Der Lärm von Hunderten von Männern aus der Führungsschicht schallte durch den Saal. Diplomaten, Offizielle aus dem Ausland, wohlhabende Geschäftsleute, hochrangige Offiziere, alle prahlten, bellten und quasselten sie einander selbstherrlich an und arbeiteten sich dabei durch die Menschenmenge, jeder für sich und darauf bedacht, sich zu einem Vorgesetzten zu stellen, um mit ihm zu sprechen und ihn zu beeindrucken oder Kollegen und Untergebene bei ihm schlechtzumachen. Ich arbeitete mich ebenfalls durch die lärmende Menge und hielt mich dabei in unmittelbarer Nähe des Königs. Ich sah, wie er nickte, wenn seine beiden Beamten ihm nacheinander einzelne Personen vorstellten, wie er sich mit jedem Bittsteller und Würdenträger befasste, sich kurz mit ihnen unterhielt, elegant auf Lobpreisungen und Opfergaben reagierte und dabei jedem der Männer das Gefühl vermittelte, er sei wichtig und man werde ihn nicht vergessen.
Dann entdeckte ich plötzlich Haremhab, der im Schatten einer der Säulen stand. Irgendein einfältiger Bürokrat redete auf ihn ein. Das langweilte ihn offenbar zu Tode, aber sein Blick klebte die ganze Zeit auf dem König. Er fixierte ihn mit der Eleganz und Konzentration eines angriffsbereiten Leoparden und erinnerte dabei für einen kurzen Moment an einen Jäger, der seine Beute ins Visier nimmt. Doch dann bemerkte der König den Blick, und Haremhab reagierte sofort und begann zu lächeln. Im nächsten Moment lief er auf den König zu, wobei ein dramatischer Lichtstrahl auf seine Züge fiel, der sein Gesicht so weiß erscheinen ließ wie Marmor. In Begleitung des jungen Offiziers, der in Theben seinen Brief verlesen hatte, bahnte er sich seinen Weg durch die Menge. Ich trat noch dichter an den König heran.
»Es ist eine Ehre, Euer Majestät neuerlich in Memphis begrüßen zu dürfen«, erklärte der General formell.
Tutanchamun erwiderte sein Lächeln, allerdings mit sichtlicher Skepsis.
»Ich habe viele gute Erinnerungen an diese Stadt. Ihr wart mir hier ein guter und getreuer Freund.«
Neben dem selbstbewussten, athletisch gebauten älteren General wirkte der König zart und schmächtig. Jene, die den Wortwechsel mitbekamen, auch der junge Offizier, warteten schweigend darauf, dass Haremhab weitersprach.
»Ich freue mich, dass Ihr es so empfunden habt. Ich hatte damals das Privileg, Euer Stellvertreter und militärischer Lehrmeister zu sein. Ich erinnere mich gut daran, dass Ihr mich in mancherlei Staatsangelegenheiten und im Hinblick auf politische Entscheidungen um Rat gebeten habt, und Ihr habt auf mich gehört. Jemand hat mal gesagt, ich könne den Palast beruhigen … wenn das sonst niemand schafft.«
Er lächelte, ohne dabei den Mund zu öffnen. Der König lächelte zurück, nur noch zaghafter. Er hatte einen feindseligen Unterton in Haremhabs Stimme vernommen.
»Leider vergeht die Zeit. Das scheint alles so lange her zu sein …«
»Damals wart Ihr ein Junge. Heute salutiere ich dem König der Beiden Länder. Alles, was wir sind, und alles, was wir haben, untersteht Eurer königlichen Macht.« Und er vollführte eine knappe Verbeugung.
»Wir schätzen Eure Zuneigung sehr. Sie bedeutet uns viel. Wir möchten all Eure Worte und all Eure Taten ehren …«
Der König brachte den Satz nicht zu Ende.
»Euch wird aufgefallen sein, dass sich hier in Memphis vieles verändert hat«, fuhr Haremhab mit einem anderen Thema fort.
»Uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihr viele Projekte habt«, erwiderte der König. »Uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihr in der Nekropole von Sakkara eine große neue Grabkammer für Euch errichtet.«
»Es handelt sich nur um eine kleine, private Gruft. An ihrer Erbauung und Ausschmückung erfreue ich mich in meiner spärlichen Freizeit. Es wäre mir eine Ehre, sie Euch zu zeigen. Die Reliefs an den Wänden sind sehr schön.«
Er grinste, als würde er sich über einen kleinen Scherz amüsieren, aber sein Blick war kühl und reserviert.
»Was stellen diese Reliefs dar? Die zahlreichen militärischen Triumphe von General Haremhab?«
»Dort sind die glorreichen Feldzüge in Nubien dargestellt, die dem triumphalen Kommando Eurer Majestät unterstanden«, antwortete der General.
»Ich erinnere mich an die glorreichen und triumphalen Feldzüge, die in meinem Namen geführt wurden.«
»Vielleicht vergisst Eure Majestät Ihren eigenen bedeutenden Beitrag zu deren glorreichem Triumph.«
»Ich vergesse nichts«, erwiderte der König geradeheraus.
Es folgte eine kurze Stille, in der Haremhab überlegte, was er antworten sollte. Er hatte etwas an sich, was an ein Krokodil erinnerte, dessen Augen mit konstant wachsamem Blick auf der Wasseroberfläche lagen, während sein Körper von der Dunkelheit darunter verdeckt wurde.
»Der König muss hungrig und durstig sein nach seiner Reise. Er muss ordentlich essen, bevor er auf seine königliche Jagdexpedition geht«, sagte er in einem Ton, mit dem man eigentlich eher zu einem Kind sprechen würde. Dann klatschte er in die Hände, und auf der Stelle tauchten Diener auf, die wunderschöne Steingutteller mit köstlichen Speisen herbeitrugen. Sie wurden dem König auf Tabletts dargeboten, aber er ignorierte sie, und erst da fiel mir auf, dass ich bisher noch gar nicht gesehen hatte, dass er hier irgendetwas gegessen oder getrunken hatte.
Gebieterisch erteilte Haremhab dem jungen Offizier einen Befehl. Daraufhin entfernte sich der junge Mann, und wir warteten, aber weder Haremhab, noch der König sagten etwas, um das Schweigen zu brechen. Ich fragte mich, was Tutanchamun wohl jetzt von diesem Mann dachte, den er seinen guten Vater genannt hatte.
Der Offizier kehrte zurück und führte an einer Leine einen hochrangigen syrischen Kriegsgefangenen mit sich, dem man die Hände so im Rücken zusammengebunden hatte, dass es ihn zwang, in der traditionell gebeugten Haltung des gefangengenommenen Feindes zu gehen. Der Mann, der körperlich in erbärmlichem Zustand war – sein Schädel war schlecht rasiert und von üblen Schnitten übersät, seine Glieder waren spindeldürr –, starrte mit stolzem Blick, in dem der Zorn der Demütigung loderte, nieder auf den Fußboden. Der Offizier nahm eine der mit Speisen gefüllten Schüsseln in die Hand und reichte sie Haremhab, der dem Gefangenen den Mund aufriss, als sei er ein Tier. Der Mann hatte Angst, wusste aber, dass ihm keine andere Wahl blieb; und entsetzlichen Hunger hatte er in jedem Fall. Vorsichtig kaute er, dann schluckte er ängstlich. Alle warteten wir, ob er sich nun gleich krümmen und dann zusammenbrechen würde – infolge von Gift oder auch einfach nur schlechter Kochkunst. Natürlich geschah nichts dergleichen, aber Haremhab ließ ihn von jeder der dargebotenen Speisen kosten. Schließlich wurde er an den Rand des Saals geführt, wo man ihn zwang, sich mit dem Gesicht zur Wand hinzustellen, damit der König sehen konnte, ob er langsam reagierenden Giftstoffen zum Opfer fiel. Der Effekt dieser seltsamen Vorstellung war verblüffend, denn Haremhab sorgte dafür, dass das Ganze den Eindruck vermittelte, als könnte auch der König der zwangsernährte Gefangene sein.
»Wir wissen alle bestens Bescheid über die Gefahren und offenen Bedrohungen, denen der König ausgesetzt war, selbst in seinem eigenen Palast. Jetzt könnt Ihr mit absolutem Vertrauen von unserem Bankett essen, wenn Ihr das wünscht«, erklärte Haremhab in angespanntem Ton.
Und alle sahen mit an, wie der König elegant nach einem winzigen Stückchen Entenfleisch griff, es langsam verzehrte und dann lächelnd meinte: »Wir sind gesättigt.«
Wie sich herausstellte, war diese merkwürdige kleine Episode nur ein seichtes Geplänkel im Vergleich zu den Reden, die als Nächstes folgten. Als Haremhab auf das Podest stieg, wurde es schnell still im Saal. Wer den Mund voll hatte, schluckte herunter, fettige Finger wurden in Fingerschüsseln sauber gewaschen, und die Diener entfernten sich. Der General starrte über die versammelte Menge. Sein attraktives Gesicht, dem er offenbar nie gestattet hatte, sich in ausdrucksstarker Mimik zu ergehen, nahm autoritäre Züge an: Haremhab streckte das Kinn vor und setzte einen Ausdruck gefasster und unbeirrbarer Überlegenheit auf. Er wartete, bis es totenstill war. Dann sprach er, nicht nur ohne zu stocken, sondern mit Kraft und Überzeugung, was er mit selbstbewussten Gesten unterstrich, die irgendwie einstudiert und peinlich wirkten, sowie mit gelegentlichen, beinahe spöttischen Einwürfen, deren Humor sich meiner Einschätzung nach jeden Moment in Boshaftigkeit verwandeln konnte. Er hieß den König und sein Gefolge formell willkommen und sicherte die uneingeschränkte Hilfe mit allen städtischen Ressourcen zu – die er langatmig auflistete, nur um uns daran zu erinnern, welche Macht und welcher Reichtum ihm auf Abruf zur Verfügung standen –, um dessen Sicherheit und Vergnügen während dem zu garantieren, was er ›diese Kurzvisite‹ auf dem Weg zur königlichen Jagd nannte. Er schaffte es, dass sich das Ganze anhörte wie eine Beschwerde und nicht wie eine Ehrenbezeugung, und ich versuchte, im Gesicht des Königs zu lesen, welche Reaktion das bei ihm auslöste. Doch dieser starrte weiter geradeaus.