehnt; oben auf den hohen Mastspitzen spreizten königliche Falken ihre goldenen Flügel im silbernen Licht des Mondes. Die Konstruktion schien auf den stillen Wassern des Sees perfekt die Balance zu halten. Gleich daneben lag ein weiteres, beinahe ebenso schönes Schiff vor Anker, der Stern von Theben. Zusammen waren die beiden ein Traumpaar. Sie waren nicht nur die prächtigsten Transportmittel, die je von einer Kultur erbaut worden waren, und boten jedweden Luxus; aufgrund des Wissens und der Handwerkskunst, mit denen man sie gebaut hatte, vermochten sie jeden Vorteil zu nutzen, den die Elemente Wind und Wasser zu bieten hatten: auf dem Hinweg die Strömungen, die das Wasser des Flusses unaufhörlich hinab ins Delta trieben, und auf dem Rückweg die zuverlässigen Nordwinde, die uns nach Hause wehen würden.